Illustration einer Frau, die im Büro meditiert
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Resilienz-Forscher
Menschen sind anfälliger für Stress geworden

Immer mehr und immer schneller: Der Stress in Arbeitswelt und Privatem steigt. So eine gängige These. Ein Mainzer Forscher widerspricht.

26.09.2018

Die Menschen sind nach Einschätzung eines Mainzer Stressforschers heutzutage nicht mehr Stressfaktoren ausgesetzt als früher. Vielmehr könnten sie nicht mehr so gut damit umgehen oder betrachteten sie als belastender. "Ich glaube nicht, dass die Stressoren steigen", sagte Raffael Kalisch vom Deutschen Resilienz Zentrum an der Mainzer Universitätsmedizin der Deutschen Presse-Agentur. "Ich glaube, dass sich unsere Wahrnehmung, unsere Bewertung verändert hat. Wir sind ein bisschen anfälliger geworden."

Mit Stressoren und der sogenannten Resilienz beschäftigt sich in dieser Woche eine internationale Fachtagung. Resilienz ist eine Art der psychischen Widerstandskraft bei Menschen, schwierige Situationen im Leben ohne Krankheit und bleibende Beeinträchtigung zu überstehen.

"Wir hatten in den 80er Jahren den Kalten Krieg, Angst vor Waldsterben, Atomkatastrophen, wesentlich höhere Kriminalitätsraten, die medizinischen Methoden waren damals noch wesentlich schlechter und – anders als früher – studieren Sie heute an der Uni und wissen, dass sie auf jeden Fall einen Job bekommen", sagte Kalisch. "Heute haben wir eine Verdichtung, den Informationsüberfluss, die Wahlmöglichkeiten. Das heißt aber nicht, dass die Stressoren generell mehr werden, dass es schlimmer oder schlechter wird."

Kindern wird unnötig Stress gemacht

Gleichzeitig hätten jüngere Leute heute ein "höheres Stresserleben", höhere Raten an Depressionen und Angsterkrankungen. Mit Blick auf Kinder, die in einem geregelten Umfeld aufwachsen, sagt er: "Das hat damit zu tun, dass wir weniger resilient aufwachsen – etwas verwöhnt, stärker beschützt, oft gibt es weniger Gelegenheit, sich zu bewähren." Zudem würden vom Umfeld hohe Erwartungen gestellt. "Es ist erstaunlich, was Kinder zum Teil in der Schule schon an Angst eingeimpft bekommen zu ihrer Zukunft, obwohl die Zukunftsaussichten objektiv viel besser sind als früher", betonte der Humanbiologe Kalisch.

Früher sei Resilienz als unveränderlicher Wesenszug betrachtet worden, sagte Kalisch. Mittlerweile wisse man, dass sich Menschen in schwierigen Lebenssituationen veränderten – die, die gesund bleiben, und die, die krank werden. "Die Leute können Fähigkeiten entwickeln, mit solchen Situationen umzugehen." Wie das funktioniere, müsse noch genauer herausgefunden werden – was passiere im Hirn, Immunsystem, vielleicht auch im Darm und ermögliche Menschen, gesund zu bleiben.

dpa/kas