Ein aufgeschlagenes Buch
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Buchtipps
Schon gelesen?

Endlich wieder Zeit für ein gutes Buch. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben uns verraten, welche Bücher sie beigestert haben.

22.12.2019

Michael Wolffsohn empfiehlt: Jan Christian Gertz: Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1–11. Vandenheock & Ruprecht, 2018

Portraitfoto von Prof. Dr. Michael Wolffsohn
Michael Wolffsohn ist emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München. Michael Wolffsohn

Ob es gefällt oder nicht: Religion ist welthistorisch und -politisch ein immens wichtiger Faktor. Wie will wer auch immer den notwendigen "interreligiösen Trialog" ohne Bibel-Kenntnisse oder gar Wissen über die Schöpfungsgeschichte im Buch "Genesis" führen? Es ist die Menschheitsgeschichte schlechthin. Jan C. Gertz' Genesis-Buch bietet hierzu Enzyklopädisches. Einführung, Aufbau, Art, Präsentation und Qualität des Gertz-Buches sind "die" wissenschaftliche Ergänzung des klassisch-jüdischen Raschi (1040-1105)-Bibelkommentars – auf der Grundlage historisch-kritisch-theologischer Analyse. Geisteswissenschaft – "hier wird’s Ereignis".


Frauke Rostalski empfiehlt: Max Frisch: Stiller. Roman. unter anderem im Suhrkamp Verlag
und Romanzyklus "Ortsumgehung" von Andreas Maier, bisher erschienene Bände: "Das Zimmer", "Das Haus", "Die Straße", "Der Ort", "Der Kreis", "Die Universität", "Die Familie", Suhrkamp Verlag.

Portraitfoto von Prof. Dr. Frauke Rostalski
Frauke Rostalski ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln. privat

"Stiller, die Hauptperson, vergißt man nicht wieder, er ist keine Romanfigur, sondern ein Individuum, ein in jedem Zug erlebter und überzeugender Charakter", schrieb Hermann Hesse über den Roman, den Klassiker, das Ereignis, das ich empfehlen möchte. Und es stimmt: Man vergisst Stiller nicht – in seinem Kampf um die Anerkennung dafür, selbst über die eigene Identität zu entscheiden, zu definieren, wer er ist, welches Leben er führt und geführt hat. Neben all die anderen Gründe, die Max Frischs "Stiller" ganz zu Recht zu einem Meilenstein deutscher Literaturgeschichte machen, tritt dieser Konflikt zwischen Fremd- und Selbstbild, zwischen Freiheit und Zwang im Hinblick auf die wohl intimste Angelegenheit eines jeden: die eigene Person. In seiner Aktualität ist das Thema zeitlos. Und so verwundert nicht, dass auch Andreas Maier in seiner bislang noch unvollendeten "Ortsumgehung" immer wieder darum kreist. Dabei muss man nicht selbst aus der schönen Wetterau stammen, um in den Sog seiner Erzählkunst zu geraten, die den Leser bzw. die Leserin suchtartig von Band zu Band fiebern lässt – wenngleich eben diese Ortsverbundenheit auch nicht schadet.


Cornelia Koppetsch empfiehlt: Stefanie Graefe: Resilienz im Krisenkapitalismus. Wider das Lob der Anpassungsfähigkeit. transcript Verlag, 2019

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Cornelia Koppetsch hat eine Professur für Geschlechterverhältnisse, Bildung und Lebens­führung am Institut für Soziologie der Technischen Universität Darmstadt inne. Jan-Christoph Hartung

Wer sich für Gegenwart und Zukunft des Subjekts in der "neoliberalen" Gegenwart interessiert, findet hier wertvolle Anregungen. Galt das ideale Subjekt noch bis in die 1990er Jahre hinein als unternehmerisch, durchsetzungsfähig und uneingeschränkt eigenverantwortlich – also unverkennbar mit männlichen Attributen ausgestattet – so zeichnet sich mit der aktuellen Konjunktur des Resilienz-Begriffs eine interessante Trendwende ab: Offenkundig hat die Aura selbstgewisser Autonomie ein wenig an Strahlkraft eingebüßt. Das moderne Subjekt muss sich scheinbar auf alles gefasst machen, sich irgendwie wappnen – gegen Überforderungen, gesellschaftliche Krisen, Traumata. Gleichzeitig wird ihm bedeutet, dass seine Verletzlichkeit allein eine Frage seiner psychischen Verfassung ist. Eine brilliante Analyse, die nicht nur als Dia­gnose taugt, sondern darüber hinaus auch gesellschaftliche und politische Wege aus der destruktiven Selbstbezüglichkeit aufzeigt.


Günter M. Ziegler empfiehlt: Douglas Adams: The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy.
unter anderem als broschiertes Buch im Verlag Pan Macmillan, 2016

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Günter M. Ziegler ist Präsident der Freien Universität Berlin. Kay Herschelmann

In Zeiten des Brexit lohnt sich die Vertiefung in absurden britischen Humor, wie er sich etwa in dem vor 40 Jahren erschienenen Roman The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy von Douglas Adams zeigt, erster Band einer inzwischen sechsbändigen "Trilogie". Nirgendwo sonst wird so unbekümmert gleich zu Beginn die Erde zerstört (um einer überflüssigen Hyperraum-Umgehungsstraße Platz zu machen) oder werden so fundamentale Fragen wie die nach Life, the Universe and Everything so klar und überzeugend beantwortet: "42". Nur, wie lautete eigentlich genau die Frage?


Iris Gräßler empfiehlt: Dieter Krause / Nicolas Gebhardt: Methodische Entwicklung modularer Produktfamilien. Hohe Produktvielfalt beherrschbar entwickeln, Springer, 2018

Portraitfoto von Prof. Dr. Iris Gräßler
Iris Gräßler ist Inhaberin des Lehrstuhls für Produktentstehung am Heinz Nixdorf Institut der Universität Paderborn privat

Wie entwickelt man individuelle Produkte zu geringen Kosten? Dieser Balanceakt stellt eine zentrale Herausforderung in der Entwicklungspraxis dar. Die Autoren Krause und Gebhardt fassen die wesentlichen Lösungsansätze zur Komplexitätsbeherrschung und -reduktion anschaulich zusammen. Dabei schöpfen sie aus der eigenen wissenschaftlichen Forschung sowie der gelebten Praxis im Maschinen- und Anlagenbau. Anstelle von Einzelprodukten betrachten sie gesamte Produktfamilien und eröffnen dadurch eine neue Sicht auf die Modularisierung. Es ist eine Freude, das Buch zu lesen. Es vermittelt den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik.


Thomas Naumann empfiehlt: Stefan Heym: Der König David Bericht, unter anderem als Fischer Taschenbuch

Portraitfoto von Prof. Dr. Thomas Naumann
Thomas Naumann ist Leiter der Gruppe Teilchen­physik am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Zeuthen. privat

Stefan Heyms "König David Bericht" entführt uns in die Zeit König Salomos. Der Historiker Ethan, ein Autor der biblischen Bücher Samuel, Könige und Chroniken, soll im Auftrag Salomos den Einen und Einzigen Wahren Bericht über den Erstaunlichen Aufstieg von König David, seinem Vater, verfassen. David erweist sich aber als übler Machtpolitiker. Unter dem Vorwand, im Auftrag des HERRn zu handeln, intrigiert und mordet er bedenkenlos. König Salomo lässt Ethan verbannen und gibt ein Liebeslied Ethans für seine Frau Lilith als das Hohe Lied aus. Der König David Bericht lässt uns die Heilige Schrift ganz neu und mit einem Blick auf heutige Machtpolitik lesen.


Michael Suda empfiehlt: Wilfrid Lupano / Grégory Panaccione: Ein Ozean der Liebe. Verlag Splitter, 2016

Portraitfoto von Prof. Dr. Michael Suda
Michael Suda ist Professor für Wald- und Umweltpolitik an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Technischen Universität München. privat

Welche Bücher, die ich so in letzter Zeit gelesen habe, könnten auch andere interessieren? Laufbücher – für Nichtläufer ohne jeden Anknüpfungspunkt; Waldbücher – alle viel zu speziell oder total umstritten; Krimis – ohne viel Erinnerung, Fastfood. Da will ich mal ehrlich sein, eigentlich entspanne ich mich nicht beim Lesen. Als Wissenschaftler, der fast nur kritisch lesen darf, ist dieser Zugang zur Welt häufig erschwert – aber da war doch was, das Buch "Ein Ozean der Liebe": faszinierend, tiefe Spuren der Erinnerung, ein Bilderbuch voller Leben, das ganz ohne Worte auskommt. Ein Stoffgemisch aus Liebe und Fantasie, das die menschliche Existenz humorvoll und tiefsinnig beleuchtet.


Ines Geipel empfiehlt: Philippe Lançon: Der Fetzen. Klett-Cotta Verlag, 2019

Portraitfoto von Prof. Ines Geipel
Ines Geipel ist Professorin für Deutsche Verskunst an der Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch". Amac Garbe

"Der Fetzen" von Philippe Lançon ist ein hartes, konsequentes, physisches Buch, ein notwendiges. Es führt in die Leere, der jeder ausgesetzt ist, der die Katastrophe erlebt. Der Autor selbst wurde Opfer des Pariser Attentats vom 7. Januar 2015 auf die Redaktion von Charlie Hebdo, bei dem zwölf Menschen starben. Er wurde schwer verletzt, sein Unterkiefer zerschossen. Sein Text nun wird zur versuchten Rekonstruktion, bei der Philippe Lançon ein einziger Kompass bleibt – der eigene Schmerz. Er ist es, der ihm den Weg aus der unsagbaren Erfahrung weist. Lançon schenkt dem Leser dabei nichts. Sein Körper ist zerfetzt, seine Seele fühlt sich an wie "zerschlissenes Gewebe", "die Nerven zwischen Herz und Erinnerung, zwischen Herz und Körper scheinen gekappt", der Verletzte fängt an, sich an seinen Narben schuldig zu fühlen. An einer Stelle heißt es: "Wer die Seelenstärke des zum Patienten gewordenen Opfers preist, hat Angst davor, was deren Fehlen ihm offenbaren könnte."