Frau telefoniert über Laptop und Webcam mit ihrem Kollegen
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Psychologie
"Soziale Unterstützung hat mehrere Dimensionen"

Wie wirkt sich die Coronavirus-Pandemie auf die sozialen Beziehungen zwischen Hochschulangehörigen aus? Ein Gespräch mit einem Arbeitspsychologen.

Von Claudia Krapp 04.04.2020

Forschung & Lehre: Herr Professor Zacher, durch die Coronavirus-Pandemie finden derzeit an allen deutschen Hochschulen keine Lehrveranstaltungen mehr in Präsenzform statt. Viele Unis befinden sich auch mit der Forschung im Notbetrieb, auch die Universität Leipzig, an der Sie arbeiten. Welche Folgen hat das für Sie persönlich?

Hannes Zacher: Mein Team und ich starten, wie die gesamte Universität, digital ins Sommersemester. Als Studiendekan der Psychologie tausche ich mich mit meinen Kolleginnen und Kollegen über "Best-Practices" in der digitalen Lehre aus – das ist eine neue und aufregende gemeinsame Erfahrung. Meine Vorlesung zeichne ich auf und stelle sie den Studierenden als Video über einen Streamingdienst zur Verfügung. Literatur und Materialien werden über eine Online-Plattform bereitgestellt. Für unsere Seminare, Übungen und Sprechzeiten nutzen wir ein Videokonferenzsystem, um mit den Studierenden zu diskutieren. Es ist eine Umstellung, aber wir lernen auch viel und finden auch Gefallen an den neuen Formaten. In der Forschung müssen wir uns auch an die aktuelle Situation anpassen. Statt Laborstudien führen wir nun verstärkt Online-Studien durch. Unter anderem haben wir eine Längsschnittstudie, für die wir bereits Daten im Dezember und März erhoben haben, inhaltlich erweitert und stellen nun auch Fragen zur Bewertung und Bewältigung der Covid-19 Pandemie. Wir wollen verstehen, wie sich in den letzten Wochen das Erleben und Verhalten von Menschen im Arbeitskontext durch die Pandemie verändert hat und was die psychologischen Ursachen und Bedingungen für mögliche Veränderungen sind.

Portraitfoto von Prof. Dr. Hannes Zacher
Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Leipzig. Universität Leipzig/Swen Reichhold

F&L: Wie Sie stellen nun viele Dozierende auf digitale Lehrformate um. Welche zwischenmenschlichen Aspekte gehen dabei verloren und wie lassen sich diese digital umgehen oder auffangen?

Hannes Zacher: Der persönliche Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden lässt sich nicht so einfach ersetzen. Im Vorlesungssaal und Seminarraum kann man Ideen und Argumente besser gemeinsam entwickeln und interaktiver and spontaner arbeiten als in einer Videoaufzeichnung oder -konferenz. Als Lehrender kann ich die emotionalen Reaktionen der Studierenden besser beobachten und für Studierende hat das Nebeneinandersitzen im Vorlesungssaal auch eine wichtige soziale Funktion. Als Lehrender mache ich oft in meinen Veranstaltungen von Übungen gebrauch, bei denen Studierende aufstehen, sich zwischen verschiedenen Räumen bewegen und in Kleingruppen zusammenfinden sollen. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass digitale Lehrformate diejenigen Studierenden benachteiligen, die zuhause keine entsprechende technische Ausstattung und eine schnelle Internetverbindung haben. Andererseits bieten digitale Lehrformate die Chance, neue und wichtige Lehr- und Lernkompetenzen zu erwerben, wie zum Beispiel das Aufstellen von Gesprächsregeln bei Videokonferenzen, sowie den Erfordernissen der Krisensituation nach physischer Distanz gerecht zu werden. Es gibt mittlerweile auch Videokonferenzsysteme, die Abstimmungen, eine digitale Tafel und das Bilden von Kleingruppen ermöglichen. Nichtsdestotrotz bin ich davon überzeugt, dass sich die meisten Lehrenden und Studierenden sehr freuen werden, wenn es endlich wieder Präsenzveranstaltungen und persönlichen Austausch an der Universität gibt. Aber ich vermute auch, dass die jetzigen Erfahrungen dazu führen werden, dass digitale Lehr- und Lernformate in Zukunft eine größere Akzeptanz erfahren als bisher.

F&L: Durch das Coronavirus wurden auch vorrübergehend wissenschaftliche Tagungen und Konferenzen abgesagt. Für gewöhnlich ist das Networking bei diesen Veranstaltungen zentrales Element. Was bewirkt der fehlende Austausch zwischen den Wissenschaftlern?

Hannes Zacher: Es gibt natürlich die Möglichkeit, nationale und internationale Tagungen über Videokonferenzsysteme abzuhalten. Aber das persönliche Networking, bei dem man sein Gegenüber direkt sieht, hört und kennenlernt, lässt sich dadurch nicht so einfach ersetzen. Die Absage von Konferenzen ist natürlich insbesondere für Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler eine große Enttäuschung, weil Konferenzen nicht nur den Austausch von Wissen, sondern auch das informelle Kennenlernen der wissenschaftlichen Community, insbesondere verschiedene Persönlichkeiten, Meinungen und Normen, ermöglichen. Durch eine gute Präsentation und interessante Gespräche kann man einen bleibenden positiven Eindruck bei Kolleginnen und Kollegen hinterlassen, was für die wissenschaftliche Laufbahn hilfreich sein kann. Das ist digital noch schwierig zu ersetzen. Andererseits bin ich auch der Überzeugung, dass in Zukunft aus ökologischen Gründen alle großen Konferenzen nur noch alle zwei oder drei Jahre stattfinden und vermehrt Videokonferenzen oder kleinere und regionale Formate genutzt werden sollten. Die Corona-Krise zwingt uns dazu, diese neuen Möglichkeiten auszuprobieren und Erfahrungen zu sammeln.

"Gerade in der Krise ist es wichtig, nicht im Homeoffice 'abzutauchen', sondern sich aktiv zu verabreden."

F&L: Wie können sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dennoch Bestätigung von Kolleginnen und Kollegen holen?

Hannes Zacher: Mit meinem engsten wissenschaftlichen Kooperationspartner tausche ich mich tatsächlich nur per E-Mail aus und wir unterhalten uns nur sehr selten per Videokonferenz. Aber gerade in der aktuellen Krise ist es wichtig, nicht im Homeoffice "abzutauchen", sondern sich aktiv mit Kolleginnen und Kollegen über Skype, Zoom und Co. zu verabreden. Neben dem Austausch von Wissen und Erfahrungen ist dabei natürlich auch der soziale Kontakt und Unterstützung wichtig. Ich kann auch soziale Medien wie Twitter oder ResearchGate für Wissenschaftler sehr empfehlen – diese ermöglichen nicht nur das Einstellen aktueller Publikationen, sondern auch das Verbreiten und Kommentieren von interessanten Forschungsergebnissen. Und sie können dabei helfen, sich als Wissenschaftler mit einer größeren sozialen Gemeinschaft zu identifizieren.

F&L: Die Arbeit des wissenschaftlichen Personals an Hochschulen lässt sich häufig nicht ins Homeoffice verlegen, die der Abteilungsleiter und Professorinnen schon. Wie können Führungskräfte an den Universitäten ihre Mitarbeiter aus dem Homeoffice unterstützen?

Hannes Zacher: Während der Corona-Krise und der Gültigkeit der Allgemeinverfügung im Freistaat Sachsen haben alle meine wissenschaftlichen Mitarbeitenden und auch unsere Sekretärin einen Homeoffice-Vertrag mit mir abgeschlossen. Tatsächlich war ich als Dienstvorgesetzter in den letzten Wochen der Einzige im Büro, und konnte in Ruhe arbeiten! Wichtig ist aus der Distanz vor allem der regelmäßige Austausch, über Telefon oder Videokonferenz. Ich führe mit allen wissenschaftlichen Mitarbeitenden mindestens einmal pro Woche ein Gespräch, persönlich oder jetzt digital, und ebenfalls einmal die Woche treffen wir uns alle gemeinsam zum Arbeitsgruppentreffen – während der Corona-Krise per Videokonferenz. Soziale Unterstützung hat drei Dimensionen: Erstens, wichtige Informationen transparent an die Mitarbeitenden weitergeben. Zweitens, praktische Unterstützung anbieten, also zum Beispiel flexible Arbeitszeiten und –orte in Betracht ziehen. Und drittens, emotionale Unterstützung geben, also Verständnis für die Situation in der sich Mitarbeitende und ihre Familien befinden.

F&L: Wie lassen sich digitale Arbeitsabläufe formell strukturieren, um keine Zusatzbelastung darzustellen?

Hannes Zacher: Letztlich muss digitale Arbeit genauso gut gestaltet sein wie nicht-digitale Arbeit. Die Herstellung guter physischer, psychischer und sozialer Arbeitsbedingungen ist sehr bedeutsam. Dazu gehört ein ruhiger und heller Arbeitsplatz im (Home-)Office mit einem ergonomisch günstigen Tisch und Stuhl sowie einem Computer mit Webcam und schneller Internetverbindung. Weiterhin sind tägliche Routinen, klare Ziele und feste Arbeitszeiten, Erholungspausen sowie regelmäßiger Kontakt zu Vorgesetzen und Kollegen wichtig. Unterbrechungen und Ablenkungen während der Arbeitszeit sollten möglichst vermieden werden. Die arbeits- und organisationspsychologische Forschung zeigt, dass konkrete und herausfordernde Ziele, die aber auch realistisch sein sollten, zu höherer Arbeitsmotivation und Leistung beitragen. Wer sich solche Ziele setzt, investiert in der Regel mehr Anstrengung, zeigt größere Ausdauer und entwickelt bessere Strategien zur Zielerreichung. Neben einer "To-Do-Liste" mit spezifischen Zielen für den Tag sollte man auch gut planen, sich also gut überlegen, wann, wie und mit wem man am besten an welchen Aufgaben arbeitet. Dabei können digitale Tools, wie beispielsweise Slack Workspaces oder Trello, eine unterstützende Rolle spielen um die Arbeit im Team zu koordinieren.

F&L: Was raten Sie generell jedem, damit das Alleinsein und der Kontaktverlust nicht zu Einsamkeit führen?

Hannes Zacher: Es ist wichtig, gerade wenn man im Homeoffice oder, mit der gebotenen physischen Distanz, im Büro oder Labor arbeitet, den sozialen Kontakt und Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzten, Mitarbeitenden, Freunden und Familienmitgliedern aufrecht zu erhalten. Nicht nur in Zeiten der Corona-Krise ist es deshalb wichtig, die Initiative zu ergreifen und sich regelmäßig telefonisch oder online zu verabreden, um sich über Projekte und Aufgaben, aber auch persönliche Anliegen auszutauschen. Wenn die meisten Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice arbeiten, können Teams auch einen "virtuellen Büroflur" oder eine "virtuelle After-Work Party" einzurichten, um sich per Videokonferenz informell zu unterhalten. Sozialer Austausch und Eingebundenheit tragen auch dazu bei, dass sich Erwerbstätige stärker mit ihrem Team und ihrer Organisation identifizieren, was wiederum positive Effekte auf Leistung und Wohlbefinden hat.