Drei Personen drehen sich um eine Weltkugel
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Wirtschaftsforschung
Kooperations-Problem Klimawandel

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel liegen auf dem Tisch. Dass die Gesellschaft trotzdem kaum vorankommt, hat andere Gründe.

Von Axel Ockenfels 10.11.2020

Der schier unerschöpflichen Menge an billigen fossilen Ressourcen steht mit der Atmosphäre ein äußerst knapper CO2-Deponieraum gegenüber. Je mehr wir den Deponieraum belasten, desto folgenreicher der Klimawandel. Deshalb müssen wir bei der Energiegewinnung zunehmend auf fossile Brennstoffe verzichten und die globalen CO2-Emissionen schnell reduzieren. Doch die globalen CO2-Emissionen steigen immer weiter an – um etwa Zweidrittel alleine in den letzten dreißig Jahren.

Daran ändern die fünf Berichte des Weltklimarats genauso wenig wie die Verhandlungen in Rio, Kyoto, Kopenhagen und Paris, die alarmierenden Appelle der Klimawissenschaft oder die ambitionierten nationalen CO2-Reduktionsziele in einigen Ländern wie Deutschland. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen UNEP konstatierte noch kurz vor der Corona-Epidemie ernüchtert: "The current level of global GHG emissions is by now almost exactly at the level of emissions projected for 2020 under the business-as-usual, or no-policy, scenarios." Es ist, als ob die Welt fast nichts täte.

Es klingt paradox. Auf der einen Seite schreitet der anthropogene Klimawandel fast ungerührt voran. Auf der anderen Seite gibt es kaum ein Thema, bei dem sich die große Mehrheit der Wissenschaftler und Menschen so einig ist: Es muss dringend etwas geschehen! Woher kommt diese Diskrepanz zwischen Einsicht und Handeln?

Investitionen ins Klima: "ein schlechter Deal"

Ein Gedankenexperiment illustriert das Dilemma, in dem wir uns befinden. Angenommen, jede von 200 Parteien kann in einen gemeinsamen "Klimatopf" investieren. Denken Sie bei den Parteien zum Beispiel an die etwa 200 Staaten unserer Erde oder einfach an 200 Leser dieses Artikels. Jeder investierte Euro wird verdoppelt und gleichmäßig auf alle 200 Parteien aufgeteilt. Die Idee dabei ist, dass Investitionen in den Klimaschutz den Klimawandel eindämmen und daher der gesamten Welt nützen. Die Verdopplung der Klima­investition beschreibt diesen Klimanutzen in (vereinfachter) Weise. Die Verteilung des Nutzens auf alle Köpfe reflektiert, dass niemand von einem besseren Klima ausgeschlossen werden kann. Nun schauen Sie einmal in Ihr Portemonnaie und auf Ihr Bankkonto und denken Sie einen Augenblick nach: Wie viel Geld würden Sie in dieser Situation in den Klimatopf investieren?

Unterstellen wir der Einfachheit halber, dass jede Partei ein Vermögen von 100 Euro besitzt. Wenn nun alle ihr gesamtes Vermögen in den Klimatopf stecken, würden alle Parteien ihren Wohlstand verdoppeln. Kooperation zahlt sich aus! Doch aus individueller Perspektive sieht es anders aus. Ob ich nun alles investiere oder nicht, und ob in den Klimatopf insgesamt beispielsweise 16.400 oder 16.500 Euro investiert werden, spielt für die Gesamtheit der Parteien keine große Rolle. Für mich selbst aber schon! Denn für jeden Euro, den ich aus meinem Vermögen investiere, bekomme ich nur einen einzigen Cent zurück. (Ein investierter Euro bringt zwei Euro für die Welt, geteilt durch 200 ergibt einen Cent.)

Die Kosten für die Klimainvestition müssen nämlich vollständig von dem Investor getragen werden; dieser bekommt jedoch im Gegenzug nur ein Prozent der Erträge seiner Investition zurück. Das ist für eigennützige Parteien ein schlechter Deal. Sollen sich doch die anderen anstrengen! So gibt es im Status quo wenig Anreize für effektiven Klimaschutz – obwohl alle ihn sich wünschen.

Das Problem mit altruistischen Investitionen

Es gibt natürlich nicht nur Egoismus, sondern auch selbstlose, altruistische Investitionen, und zwar besonders in Ländern, die sich das gut leisten können. Aber genauso, wie es naiv wäre zu glauben, dass man im nationalen Kontext auf eine Steuerpflicht gänzlich verzichten und stattdessen vollkommen auf freiwillige Spenden für öffentliche Güter wie Universitäten, Polizei, Straßen und die Gesundheitsversorgung setzen könnte, zeigt schon der Blick auf die globalen Emissionen, dass es im globalen Kontext nicht ausreicht, allein auf altruistische Investitionen der Länder zu setzen.

Es gibt noch einen Grund, warum altruistische Investitionen das Problem nicht lösen. Investitionen in den Klimatopf werden zuweilen geplündert, so dass sich die erwünschten Klimawirkungen nicht einstellen. Das liegt beispielsweise daran, dass die klimapolitisch oft favorisierten CO2-Mengenziele das Kooperationsproblem in ein (noch kniffligeres) Nullsummenspiel umwandeln: Je mehr sich ein Land anstrengt, desto weniger müssen sich die anderen anstrengen, um das Mengenziel zu erreichen.

"Eine kluge altruistische Klimapolitik darf deshalb nicht nur vor der eigenen Haustür kehren."

Wenn in Europa beispielsweise ein Unternehmen CO2-Emissionen reduziert, dann werden im Rahmen des Emissionshandels Emissionsberechtigungen frei, die an ein CO2-emittierendes Unternehmen anderswo verkauft werden, das dann entsprechend mehr CO2 ausstößt. Ähnliches passiert, wenn Unternehmen ihre Produktion ins Ausland verlagern, weil sie dort eine weniger stringente Klimapolitik erwartet. Oder wenn das Öl, das wir im Verkehr freiwillig einsparen, einfach woanders hin verkauft wird. In all diesen Fällen subventionieren die Investitionen der Klima-Altruisten gewissermaßen die CO2-Emissionen der Klima-Egoisten.

Eine kluge altruistische Klimapolitik darf deshalb nicht nur vor der eigenen Haustür kehren. Sie muss andere Länder zum Mitmachen bewegen. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten.

Verpflichtung zu gemeinsamer Anstrengung

Die erste Möglichkeit ist, sich mit anderen Ländern zu gemeinsamen Anstrengungen zu verpflichten. Internationale Klimaverhandlungen streben dies an, bisher jedoch erfolglos. Es stimmt zwar, dass sich die Weltgemeinschaft in Paris auf ein ambitioniertes kollektives Ziel einigen konnte. Aber folgen Sie unserem Gedankenexperiment: Obwohl es keine Unsicherheit über den Nutzen von Klimainvestitionen gibt und alle Parteien sich einig sind, dass Kooperation wichtig und richtig ist, scheitert die Kooperation. Die entscheidende Frage ist, ob die Parteien mit ihren nationalen Anstrengungen das kollektive Ziel auch tatsächlich erreichen. Dies ist nicht der Fall.

Wenn das Pariser 1,5 Grad-Ziel erreicht werden soll, müssten die jährlichen CO2-Emissionen innerhalb der nächsten Dekade um etwa die Hälfte sinken. Doch selbst wenn die nationalen Versprechen von Paris vollumfänglich umgesetzt würden, würden die globalen Emissionen gemäß Vor-Corona-Schätzungen weiter ansteigen. Das liegt daran, dass in Paris jeder Staat einen Klimaplan vorgelegt hat, den er für sich selbst beschlossen hat – ganz wie in unserem Gedankenexperiment. Dies lädt geradezu zum Trittbrettfahren ein und löst das Kooperationsproblem nicht.

"Verhandlungen über einen gemeinsamen CO2-Preis haben die beste Chance auf Erfolg."

Dennoch ist das Scheitern von Klimaverhandlungen kein unvermeidliches Schicksal. Wir haben einige der weltweit renommiertesten Klima-, Kooperations- und Verhandlungsforscher zusammengebracht und untersucht, wie Klimaverhandlungen geführt werden müssten, um echte Kooperation zu erzeugen. Bei aller Komplexität hat sich eine Antwort klar herauskristallisiert: Verhandlungen über einen gemeinsamen CO2-Preis haben die beste Chance auf Erfolg – besonders, wenn man die Verhandlungen zunächst in einem "Klub der Willigen" führt. Die Bepreisung von CO2-Emissionen verändert nicht nur Konsum- und Produktionsentscheidungen.

CO2-Preise sind auch vergleichsweise leicht verhandelbar, flexibel umsetzbar, national sozial und international fair gestaltbar. Überdies führen sie wegen ihrer Transparenz und Vergleichbarkeit zu reziproken Reaktionen der Verhandlungspartner, die für jedwede internationale Kooperation unverzichtbar sind. (Das bei MIT-Press erschienene Buch "Global Carbon Pricing: The Path to Climate Cooperation" beschreibt Details und ist unter carbon-price.com kostenlos erhältlich.) Weil eine Bepreisung von CO2 außerdem dazu führt, dass bei allen Entscheidungen nicht nur der eigene Nutzen und die eigenen Kosten berücksichtigt werden, sondern auch die Kosten des eigenen Handelns für die Weltgemeinschaft, ist ein CO2-Preis auch ein inhärent altruistisches und moralisch gebotenes Instrument der Klimapolitik.

Die zweite Möglichkeit, andere zum Klimaschutz zu bewegen, ist, (irgend)eine sichere und zuverlässige grüne Energie billiger zu machen als fossile Energie. Gelingt dies, wäre es fortan im Eigeninteresse aller Staaten und Unternehmen, die fossilen Ressourcen in der Erde zu lassen. Klimapolitik, Kooperation und internationale Verhandlungen wären überflüssig. Wer also nicht alle Hoffnung nur auf Kooperation setzen möchte, sondern auch unilateral dem Klimawandel etwas entgegensetzen möchte, sollte erwägen, explizit Ziele für Forschung und Innovation zu formulieren und zu verfolgen.

Schon mit einem kleinen Teil der deutschen Klimapolitikkosten könnten die besten Wissenschaftler der Welt gewonnen werden, und ihnen könnten Forschungsinfrastrukturen angeboten werden, die die Möglichkeiten von Stanford, Harvard und MIT zusammengenommen übersteigen. Nichts ist altruistischer und effektiver im Kampf gegen den Klimawandel als innovative grüne Ideen, die fossile Brennstoffe überflüssig machen.

Niemand kann heute wissen, ob internationale Kooperation wirklich gelingen wird und ob sich die nötigen Technologiesprünge schnell genug materialisieren. Doch eine Politik, die den Klimawandel wirklich eindämmen möchte, sollte beides ernsthaft versuchen. Sonst besteht die Gefahr, dass wir uns in einem Patchwork selbstzentrierter Ziele und diplomatischem Aktionismus verzetteln und schließlich an uns selbst scheitern.