Eine Frau macht eine Pause vom Malen, liebt zwischen Farbtöpfen auf dem Rücken und schaut an die Decke.
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Kreative Pausen
Man muss es in sich denken lassen

Den Gedanken freien Lauf lassen und dem "Einfall" Raum geben: Pausen bestimmen unseren Lebensrhythmus und unterstützen unsere Lernprozesse.

Von Ernst Pöppel 20.08.2021

Werner Heisenberg soll einmal gesagt haben, dass man die Antwort auf eine Frage nicht erzwingen solle. Wenn man sich der Lösung nahe glaubt, dann solle man eine Pause einlegen. Viele wie ich mögen diese Erfahrung gemacht haben. Man muss es in sich denken lassen. Dann plötzlich, in einem ganz anderen Kontext, vielleicht unter der Dusche, hat man die Lösung.

Ist "Denken" nicht immer eine rational kontrollierte Tätigkeit? Ist Denken immer ein Gespräch der Seele mit sich selbst, wie es Plato gesagt hat? Manchmal vielleicht; sicher nicht immer. Kreative geistige Tätigkeit vollzieht sich oft "unter der Decke". Ein "Einfall" ist das Ergebnis eines impliziten mentalen Prozesses, eines versteckten Denkens, der Pause also, die man einlegt, und damit gedanklichen Freiraum schafft, der sich der bewussten Kontrolle entzieht.

Manchmal kann man einen kreativen Prozess unterstützen, indem man eine Pause sich selbst gegenüber einlegt. Heinrich von Kleist beschreibt in seinem Text "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden", dass sich im Reden selbst Gedanken ordnen und eine Lösung auftaucht. Dazu ist es nicht notwendig, dass der oder die andere von der Sache etwas versteht; das mag sogar ein Nachteil sein. Oft wurde ich in einer Vorlesung ein "Opfer" meiner selbst (wenn man es so bezeichnen will), dass ich sprechend etwas verstanden habe, das vorher unklar war (was natürlich nicht beweist, dass es richtig war; eigene Klarheit ist kein Argument für Richtigkeit).

"Vieles gleichzeitig zu machen ist nur glauben, vieles gleichzeitig zu machen. Man mag Dinge erledigen, doch abends weiß man nicht mehr, was man getan hat."

In "Entweder – Oder" schreibt der dänische Philosoph Kierkegaard: "Müßiggang ist nichts Übles, ja man muss sagen: ein Mensch, der für diesen keinen Sinn hat, zeigt damit, dass er sich nicht zur Humanität erhoben hat." Zum wirklichen Menschsein gehört die Pause, die das Geschäftigsein unterbricht. Sich pausenlos zu zwingen, nichts zu verpassen, entfernt uns von uns selbst und macht uns zu Sklaven unserer selbst. "Multitasking" ist das Gebot der Stunde, und gedankenverloren in ein Kaminfeuer zu schauen sei Zeitverlust. Aber: Vieles gleichzeitig zu machen ist nur glauben, vieles gleichzeitig zu machen. Man mag Dinge erledigen, doch abends weiß man nicht mehr, was man getan hat. Alles bleibt an der Oberfläche. In das flackernde Kaminfeuer mit einer Grundfrequenz von 4 bis 7 Hz zu schauen führt zu einer Synchronisation neuronaler Prozesse im Bereich von Theta-Wellen, die etwas mit unserer emotionalen Regulation zu tun haben und uns zur Ruhe oder sogar zum Einschlafen bringen.

Die innere Uhr

Eine Pause, die uns jeden Tag von Mutter Natur aufgezwungen wird, ist der Schlaf (auch wenn es hier manchmal Schlaflosigkeit gibt). Eigentlich ist der Schlaf ein Zeitverlust, wenn man Lebenszeit unter dem Gesichtspunkt optimaler Effizienz betrachtet. Was für vergeudete Zeit, ein Drittel seines Lebens zu verschlafen! Warum wir überhaupt schlafen, ist meines Wissens nicht bekannt, (ich mag mich irren), auch wenn die "Lebenspause" Schlaf wichtig ist für die Speicherung von Gedächtnisinhalten. Es mag verständlich sein, die Schlafzeit möglichst abkürzen zu wollen, etwa zur Effizienzsteigerung. Aber die innere Uhr kann man nicht überlisten, wir bleiben für immer ein Opfer unseres evolutionären Erbes. Zeitlich eingebettet in den circadianen Rhythmus ist überdies noch ein etwa 90-Minuten-Rhythmus (der "Basic Rest Activity Cycle"), der Pausen zum Beispiel nach typischen Seminardauern erzwingt. Die Sieben-Tage-Woche spiegelt vermutlich nicht einen biologischen Rhythmus wider, doch sicher ist dies auch nicht. Vielleicht sind wir auch dem Mond-Zyklus mit 28 Tagen ausgeliefert und die einzelnen Mondphasen lassen sich in vier Mal sieben Tage zerlegen, was dann zu dem Rhythmus führt, sechs Tage zu arbeiten und am siebten zu ruhen – was nicht nur für die christliche Tradition gilt.

Wenn der Schlaf, die vom circadianen Rhythmus aufgezwungene Pause im Tagesverlauf für Gedächtnisprozesse, wichtig ist, dann stellt sich die Frage, wie Wissen überhaupt in uns hinein kommt. Wie lernt man am besten? Es mag überraschen, dass pausenloses Lernen und Üben nicht die beste Option ist. In früheren Untersuchungen zur Rehabilitation von Funktionen ließ sich zeigen, dass eine zentrale Ermüdung von Funktionen wie zum Beispiel von Sehleistungen, also Verschlechterung der Leistung innerhalb einer Sitzung, zur Verbesserung von Funktionen nach eingelegten Pausen, die etwa Tage dauern konnten, führten. Dies ist durch neueste Studien bestätigt. Derartige Pausen, bei denen es zu einer zentralen Ermüdung kommt, bedingen vermutlich eine Steigerung der synaptischen Effizienz in neuronalen Systemen.

Die Fähigkeit warten zu können

Regelmäßig wird die Frage gestellt, was den Menschen in besonderer Weise von Tieren unterscheidet. In den Antworten findet sich immer wieder der Hinweis auf Sprache oder Bewusstsein. Hier darf man Zweifel haben, wenn man an einen qualitativen Unterschied denkt; quantitativ mag das richtig sein. Was aber grundsätzlich fehlt, ist der Hinweis auf eine Leistung des menschlichen Geistes, die wirklich einen Unterschied macht: Wir können warten. Menschen sind in der Lage, eine Pause einzulegen zwischen dem Auftreten eines Bedürfnisses und seiner unmittelbaren Befriedigung. Was wir Menschen auch wissen: Manchmal oder sogar oft wird die Fähigkeit des Wartens zerbrochen und wir sind unserer eigenen Gier ausgeliefert – sei es beim Essen oder anderen natürlichen Bedürfnissen.

Wartenkönnen zeigt sich auch in Plänen, die wir uns zu erfüllen wünschen. Jedes Hochschulstudium beginnt mit dem Warten auf seinen Abschluss, um nach Jahren dafür belohnt zu werden. Hier spiegelt sich das sogenannte "Reafferenzprinzip" in seiner allgemeinen Form wider: Man setzt sich ein Ziel und diese Zielsetzung bedingt eine Handlung, doch gleichzeitig wird eine Kopie der Zielsetzung abgespeichert (die Efferenzkopie). In regelmäßigen Abständen wird durch einen Vergleich zwischen Zielsetzung, der Reafferenz und der Efferenzkopie überprüft, wie weit man noch vom Ziel entfernt ist. Erst im abschließenden Examen wird die Efferenzkopie gelöscht, das Ziel ist erreicht. Das Studium ist nur eine Metapher. Unser Leben ist ein dauernder Abgleich zwischen Absichten und deren Erfüllung, zwischen wählen und (manchmal) nicht enttäuscht sein. Unser Gehirn verfügt über ein eingebautes System der Selbstüberwachung. Wenn die Ziele zu hoch gesteckt sind, wenn die Efferenzkopie nie gelöscht werden kann, dann nutzt die Pause nichts und ist vergeudet.

In dieser Pause zwischen dem Wünschen und Tun eröffnet sich auch ein Zeitraum, den der Soziologe Arnold Gehlen als "Hiatus" bezeichnet hat. In diesem Hiatus hat Mutter Natur für den Menschen ein Zeitfenster geschaffen, innerhalb dessen sich Kultur entfalten kann. Wenn man immer nur auf die augenblickliche Befriedigung eines Bedürfnisses aus ist, dann fehlt die Zeit, etwas anderes zu tun. Das "andere" kann wissenschaftliche oder künstlerische Tätigkeit sein. Man nutzt die Zeit, um seine Neugier und dem Schaffen des Neuen einen kreativen Zeitraum zu geben. Kultur als Pausenfüllung.