Eine Lehrperson steht vor einer Gruppe junger Erwachsener an Computer-Desks in einem Seminarraum.
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Bildung
KI kann Lernende unterstützen – oder ihre Anstrengungen verhindern

Künstliche Intelligenz in der Schule kann dazu beitragen, die Bildungsmisere zu bewältigen. Entscheidend ist, dass sie richtig eingesetzt wird.

Von Ulrike Cress 30.12.2024

Wir befinden uns in einer Bildungsmisere: Bildungsstudien zeigen, dass wir mehr und mehr Schülerinnen und Schüler verlieren. Die letzte PISA-Studie ("Programme for International Student Assessment"), die die Leistung von 15-Jährigen im Jahr 2022 gemessen hat, hat gezeigt, dass 30 Prozent der Jugendlichen die Mindestanforderungen in Mathematik verfehlen; beim Lesen sind es 25 Prozent. Diese Schülerinnen und Schüler sind zum Beispiel nicht dazu fähig, die Gesamtlänge zweier alternativer Routen zu vergleichen oder die Hauptaussage eines mittellangen Textes zu erfassen.

Untersuchungen zu Kompetenzen von Grundschülerinnen und Grundschülern zum Beispiel im Rahmen der IGLU-Studie ("Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung") zeichnen ein ähnlich pessimistisches Bild mit einem großen Anteil an Kindern, die Mindeststandards in Deutsch und Rechnen verfehlen. Kinder, die am Ende der Grundschule und am Ende der Sekundarstufe keine Grundkompetenzen im Lesen und Rechnen haben, werden diesen Rückstand kaum aufholen können, zumal in Deutschland ein akuter Mangel an Lehrkräften besteht, der sich in den nächsten Jahren noch weiter verstärken wird.

Large Language Modelle können Lehrkräfte entlasten

In diese negative Ausgangslage ist im Herbst 2022 ein Hoffnungsschimmer eingezogen. Mit dem Aufkommen von ChatGPT, das die Nutzung von Large Language Modellen (LLM) auf breiter Front ermöglichte, sind hohe Erwartungen verbunden. Für keinen anderen Bereich wurden LLMs so stark diskutiert wie für die Bildung. Sie können Lehrkräfte entlasten, und zwar ganz konkret bei der Unterrichtsvorbereitung, der Korrektur von Arbeiten und Hausaufgaben und der Gestaltung von Unterrichtsmaterialien. 

Für Lernende können LLMs zu Assistenten werden, die ihnen Zusammenhänge erklären, Aufgaben stellen, Feedback zur Lösung geben und als Kollaborationspartner agieren können. Dieser Vision nähern wir uns mit aktuellen technologischen Entwicklungen in schnellen Schritten. Zukünftig können Lernende mit virtuellen Assistenten kommunizieren, die nicht nur gesprochene Sprache verstehen, sondern auch Gesten und Emotionen erkennen und entsprechend berücksichtigen können. Sie können für Lernende eine individuelle Lehrkraft sein, die sich auf ihre Bedürfnisse einstellt und sie auf ihrem Lernweg begleitet. 

Die Lehrkraft wird sich damit in Zukunft gezielt und mehr um die Kinder kümmern können, die (menschliche) Hilfe benötigen. Zusammen mit (menschlichen) Assistenten wird die Lehrkraft ein Auge auf soziale Prozesse haben können und unterstützen können, dass sich alle Kinder in die Klasse einbringen können. Dafür hat das Lehrkräfteteam dann mehr Zeit und Energie. 

KI-Tools müssen auf das Lernen abgestimmt werden

Das ist eine gute Vision, die vieles für sich hat und der sich die Bildungsrealität auch nähern wird. Dennoch ist klar: Derzeit sind LLMs noch Werkzeuge auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI), die allgemein und nicht spezifisch für die Bildung entwickelt wurden. Sie sind Werkzeuge, die für vieles nutzbar sind. Schülerinnen und Schüler wie Lehrkräfte brauchen allerdings besondere Kompetenzen, um sie adäquat nutzen zu können. 

Zumeist werden LLMs beispielsweise derzeit für die Informationssuche genutzt, obwohl sie gerade dazu wenig taugen. So werden LLMs die Leistungskluft zwischen den Lernenden weiter verstärken. Es wird Schülerinnen und Schüler gegeben, die die KI-Werkzeuge für ihren Lernprozess sinnvoll nutzen können, und es wird solche geben, sie primär dazu nutzen, um lästige Aufgaben extern erledigen zu lassen. Das gilt genauso für Studierende. 

Was wir deshalb brauchen, sind KI-Werkzeuge, die auf Lernen abgestimmt sind. Wo nicht die Nutzenden selbst prompten, also Aufgabenstellungen für LLMs formulieren, sondern Lernassistenten vor-gepromptet und mit entsprechenden Materialien und Übungen gefüttert sind, so dass sie zu intelligenten Schulbüchern und Lernbegleitern werden, die auf die spezifischen Merkmale eines Lerninhalts abgestimmt sind und die die Bedürfnisse eines individuellen Adressaten aufgreifen. Ein KI-Lernbegleiter für Deutsch braucht beispielsweise ganz andere Kompetenzen als einer für Mathematik oder Physik. Ein Lernbegleiter kann spezifisch auf eine Person mit geringen Deutschkenntnissen optimiert sein oder auf eine mit einer Aufmerksamkeitsstörung.

Risiken der Nutzung von KI in Lernprozessen

Das ist eine Vision, die gar nicht mehr so lange auf sich warten lässt. Allerdings birgt die Nutzung von KI auch Gefahren. Lernbegleiter sind motivierend und wirksam, wenn sie adaptiv sind und sich auf die Bedürfnisse der Lernenden einstellen. Dennoch müssen wir sicherstellen, dass wir Schülerinnen und Schüler letztendlich dazu ermächtigen, selbst ihren Lernprozess zu gestalten und zu verantworten. Nicht Abhängigkeit von einem KI-Tool ist das Ziel, sondern die kompetente Nutzung. 

Immer muss es darum gehen, dass Lernende eigenes Wissen aufbauen. Die Nutzung von KI-Assistenten führt dazu, dass bessere Produkte entstehen. Aber letztlich muss es um die Wissensbasis beim Lernenden gehen, die erweitert werden muss. KI muss dabei helfen, Grundkompetenzen zu vermitteln. Sie soll und kann diese nicht ersetzen.

Der Zugang zu intelligenter Technologie legt bisweilen nahe, dass Lesen, Rechnen und anderes Basiswissen zukünftig nicht mehr relevant seien. Das ist aber ein Irrglaube, dem es aus Sicht der Lern- und Bildungsforschung zu widersprechen gilt. Menschen können aus einem Text oder einer Zusammenfassung letztendlich nur die Inhalte wirklich verarbeiten, die sie auch verstehen. Es bleibt also auch in Zeiten der KI dabei, dass Wissen die beste Grundlage für Wissenserwerb ist. KI kann beim Wissenserwerb behilflich sein, sie kann aber auch notwendige Anstrengung verhindern. Das ist die Ambivalenz, der wir uns als Gesellschaft stellen müssen.

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Dieser Beitrag ist der dritte Teil unserer Feiertagsserie. In den Artikeln teilen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Perspektiven auf Lernerfahrungen:

 

Januar-Ausgabe von "Forschung & Lehre"

Die Januar-Ausgabe von "Forschung & Lehre" blickt auf das Schwerpunktthema "Bildung – quo vadis?": Die Autorinnen und Autoren diskutieren, was Bildung und Hochschulbildung heute bedeuten, wie es um das Bildungssystem in Deutschland bestellt ist und wie es sich weiterentwickeln könnte.

Die Beiträge:

  • Peter-André Alt: Die Welt in Versionen entwerfen – Bildung an Universitäten – gestern und heute
  • Kai Maaz: Am Anschlag und unter großem Anpassungsdruck – Konzeptionelle Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung des Bildungssystems
  • Im Gespräch mit Susanne Lin-Klitzing: Weichenstellung für die Zukunft – Herausforderungen und Chancen der gymnasialen Bildung
  • Im Gespräch mit Tobias Schmohl: Verantwortungsvolles Lehren und Lernen – Ethik und Hochschulbildung im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
  • Im Gespräch mit Ludger Wößmann: 25 PISA-Punkte kosten rund 14 Billionen Euro – Deutschlands Bildungssystem aus volkswirtschaftlicher Sicht
  • Infografik: In Zahlen – Bildung in Deutschland

Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!