Mann arbeitet am Laptop
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Standpunkt
Recht strebt konsequent in die digitale Welt

Immer mehr Arbeitsprozesse werden in der Rechtswissenschaft standardisiert. Diese Entwicklung sollten Juristen aktiv mitgestalten.

Von Stephan Breidenbach 14.08.2019

Verzögert ist die Digitalisierung im gallischen Dorf gelandet. Unter dem Namen Legal Tech löst sie Begeisterung, Ängste oder Ablehnung unter Juristen aus. Dabei liegt es auf der Hand. Recht besteht aus Regeln. Und Regeln sind eine Form von Code. Sie beschreiben eine rechtliche Prüfung, einen Prozess oder eine Berechnung. Dabei benötigt Recht oft nur Daten, also digitalisierbare Eingaben.

Rechtliche Texte – zum Beispiel Verträge oder Verwaltungsentscheide – enthalten wiederkehrende Elemente. Sie lassen sich als Bausteine standardisieren und werden Teil digitaler, von Daten gesteuerter Fertigungsstraßen. Sie werden 'industrialisiert' und, wo möglich, automatisiert. Das Schicksal von Regeln ist Code: Recht strebt konsequent in die digitale Welt.

Automatisierte Schritte und standardisierte Bausteine werden zu einer effektiveren und oft besseren Produktion von Recht genutzt. Und: Digitale Werkzeuge sollen eher unterstützen und dem Menschen Raum für Bewertungen und Unvorhergesehenes lassen. Richtig eingesetzt ermöglichen sie bisher nicht lohnende Rechtsdienste für Verbraucher, zum Beispiel bei Fluggastrechten oder Vertragsgestaltungen von der Stange statt teurer Anwaltsstunden für Unternehmen.

Daten automatisch extrahieren

Künstliche Intelligenz (KI), vor allem Machine Learning, ermöglicht Juristen, große Textmengen gezielter zu durchsuchen, Muster zu erkennen und wertvolle Daten automatisch zu extrahieren. Das ist oft sehr effektiv, aber nicht das, was allgemein bei dem Stichwort KI für Juristen assoziiert wird. Stattdessen kommt sofort die Sorge auf, die Maschine werde den Anwalt oder gar den Richter ersetzen, eine Diskussion zwischen Hype und Angst. Robo-Richter!?

Rechner können nicht denken. Sie bewältigen nur gelegentlich Aufgaben, die so aussehen, als könnten sie das. Dabei lenkt diese Diskussion von der fundamentalen Veränderung ab: wie stark sich die Welt des Rechts gerade verändert – und welche großen Anforderungen die sich schnell verändernde Welt an Recht stellt. Wir nehmen erst die ersten, noch unterschätzten Vorläufer wahr. Recht wird weitgehend industrialisiert werden.

Statt Kreativität und unternehmerischen Elan durch überbordende Bürokratie zu bremsen, werden Regeln automatisiert und dann im nächsten Schritt unsichtbar. Recht wird eingebettet in Transaktionen und in demnächst nutzerfreundliche Blockchains – embedded law. Ein Alptraum, in dem eine unsichtbare Regulierung unser Leben noch mehr gängelt und fremdbestimmt? Das Mittel dagegen ist Transparenz und Partizipation.

Eine lernende Gesellschaft steht vor der Chance, unsere Systeme im Prozess der Digitalisierung zu überprüfen und ohne Denkverbote und eingefrorene Routinen zu gestalten, freundlich für Bürger und Unternehmen. So nehmen wir die Zukunft des Rechts in die Hand, statt zu hoffen, dass sie vorbei geht.