

Holocaust-Gedenktag
Immer weniger Holocaust-Zeitzeugen
Jeder zehnte junge Erwachsene in Deutschland weiß nicht, was die Begriffe "Holocaust" und "Schoah" bedeuten. Das hat eine am vergangenen Donnerstag veröffentlichte Studie der Jewish Claims Conference ergeben. Im Rahmen der Studie wurden Menschen, die älter sind als 18 Jahr aus acht Ländern befragt. Durchweg konnten größere Teile der Befragten demnach nicht beziffern, dass unter der Herrschaft der Nationalsozialisten sechs Millionen Juden getötet wurden. Viele glaubten laut Befragung auch, dass die Zahl der Opfer nicht höher als zwei Millionen war. Die Jewish Claims Conference schließt aus ihren Ergebnissen, dass das Wissen über den Holocaust schwindet.
Achtzig Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, in dem 1,1 Millionen Menschen ermordet wurden, gibt es immer weniger Zeitzeugen, die von der Verfolgung berichten können. Greg Schneider, Vizepräsident der Jewish Claims Conference, sagte laut Mitteilung, dass das Umfrageergebnis eine deutliche Warnung darstelle und zu dringendem Handeln aufrufe. Sonst könnten die Lehren aus dem Holocaust in Vergessenheit geraten. Dabei bezeichnete er die Überlebenden des Holocausts als die stärksten Aufklärerinnen und Aufklärer.
Immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
"Natürlich sind Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen in der Beschäftigung mit dem Holocaust wichtig," betont Wolfgang Meseth, Professor für Erziehungswissenschaften mit dem Schwerpunkt Erziehung, Politik und Gesellschaft an der Goethe-Universität Frankfurt. Gefragt, wie es trotz immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen möglich sei, an den Holocaust zu erinnern, verwies er darauf, "dass nicht in jedem Geschichtskurs Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen stattfinden können."
Über 90 Prozent aller durch die Jewish Claims Conference Befragten gab an, dass es wichtig sei, über den Holocaust aufzuklären und ihn im Unterricht zu thematisieren, damit etwas Vergleichbares nicht wieder passiert. In Deutschland antworteten dies laut Mitteilung der Jewish Claims Conference sogar 94 Prozent der Befragten. Die Sorge, dass sich die Geschichte wiederholen könnte, ist demnach hoch. So glaube die Mehrzahl der Befragten, dass ein weiterer Massengenozid an Juden geschehen könnte. Die Befürchtung sei in den Vereinigten Staaten von Amerika am größten (76 Prozent), in Deutschland teilten die Einschätzung 61 Prozent und in Rumänien immerhin noch 44 Prozent.
Gideon Taylor, Präsident der Jewish Claims Conference, betonte, dass effektivere Aufklärungsarbeit zum Holocaust dringend notwendig sei. Darauf würden auch die „alarmierenden Lücken“ im Wissen besonders unter den Jüngeren hindeuten. "Dafür bedarf es immer auch der fachlichen Expertise seitens der Lehrkräfte, die durch ein Zeitzeugengespräch genauso wie im Übrigen auch durch einen Gedenkstättenbesuch nicht ersetzt werden kann," erklärte Meseth gegenüber "Forschung & Lehre".
Zum Weiterlesen
Zum 80. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung veröffentlicht "Forschung & Lehre" einen Schwerpunkt zum Thema in der Februar-Ausgabe unseres Magazins.
Wolfgang Meseth, Professor für Erziehungswissenschaften, forscht an der Goethe-Universität Frankfurt zu Erziehung, Politik und Gesellschaft. Er hat mit "Forschung & Lehre" über die Herausforderungen und Chancen der Erziehung nach Auschwitz gesprochen.
Dr. Jenny Hestermann beschreibt in ihrem Artikel "Annäherungen durch Wissenschaft" die deutsch-israelischen Wissenschaftsbeziehungen nach dem Holocaust.
Die Februar-Ausgabe erscheint am 01. Februar. Reinlesen lohnt sich!
18 Prozent der befragten Deutschen kennt kein Konzentrationslager namentlich
Viele der 40.000 Konzentrations-, Vernichtungs- und Transitlagern oder Ghettos, die die Jewish Claims Conference anführt, sind heute Gedenkstätten wie etwa das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar oder wie das Konzentrationslager Auschwitz. Gefragt, ob sie einen Namen eines solchen Lagers benennen können, waren 48 Prozent der teilnehmenden Amerikanerinnen und Amerikaner dazu nicht in der Lage. In Deutschland habe dies auf 18 Prozent der Befragten zugetroffen.
Am 27. Januar 1945 erreichten sowjetische Soldaten das deutsche Vernichtungslager Auschwitz im von der Wehrmacht besetzten Polen. Sie fanden etwa 7.000 Überlebende. 1,3 Millionen waren in das Lager verschleppt worden. Etwa eine Million Juden wurden in Auschwitz getötet - ermordet in Gaskammern, erschossen oder zugrunde gerichtet durch Arbeit, Hunger, Krankheit. Diese Fakten listet die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau auf. 13 Prozent der Deutschen, die an der Befragung der Jewish Claims Conference teilnahmen, gaben an, dass sie zwar nicht am Holocaust zweifeln, aber glauben, dass die Anzahl der insgesamt ermordeten Jüdinnen und Juden übertrieben dargestellt werde. In Frankreich habe diese Zahl sogar bei 33 Prozent gelegen.
Videografierte Erinnerungsberichte als Alternative
Während die Zeitzeugenarbeit immer schwieriger wird, verweist Pädagogik-Professor Meseth auf andere Wege "um Einblicke in die alltäglichen Auswirkungen der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik zu ermöglichen". So seien " videografierte Erinnerungsberichte und Memoiren von Überlebenden eine gute Alternative", selbst wenn auch sie keinen "erschöpfenden Zugang zum Thema" darstellten. Eine "präzise historische Kontextualisierung" sei immer nötig.
Die Untersuchung "Eight-Country Index of Holocaust Knowledge and Awareness" wurde von der Jewish Claims Conference in Auftrag gegeben. Von der Global Strategy Group wurden im November 2023 1.000 Erwachsene aus den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich, Frankreich, Österreich, Deutschland, Polen, Ungarn, Rumänien befragt.
cpy