Systemstabilität
Junge Menschen laut Studie zufrieden mit Demokratie
Eine aktuelle Umfrage zum Thema "Demokratie und Bildung" der Internationalen Hochschule (IU) zeigt: Knapp die Hälfte der Befragten ist sehr oder eher zufrieden mit der Demokratie in Deutschland. Bei der Generation Z ist es sogar mehr als die Hälfte: Rund 55 Prozent der 16- bis 25-Jährigen äußern ihre Zufriedenheit.
Demgegenüber sind etwa 49 Prozent aller Teilnehmenden eher oder sehr unzufrieden. Befragt wurde eine nach Alter und Geschlecht repräsentative Gruppe von rund 1.200 Menschen aus ganz Deutschland.
Stefanie Kessler, Professorin für Soziale Arbeit an der IU und Expertin für Demokratie-Lernen und politische Bildung, erklärt: "Junge Menschen sind zufriedener mit der Demokratie, sofern sie in Bildungskontexten häufiger Demokratieerfahrungen und damit ihre eigene Wirksamkeit erleben, auch wenn es nicht direkt um große Politik geht." Diese direkten Beteiligungsmöglichkeiten hätten bei der älteren Generation oft gefehlt.
Bei der Vermittlung demokratischer Werte sehen circa 60 Prozent der Befragten das Bildungssystem als hauptverantwortlich. Rund 93 Prozent sind sich einig: Der Erhalt der Demokratie in Deutschland ist sehr wichtig oder eher wichtig. Diese Ansicht zieht sich durch alle Generationen, von Generation Z bis zu den Babyboomern.
"Wie genau das Bildungssystem Einfluss nehmen kann, ist eine zentrale Frage. Es reicht nicht aus, lediglich Fächer wie Politikunterricht, Gesellschafts- oder Sozialkunde anzubieten. Bildungseinrichtungen müssen selbst als Erfahrungsräume gestaltet sein, die demokratische Erfahrungen und Selbstwirksamkeit unterstützen, ermöglichen und erlebbar machen", so Kessler.
"Es reicht nicht aus, lediglich Fächer wie Politikunterricht, Gesellschafts- oder Sozialkunde anzubieten."
Stefanie Kessler, Professorin für Soziale Arbeit an der IU
Wählen ist populär, aktives Engagement bleibt gering
Drei Viertel der Befragten gibt an, regelmäßig zur Wahl zu gehen, gefolgt von rund 60 Prozent, die sich über politische Themen informieren. Etwas mehr als die Hälfte diskutiert politische Themen mit anderen, 43 Prozent geben an, Petitionen zu unterzeichnen.
"Die Parteien müssen mehr Diversität zulassen und attraktiver für Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen werden. Auch die Themen sollten innovativer gestaltet werden, um die Menschen zu aktivieren und einzubinden", urteilt Alexandra Wuttig, IU-Kanzlerin und Professorin für Innovation und Entrepreneurship. Man müsse Wege finden, die Politik interessant und relevant für den Alltag der Menschen zu gestalten.
Weniger verbreitete Aktivitäten unter den Teilnehmenden an der Umfrage umfassen das Diskutieren in sozialen Medien (19 Prozent), das Demonstrieren (16 Prozent) und den Austausch mit Personen aus der Politik (11 Prozent). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Wählen die am weitesten verbreitete Form der politischen Beteiligung ist, während Möglichkeiten zur Teilnahme an anderen politischen Aktivitäten wie Demonstrationen weniger genutzt werden.
Wuttig betont: "Es ist wichtig, den Wert und die Wertschätzung der Demokratie wieder stärker in der Gesellschaft zu verankern. Dies kann durch Bildung, offene Diskussionen und aktive Teilnahme an der Demokratie geschehen."
Vertrauen als Herausforderung, Bildung als Schlüssel
Abnehmendes Vertrauen in die Politik ist die am häufigsten genannte Antwort der Befragten (rund 84 Prozent) zu den Herausforderungen in einer Demokratie. Diese Herausforderung wurde auch von Forschenden erkannt. Frank Decker, Professor am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn, äußerte sich zur Bedeutung von Vertrauen in die Politik für die Stabilität der Demokratie im Interview mit "Forschung & Lehre" fordernd: "Je komplexer die Probleme sind, umso wichtiger ist es zu erklären, wie man sie angehen möchte und warum das vielleicht gar nicht so leicht ist. Die Politik darf keine falschen Versprechungen machen."
Auch lange Entscheidungsprozesse, zunehmende soziale Ungleichheit sowie digitale Desinformation werden von den Befragten als gefährdende Faktoren beurteilt. Insbesondere im Superwahljahr 2024 debattiert nicht nur die Wissenschaft diese Faktoren intensiv. "Die Debatten über die Ursachen und Beweggründe, sich von den etablierten Parteien abzuwenden und das politische System insgesamt infrage zu stellen, scheinen noch von Erstaunen und Ungläubigkeit geprägt", schrieb Dr. Jens Hacke kürzlich für "Forschung & Lehre" zum Thema demokratischer Fragilität.
Als Vorteil einer Demokratie wird im Rahmen der IU-Umfrage die Förderung von Menschenrechten von 87 Prozent der Befragten am häufigsten genannt, gefolgt von der Möglichkeit zur Mitbestimmung, der Gewährleistung von Meinungs- und Pressefreiheit, dem Ausbau des Friedens und der Anerkennung politischer Meinungsvielfalt. Bei der Frage danach, wer hauptverantwortlich für die Vermittlung demokratischer Werte sei, nennen fast 60 Prozent der Befragten das Bildungssystem. Zwischen den Generationen zeigen sich aber Unterschiede: Während die Babyboomer das Elternhaus häufiger in der Hauptverantwortung sehen, sind es für die Generation Z das Bildungssystem und die Medien.
Demokratie – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"
Die August-Ausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt der "Demokratie".
Die Beiträge:
- Jens Hacke: Krise ohne Alternative? Überlegungen zur Lage der Demokratie
- Hanno Kube: Fragile Herrschaftsform. Demokratie und ihre Vertrauensgrundlagen
- Timm Beichelt: Politik mit der Angst. Ein Problem in der Demokratie?
- Thomas Weber: Zuversicht Mangelware. Ein Plädoyer für bessere Erzählungen
- Im Gespräch mit Tonio Oeftering: Kritisch begleiten und mitgestalten. Über die Bedeutung von politischer Bildung in einer Demokratie
- Im Gespräch mit Daniel Ziblatt: Wissenschaft als Bollwerk gegen autoritäre Kräfte. Wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Demokratie schützen können
Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!
Insgesamt informieren sich die Befragten zu politischen Themen am häufigsten über Nachrichtensendungen im Fernsehen (55 Prozent), gefolgt von Online-Nachrichtenportalen (48 Prozent). Rund 59 Prozent der jungen Menschen bis 25 Jahre nennen soziale Medien als hauptsächlich genutzte Quelle, wenn es um politische (Weiter-)Bildung geht. Gut ein Drittel der Teilnehmenden der Generation Z gibt zudem an, schon einmal KI-Technologien wie ChatGPT als Quelle für politische Informationen genutzt zu haben. In der Generation der Babyboomer sind es lediglich etwa 12 Prozent.
4 von 5 Menschen sind laut Umfrage der Meinung, dass Bildung dabei helfen kann, informierte Entscheidungen bei Wahlen zu treffen. Fehlende Bildung sehen 79 Prozent der Befragten als eine potenzielle Bedrohung für die Demokratie an. Allerdings stimmen auch über zwei Drittel der Aussage zu, dass Bildung keine Garantie für eine funktionierende Demokratie ist. Die Bedeutung von Demokratiebildung anerkennend, forderte im Juli ein wissenschaftliches Beratungsgremium der Kultusministerkonferenz in ihren Empfehlungen "Demokratiebildung als Auftrag der Schule" deren bessere Verankerung in der Schulbildung – "Forschung & Lehre" berichtete.
"Echte Demokratieerfahrungen sind ebenso wichtig wie das Aneignen von Wissen und Kompetenzen. Sie ermöglichen Menschen, Selbstwirksamkeit zu erleben und zu erkennen, dass ihre Interessen und Ideen ernstgenommen werden", fasst Kessler die Bedeutung von Demokratiebildung zusammen.
cva