Essstörungen
Mehr Magersüchtige seit der Pandemie
Die Corona-Pandemie hat viele Menschen belastet, die Zahl der psychisch Erkrankten nahm zu. Auch die Zahl der an Magersucht und anderen psychosomatischen Essstörungen erkrankten Kinder und Jugendlichen ist Fachleuten zufolge gestiegen. Dadurch fehlen bundesweit Therapieplätze, sagt der Vorsitzende vom Bundesfachverband Essstörungen, Andreas Schnebel. "Auch in den stationären Einrichtungen wird es eng."
Dass seit der Corona-Pandemie mehr Jugendliche mit einer Essstörung wie Magersucht oder Bulimie behandelt werden müssen, bestätigen die Auswertungen von Krankenkassen unter ihren Versicherten. Demnach stellt die DAK-Gesundheit für 2020 eine Zunahme bei den Krankenhaus-Behandlungen wegen Essstörungen von fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr fest, unter den 15- bis 17-Jährigen sind es sogar 13 Prozent mehr. Die KKH kommt nach eigenen Angaben auf ein überproportionales Plus von rund sieben Prozent bei den 13- bis 18-Jährigen.
Eine gesicherte Erklärung haben Fachleute dafür nicht, nur eine Vermutung, die auch Dr. Patrick Nonell teilt, Chefarzt auf der psychosomatischen Station für Kinder und Jugendliche am Klinikum in Nürnberg. Gerade Mädchen, die an Magersucht erkrankten, könnten Stress oft nicht so gut verarbeiten, sagt er. In der Pandemie litten sie besonders stark unter der Verunsicherung und der Sorge, die Kontrolle zu verlieren. "Ihr Essverhalten zu kontrollieren, ist eine Form Bewältigungsstrategie, um wieder mehr Kontrolle zu bekommen."
Auch Jüngere von Essstörungen betroffen
Psychologe Schnebel sieht darüber hinaus noch eine andere besorgniserregende Entwicklung: Die Patientinnen werden jünger. Magersucht betrifft vor allem Mädchen in der Pubertät. In der Münchner Beratungsstelle Anad, die Schnebel leitet, tauchen seinen Angaben nach seit einigen Jahren aber auch immer jüngere Mädchen auf, teilweise bereits 8- oder 9-Jährige. "Das hängt damit zusammen, dass heute alles früher anfängt", auch die Pubertät und der Zugang zu sozialen Medien, sagt der Fachmann.
Verschiedene Studien stützten diese Vermutungen, sagt Silja Vocks, Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Osnabrück. Die früher einsetzende Pubertät könne dazu führen, dass die körperliche Reife möglicherweise nicht kompatibel mit der psychischen Reife sei. Gleichzeitig seien Kinder und Jugendliche immer früher in den sozialen Medien unterwegs, wo sie permanent mit geschönten Bildern konfrontiert würden. "Je fragiler das Körperbild, desto offener ist man für diesen Einfluss."
Problematisch seien vor allem spezielle Magersucht-Foren und Bilder oder Videos von ausgemergelten Teenagern unter speziellen Hashtags auf TikTok, Instagram und anderen sozialen Netzwerken, sagt die Expertin Dr. Iren Schulz von der Initiative "Schau hin!". "Da treffen sich Gleichgesinnte, die sich gegenseitig hochpushen."
Während der Corona-Beschränkungen verbrachten junge Leute noch mehr Zeit im Internet, dieses war zum Teil ihr einziger Kontakt zur Außenwelt – und auf Instagram und anderen Kanälen bekamen sie unentwegt überarbeitete Bilder von Freundinnen, Mitschülerinnen und anderen Gleichaltrigen zu sehen, wie der Münchner Psychologe Schnebel erläutert. Weil sie diese aber nicht mehr trafen, hielten sie deren geschöntes Aussehen für echt. "Die realen Vergleiche sind weggefallen."
Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), basierend auf internationalen Studien, erkranken von 1.000 Mädchen und Frauen im Laufe ihres Lebens durchschnittlich etwa 28 an einer Binge-Eating-Störung, 19 an Bulimie und 14 an Magersucht. Mindestens ebenso häufig seien Mischformen dieser Erkrankungen. Jungen und Männer sind deutlich seltener betroffen.
dpa/ckr