Lächelnde Seniorin mit Corona-Schutzmaske gibt das Daumen hoch-Zeichen
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Krisen-Narrative
Mit "positivem Framing" aus der Corona-Krise

Wie wir von Katastrophen erzählen, beeinflusst unser Handeln. Eine Literaturwissenschaftlerin zeigt einen sprachlichen Weg aus der Corona-Krise.

Von Claudia Krapp 29.01.2021

Forschung & Lehre: Frau Professorin Horn, zur Corona-Krise im derzeitigen Ausmaß kam es auch wegen mangelnder Prävention. Sie sagen, die notwendigen evidenzbasierten Katastrophenpläne zur Bekämpfung solcher Krisen existieren durchaus, die Menschen setzen sie aber nicht um. Warum ist das so?

Eva Horn: Das sind die Paradoxien der Vorsorge. Funktionierende Prävention ist nicht sehr attraktiv, weil man sie nicht sieht, und fehlende Vorsorge wird erst retrospektiv ersichtlich. Bezogen auf die Covid-19-Krise hätten viel mehr Vorräte an medizinischem Material angelegt werden müssen, mehr intensivmedizinische Betten hätten leer stehen müssen, die Grenzen hätten früher geschlossen und Hotspots kontrolliert evakuiert werden müssen. Vermutlich gab es solche Pläne für das Gesundheitswesen. Sie wurden aber nicht umgesetzt, weil sie teuer sind und unwirtschaftlich erscheinen, solange der Katastrophenfall noch nicht eingetroffen ist. Außerdem ist kein Plan wasserdicht. Katastrophen setzen sich in die Ritzen von Krisenplänen und machen sich in den kleinsten Schwachstellen breit. Teils geht es nicht anders, teilweise müsste man sehr viel Geld in die Hand nehmen, um diese Löcher zu stopfen.

Portraitfoto von Prof. Dr. Eva Horn
Prof. Dr. Eva Horn hat den Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur an der Universität Wien inne. In ihrem Buch "Zukunft als Katastrophe" beschreibt sie das Verhältnis des Menschen zur Apokalypse. Eva Horn/Helmut Grünbichler

F&L: Aus Erfahrungen mit früheren Pandemien wie Sars hätte man lernen können. Warum ist das nur teilweise geschehen?

Eva Horn: In Asien hat es einige gute Strategien einzelner Länder wie Südkorea und Taiwan gegeben, die auf die Erfahrung aus früheren Epidemien zurückgreifen konnten. Diese haben sich sehr früh abgeriegelt, was für eine Insel wie Taiwan leichter ist als für einen Staat auf dem Festland. Südkorea oder Singapore haben ein gutes Kontaktnachverfolgungssystem eingerichtet. Aber dies sind reiche und technikaffine Länder mit einem etwas lockereren Verhältnis zum Datenschutz. In Europa hat der Datenschutz einen ganz anderen Stellenwert. Mit einer Pandemie wie Corona hatte in Westeuropa zudem zuvor noch keiner zu tun. Die Spanische Grippe ist zu lange her und wurde zu schlecht gemanagt als das daraus ein historisches Gedächtnis hätte entstehen können, auf dem man hätte aufbauen können. Dass nicht alle Länder so schnell und umfassend reagiert haben, ist aber nicht nur auf mangelnde Erfahrung, fehlende Informationen oder andere Prioritäten zurückzuführen, sondern auch zu einem großen Teil auf Naivität und Ignoranz.

F&L: Woran hakt es bei der Erstellung und Umsetzung von Präventionsplänen?

Eva Horn: Die Pläne sind grundsätzlich immer nur so gut, wie die Menschen, die sie umsetzen, und soweit die Prognosen auch stimmen. Die Erfahrungen von SARS aus Asien wurden nicht richtig in den Rest der Welt transferiert. Dadurch hat sich zum einen niemand diese Art von Desaster vorstellen können, zum anderen wurden die nationalen Pläne und Maßnahmen auf lokaler Ebene nicht oder schlecht umgesetzt. In der konkreten Situation passiert dann das Missmanagement. Das hat zum Beispiel die viel zu späte, dann aber völlig chaotische Reaktion auf die Infektionsfälle in Ischgl gezeigt, als alle Touristen und Tourismus-Beschäftigten gleichzeitig und unkontrolliert zur Abreise gezwungen wurden. Das hat zu einer stärkeren Verbreitung des Virus geführt, als es eine lokale Eindämmung getan hätte. Auch sind nicht alle Personen mit Symptomen in Isolation geblieben bis ein mobiles Testteam zu ihnen kam, weil die zuständige Hotline und die Testteams heillos überlaufen und überfordert waren. Im Detail ist die Umsetzung solcher Krisenpläne hochkompliziert und keine Katastrophenplanung kann das umfassend antizipieren. Es hängt immer an der lokalen Implementierung, und der Föderalismus – jede Region kümmert sich um sich selbst – ist bei solchen flächendeckenden und schnellen Desastern ein zusätzliches Problem.

"Ein Beispiel von misslungenem Framing sind die medial aufgebauschten Kontroversen zwischen einzelnen Wissenschaftlern."

F&L: Inwiefern ist das Verhalten der Menschen beeinflussbar durch die öffentliche Darstellung der Krise?

Eva Horn: Das sogenannte Framing, die Präsentation des Krisenmanagements in der Öffentlichkeit, kann sicherlich das Handeln der Bevölkerung beeinflussen. Entscheidend ist der Kontext der Berichterstattung. Die Einführung der Impfstoffe wurde zum Beispiel begleitet von Berichten, wie schnell die Entwicklung ablief. Gemeint war das sicherlich größtenteils als Heldenlied auf die Wissenschaft, bei der Bevölkerung kam es aber eher als verantwortungsloses Herumexperimentieren unter Zeitdruck an. Hinzu kommt eine fatale Wissenschaftsskepsis in Teilen der Bevölkerung, nicht selten sogar bei Menschen aus dem Gesundheitswesen. Diese Skepsis füttert die irrsten Verschwörungstheorien und wird zunehmend auch in gebildeten Kreisen salonfähig. Ein anderes Beispiel von misslungenem Framing sind die medial aufgebauschten Kontroversen zwischen einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, vor allem zu Beginn der Pandemie. Die Uneinigkeit wurde hier stark betont, jedoch nicht als etwas, was legitim zu Wissenschaft gehört und diese voranbringt, sondern als private Fede zwischen eitlen Kampfhähnen und Streithammeln, etwa zwischen Streeck, Kekulé und Drosten. Meiner Beobachtung nach hat das dazu geführt, dass sich jeder und jede für hinreichend gebildet hält, seine eigene Expertin beziehungsweise sein eigener Experte zu sein. Informationen zum Virus finden sich überall. Es wird nur immer schwerer zu entscheiden: Was ist wirklich wissenschaftlicher Kenntnisstand und was ist Pseudo-Wissenschaft? Statt eines Vertrauens in wissenschaftliche Qualitätssicherung glaubt nun jede und jeder, sich ein Urteil bilden zu können. Gleichzeitig wird faktisches Wissen ignoriert, wenn es nicht ins eigene Bild passt. Eine gefährliche Tendenz zur Besserwisserei unter Laien gemischt mit Wissenschaftsskepsis.

F&L: Diese Kommunikation ging also nach hinten los. Wie müsste ein Framing stattdessen aussehen, damit mehr Menschen den Handlungsempfehlungen folgen?

Eva Horn: Sicherlich ist gute Wissenschaftskommunikation, wie sie zum Beispiel Professor Drosten betreibt, ein wichtiger Pfeiler. Gerade die wissenschaftlichen Kontroversen unter Expterinnen und Experten, die nicht mehr auf Fachtagungen, sondern zunehmend in der Öffentlichkeit geführt werden, müssten anders kommuniziert werden. Viele Nicht-Wissenschaftler verstehen nicht, dass Wissenschaft immer auch etwas mit Unsicherheit, zu revidierenden Theorien und Nicht-Wissen zu tun hat. Wir lernen täglich Neues über den Erreger von Covid-19. Und auf dieser sich ständig weiter entwickelnden Basis müssen Politikerinnen und Politiker unter höchstem Zeitdruck Entscheidungen fällen – ohne wirklich genau absehen zu können, was deren Folgen sind. Daher müsste die mediale Darstellung viel mehr darauf verweisen, dass diese Personen – Forschende wie Regierende – nach bestem Wissen und Gewissen handeln. Wissenschaft ist das Beste was wir haben, aber nicht die ultimative Wahrheit. Um dieses Verständnis müssen wir im Framing der Krise ringen.

F&L: Mit welcher Erzählweise könnte man die Impfbereitschaft erhöhen?

Eva Horn: Hierbei ist es wichtig, zu zeigen, wer sich impfen lässt und wie viele das sind. Statt auf Fehlern in Lieferketten und Verteilungsproblemen herumzureiten, sollten Medien über die Menschen berichten, die sehnlichst darauf warten, geimpft zu werden. Mittlerweile gibt es virtuelle Wartelisten für Impfbereite. Solche Tools mit verlässlichen Zahlen zur Impfbereitschaft sollte man überall einführen und darüber auch berichten. Ebenso persönliche Geschichten und regen Andrang in Impfzentren. Das würde die Skepsis sicherlich bei denjenigen abmildern, die noch nicht ins Camp der Verschwörungstheoretiker abgedriftet sind. Nachbarinnen und Nachbarn oder Bekannte könnten hier als Influencer dienen und ihre Mitmenschen zur Nachahmung animieren. Das heißt nicht, dass Youtuber oder Personen aus der Politik oder dem Spitzensport nun bevorzugt werden sollen, sondern dass diejenigen, die derzeit in der Impfreihenfolge dran sind, medial sichtbar werden, zum Beispiel die Oma, die sich freut, ihren Enkel wieder zu umarmen. Ein positives Framing der Impfung als etwas ganz Normales, was jeder haben will.

"Nachbarn und Bekannte könnten hier als Influencer dienen und ihre Mitmenschen zur Nachahmung animieren."

F&L: Wie erklären Sie sich, dass ausgerechnet beim medizinischen Personal viele Impfskeptiker sind?

Eva Horn: Das sind Besserwisser mit einem überdurchschnittlichen medizinischen Wissen im Vergleich zur Normalbevölkerung, die ihre eigene Kompetenz aber heillos überschätzen. Das trifft auch auf Lehrkräfte sowie Therapeutinnen und Therapeuten zu, die mehr wissen über Gesundheit als ein Laie. Sie wissen aber viel zu wenig, um die Sicherheit eines Impfstoffs einzuschätzen. Die Psychologie nennt das den "Dunning-Kruger-Effekt": Gerade wenn man wenig Ahnung hat, überschätzt man seine Ahnung.

F&L: Welche Rolle spielen Narrative des prinzipiellen Widerstands gegen "die da oben" bei Querdenkern und Corona-Leugnern?

Eva Horn: Verschwörungstheorien sind zunächst einmal der Versuch, die Dinge anders zu sehen und der "Elite des Wissens" zu misstrauen. Ihr wird gleichzeitig Dummheit und Bosheit unterstellt. "Die da unten" versuchen, sich selbst eine eigene Wahrheit gegen die von "oben" verbreiteten Informationen zu konstruieren. Im Kern geht es um die Hoheit über Wissen und Wahrheit. Aus trüben, alternativen Wissensquellen erhalten die Verschwörungstheoretiker derzeit leider viel Futter. Wer dadurch nicht mehr an die offiziellen Zahlen zu Corona-Infizierten und Corona-Toten oder die Schwere der Erkrankung glaubt, kann mit dieser Sichtweise auch die eigene Angst vor der Krankheit überdecken. Diese Personen machen sich keine Sorgen, weil sie es ja vermeintlich besser wissen. Diese Einschätzung wäre sehr wahrscheinlich bei den meisten anders, wenn sie die Krankheit hätten oder in ihrem Umfeld erleben müssten. Nicht ohne Grund werden derzeit auch so viele Krankengeschichten medial erzählt, um ihr Ausmaß für bislang nicht betroffene Personen greifbarer zu machen.

"Mehr wissen, informiert entscheiden"

Das Informationsbedürfnis und die Unsicherheit über die Impfung gegen Covid-19 sind in weiten Teilen der Bevölkerung groß. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) will dem entgegenwirken und hat in einem Internetdossier Informationen aus der Wissenschaft zu Nutzen und Nebenwirkungen der Impfung zusammengestellt. Dort beantworten Expertinnen und Experten die häufigsten Fragen.

F&L: Sie sagen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind nicht die besten Kommunikatoren, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu transportieren. Besser wäre jemand wie Greta Thunberg. Wer könnte das bei Corona sein?

Eva Horn: Es gibt ja durchaus tolle Wissenschaftskommunikatoren wie Harald Lesch oder Christian Drosten. Um verlässliches Wissen in die Breite der Bevölkerung zu tragen und mehr als nur einzelne Zielgruppen zu erreichen, gilt es darüber hinaus, Protagonisten zu finden, die persönlich betroffen sind. Robustes Wissen zum Klimawandel haben wir zum Beispiel seit 30 Jahren, aber erst "Fridays for Future" hat es wirklich in die Breite getragen. Die Bewegung hat deshalb so eine Wucht, weil es junge Menschen sind, die die Folgen der Klimakrise werden ausbaden müssen. Das verleiht ihren Forderungen eine ganz andere Dramatik. Natürlich wäre das ohne Kommunikatoren aus der Klimawissenschaft nicht möglich gewesen. Aber "Fridays for Future" ist es gelungen, das Thema "viral" zu machen und in ihre Familien hereinzutragen. Bei Covid-19 ist das natürlich viel schwieriger, weil die Betroffenen ganz vereinzelt sind: Personen mit einem schweren Krankheitsverlauf und Langzeitschäden. Trotzdem ist es wichtig, deren Geschichten zu erzählen, ebenso von Personen, die ganz unmittelbar von einer Impfung profitieren. Jede Werbung funktioniert besser über die Credibility von Betroffenen, das gilt auch für Wissenschaftswerbung.

F&L: Forschende und Forschungseinrichtungen verpacken ihr Pandemie-Wissen gerne in medial unattraktive, nüchterne Statistiken, Modelle und Szenarien. Was kann das Wissenschaftssystem selbst tun, um seine Erkenntnisse effektiver in die Welt zu tragen?

Eva Horn: Es gibt ja gute Formate wie Drostens Podcast und viele Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Medien, die während der Corona-Pandemie die Wissenschaftssprache schnell und verständlich übersetzen. Nicht zu vergessen neuere Youtube-Formate wie Mai Thi Nguyen-Kim. Viele seriöse Forschende haben auch eine gut gepflegte und informative Twitter- oder Facebook-Seite. Natürlich liegen Social Media nicht jedem, einige haben eine Abneigung gegen diese vermeintlich "unterkomplexe" Wissenschaftskommunikation. Oft ist das auch eine Generationenfrage, ich selbst bin furchtbar schlecht damit. Aber insgesamt sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mehr über diese Kanäle kommunizieren. Diese sogenannte Third Mission des Wissenstransfers wird bislang an den Unis zwar oft gepredigt, aber meist wenig gewürdigt. Es fehlt an Medienkursen und Anreizen, sich diese kommunikativen Fähigkeiten anzueignen und dafür Arbeitsaufwand zu betreiben. Solange sich das nicht ändert, etwa über Anerkennung von Outreach-Aktivitäten bei Berufungen oder in Karriereverhandlungen, werden die meisten Forschenden sich die Arbeit sparen.

F&L: Die Klimakrise ist verglichen mit Corona eine langsame Katastrophe. Welche Rolle spielt beim Vermitteln und Reagieren die Geschwindigkeit und Dringlichkeit von Krisen?

Eva Horn: Das ist ein zweischneidiges Schwert. Natürlich entstehen bessere Lösungen, wenn mehr Zeit für deren Entwicklung zur Verfügung steht. Oft genug kommt es aber auch zu gar keiner Lösung, wenn die Dringlichkeit fehlt. Insofern ist die Corona-Krise hoffentlich ein "glücklicher Moment" des Neustarts, insofern wir die Notwendigkeit präventiven Handelns von Corona auf die Klimakrise übertragen. Die Post-Corona-Lage könnte radikalere Umbrüche möglich machen als zuvor, weil wir gelernt haben, dass vieles auch anders geht. Man kann nur hoffen, dass es gelingt, dieses Bewusstsein von Machbarkeit und Veränderbarkeit in die Post-Corona-Zeit herüberzuretten.