Junger Mann liest Buch
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Lesen
Längere Texte auf Papier besser verständlich

In der "Stavanger-Erklärung" haben sich Forscher für intensives Lesen auf Papier ausgesprochen – weil es Vorteile gegenüber dem Bildschirm habe.

22.01.2019

Bildschirme und bedrucktes Papier sind als Lesemedien nicht gleichwertig. Papier wird weiterhin das bevorzugte Lesemedium für einzelne längere Texte bleiben, vor allem, wenn es um ein tieferes Verständnis der Texte und um das Behalten geht. Außerdem ist Papier der beste Träger für das Lesen langer informativer Texte. Das geht aus einer gemeinsamen Erklärung zur Zukunft des Lesens im Zeitalter der Digitalisierung von mehr als 130 Leseforschern aus ganz Europa hervor.

In dieser sogenannten "Stavanger Erklärung", die die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" veröffentlicht hat, betonen die Forscher, dass das Lesen langer Texte von "unschätzbarem Wert" sei für eine Reihe kognitiver Leistungen wie Konzentration, Aufbau eines Wortschatzes und Gedächtnis. Daher sei es wichtig, dass man das Lesen langer Texte als eine unter mehreren Leseformen bewahre und fördere. Da das Bildschirmlesen weiter zunehmen werde, müsse man dringend Möglichkeiten finden, das tiefe Lesen langer Texte in Bildschirmumgebungen zu erleichtern.

Den Forschern zufolge zeige eine Metastudie von 54 Studien mit zusammen mehr als 170.000 Teilnehmern, dass das Verständnis langer Informationstexte beim Lesen auf Papier besser sei als beim Bildschirmlesen, insbesondere wenn die Leser unter Zeitdruck stünden. Bei narrativen Texten wurden keine Unterschiede festgestellt.

Entgegen den Erwartungen zum Verhalten von "digital natives" habe die von den Forschern festgestellte Unterlegenheit des Bildschirms gegenüber dem Papier in den vergangenen Jahren eher noch zu- als abgenommen. Dies sei unabhängig vom Alter und von Vorerfahrungen mit digitalen Umgebungen.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Erforschung digitaler Lernmaterialien notwendig

Im Lichte dieser Befunde wird in der Erklärung gefordert, Schülern und Studierenden Strategien beizubringen, die sie nutzen könnten, damit ihnen tiefes Lesen und höherwertige Leseprozesse auf digitalen Geräten gelängen. Außerdem bleibe es wichtig, dass Schulen und Schulbibliotheken die Schüler weiterhin zur Lektüre gedruckter Bücher motivierten und in den Lehrplänen entsprechend Zeit dafür vorsähen.

Darüber hinaus sollte bei Lehrern und anderen Erziehern ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass der "rasche und wahllose Ersatz von Druckwerken, Papier und Stift durch digitale Technologien" im Primarbereich nicht folgenlos bleibe. Falls dieser Übergang nicht von sorgsam entwickelten digitalen Lerntools und Lerntechnologien begleitet sei, könne er zu einer Verzögerung in der Entwicklung des kindlichen Leseverständnisses und der Entwicklung kritischen Denkens führen.

Auch bedürfe es geeigneter Maßnahmen, um bessere Leitlinien für die Einführung digitaler Technologien zu entwickeln, vor allem im Bildungsbereich, aber auch ganz allgemein im Bereich der Medien. Bei der weiteren Erforschung digitaler Lernmaterialien sollten den Forschern zufolge Technologieentwickler, Geisteswissenschaftler und empirische Sozialforscher stärker zusammenarbeiten, um eine unvoreingenommene und evidenzbasierte öffentliche Debatte über den digitalen Wandel zu erleichtern.

In der Forschungsinitiative "Evolution of Reading in the Age of Digitisation" (E-READ) haben sich fast zweihundert auf den Gebieten des Lesens, des Publizierens und der Lese- und Schreibfähigkeit tätige Wissenschaftler aus ganz Europa zusammengeschlossen, um die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Lesepraxis zu erforschen.

Die Mitglieder und wichtige Vertreter des von der EU finanzierten Forschungsnetzwerks trafen am 3. und 4. Oktober 2018 im norwegischen Stavanger zusammen, um über die wichtigsten Ergebnisse der vergangenen vier Jahre empirischer Forschungen und Debatten zu diskutieren. Die Stavanger-Erklärung zur Zukunft des Lesens ist die Zusammenfassung dieses Austauschs.

gri