Zeichnung von Personen, die um einen Tisch in Form eines Fragezeichens sitzen und diskutieren
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Standpunkt
Macht statt Moral?

Darf eine Hochschule den ethischen Habitus ihrer Angehörigen vorgeben? Die Folgen fallen nicht sofort auf, aber sofort ins Gewicht, sagt unser Autor.

Von Volker Ladenthin 30.09.2021

Da werden exzellente Wissenschaftler ausgeladen, weil die Veranstalter "Krawall" bei den Gast-Vorträgen befürchten. Da empfehlen Gleichstellungsbeauftragte "Lehrenden" oder "Studiengangsmanager*innen", "Triggerwarnungen" auszusprechen, wenn sie "belastendes Lehrmaterial" verwenden, das zu Retraumatisierungen führen könne, und raten, in solchen Fällen den Besuch von Lehrveranstaltungen den Betroffenen anheimzustellen. Da gibt es Empfehlungen oder Vorschriften, keine generischen Genera zu benutzen.

Darf eine Hochschule solche Vorgaben für den ethischen Habitus ihrer Angehörigen machen? Darf eine Hochschule dem Druck der medienwirksam Empörten nachgeben? Ja sicher, und zwar immer dann, wenn gegen geltendes Recht verstoßen wird. In allen anderen Fällen aber hat eine Hochschule Forschungsvielfalt nicht etwa zu tolerieren, sondern zu schützen.

Eine Gesellschaft muss die Diskursoffenheit von Universitäten schützen, weil sie einen Ort braucht, an dem alle denkbaren Argumente unvoreingenommen, sachbezogen und kritisch ausgetauscht werden. Wissenschaft ist nämlich der einzige Modus, in dem eine Gesellschaft ihre Grundlagen ohne jegliche Utilitaritätserwägungen prüfen kann. Jene so gutgemeinten Bedenken aber setzen soziale Konventionen absolut über den Anspruch auf Wahrheit. Sie sind der Beginn von wissentlicher Täuschung über die wissenschaftlichen Grundlagen des Handelns. Das fällt nicht sofort auf, aber es fällt sofort ins Gewicht, weil jedes durch Macht herbeigeführte Verschweigen das Fundament szientifischer und sozialer Entwicklung beschädigt. Auf administrativ durchgesetzten Sprachreglungen kann man keine Humanität gründen.

Zugleich aber sind moralisierende Vorgaben oder randalierende Störungen der Lehre, um eigene Vorstellungen durchzusetzen, zutiefst unmoralisch. Seit der europäischen Antike weiß man, dass eine erzwungene Moral alles Mögliche sein mag, nur eines gewiss nicht: moralisch. Wer mit Sanktionen und administrativen Vorgaben zum Handeln genötigt wird, handelt nicht mehr moralisch. Nur eine unabhängige Gewissensentscheidung ist eine moralische Entscheidung. Genau diese aber verhindern jene, die versuchen, auf dem Verwaltungsweg oder durch Spektakel in der Öffentlichkeit partielle Überlegungen durchzusetzen. Sie zerstören die einzige Grundlage von Wissenschaft und Moral: Die vernünftige Argumentation. Sie ersetzen moralische  Argumente durch Macht.

Eine Verwaltung sollte ihre Macht nur nutzen, um zu verwalten, nicht aber, um eine spezielle Moral durchzusetzen. Zuhörer sollten Argumentationen prüfen, nicht aber unterbinden. Die Folge dieser vielleicht gutgemeinten Eingriffe ist das Gegenteil dessen, was ihre Initiatoren anstreben: Die Folge ist eine Entmoralisierung der Gesellschaft durch kollektive Disziplinierung.

2 Kommentare

  • Forschung & Lehre Die Meinung der Autorinnen und Autoren von "Forschung & Lehre" spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Die Rubrik "Standpunkt" in der Print-Ausgabe von "Forschung & Lehre" ist zudem nicht als Leitartikel des DHV zu verstehen, sondern als Meinungsbeitrag des Autoren/der Autorin.
  • Till Mossakowski Sexueller Missbrauch führt oft zu einer Jahrzehnte oder sogar lebenslang andauernden posttraumatischen Belastungsstörung. Wie ich aus meinen Umfeld aus eigener Anschauung weiß, müssen oft tagtäglich triggernde Inhalte und Situationen vermieden werden, um eine gravierende emotionale Belastung zu vermeiden. Eine solche Triggervermeidung wird oft auch therapeutisch empfohlen. Im Artikel werden Empfehlungen, dieses Schutzbedürfnis ernst zu nehmen, kritisiert. Nur bei Rechtsverstößen dürfe eine Hochschule eingreifen. Dieser Artikel ist ein Schlag ins Gesicht für alle von sexuellem Missbrauch Betroffenen. Ein differenzierter Umgang mit der Problematik würde verschiedene Interessen abwägen und sinnvolle Lösungen finden. Wo würde denn z.B. die bloße Empfehlung, Triggerwarnungen auszusprechen, die Freiheit von Forschung und Lehre beeinträchtigen? Es gibt sicher auch Alternativen zu der sehr ideenlosen Maßnahme, Betroffenen den Besuch von Lehrveranstaltungen anheimzustellen. Schade, dass der DHV stattdessen eine so einseitige Betrachtungsweise zum Leitartikel macht.