Jungendliche beim Picnic und Selfies machen im Park.
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Jugend und Jugendliche
Spontan, flexibel, kreativ: Ist die Jugend die Zukunft?

Die Jugend ist eine besondere Zeit zwischen Kindheit und Erwachsenendasein. Was zeichnet sie aus? Eine Analyse am Internationalen Tag der Jugend.

Von Jens Luedtke 12.08.2022

Spontaneität, Flexibilität, Kreativität gehören zu den Eigenschaften, die "der" Jugend oder "den" Jugendlichen stereotyp zugeschrieben werden. "Die" Jugend gibt es nicht. Sie ist eine sozio-kulturelle Konstruktion, eine Vorstellung in "der" Erwachsenen(gesellschaft), auf die junge Menschen reagieren und auf die sie rückwirken.

Die Jugendphase ist das Ergebnis von sozialem Wandel und Modernisierung: durch die Verlängerung der (Aus-)Bildungsgänge ab den 1960er-Jahren wurden junge Menschen länger aus der Erwerbsarbeit ferngehalten. Es entstand ein formaler Rahmen mit Freiräumen für Bildung, Qualifikation, Persönlichkeitsentwicklung. Damit ergaben sich für Jugendliche Optionen zur Entfaltung. Die (frühe) Jugendphase ist durch erhebliche körperliche, kognitive und psychische Veränderungen gekennzeichnet, die Jugendliche (und ihre Umwelt) vor Herausforderungen bei der Bewältigung stellen. Es ist typischerweise eine Phase des Ausprobierens und Austestens neuer Möglichkeiten und des Grenzen Überschreitens. Gerade Spontaneität wird dabei von "der" Erwachsenengesellschaft ambivalent gesehen und gilt auch als Ausdruck einer reduzierten Selbst- und Affektkontrolle Jugendlicher. Spontaneität und Impulsivität werden oft mit Gewaltdelikten Jugendlicher in Zusammenhang gedacht. Kreativität als originelle Entwürfe Einzelner erfolgt im Rahmen (teil-)kultureller Regeln, wird als solche sozial bewertet und anerkannt. Bei Kreativität ist die Möglichkeit zur Grenzüberschreitung und damit aus gesellschaftlicher Ordnungssicht zur Devianz gegeben.

Jugendkultur als Abwehrreaktion

Menschen Freiräume zu geben, kann bedeuten, überrascht zu werden von der Nutzung und Ausgestaltung und damit: von Spontaneität, Kreativität, Neuem. Bei Jugend(lichen) passierte das: ihre Entwürfe für Musik-, Tanz-, Sprach-, Bekleidungs-, Körpergestaltungs-, Lebens- oder Alltagsstile setzten sich sehr deutlich von den Vorstellungen der zeitgenössischen Erwachsenengesellschaft ab und erzeugten von den 1950ern bis mindestens in die 1980er-Jahre immer wieder zum Teil massive und repressive Abwehrreaktionen. Dazu kam die von der Erwachsenengesellschaft oft kritisch gesehene politische Mobilisierbarkeit von Teilen der Jugendlichen für neue gesellschaftliche Problemthemen (wie Frieden, Umwelt, Globalisierungsfolgen, Klimawandel).

Neben der Repression erfolgt(e) auch die Kanalisierung der Kreativität Jugendlicher durch die Kommerzialisierung von Stilen. Daraus resultiert(e) ein Wettlauf zwischen jugendlicher Kreativität und kommerziellen Verwertungsinteressen erwachsener Akteure. Die Kommerzialisierung begann bereits Ende der 1950er-Jahre, als der sogenannte "Halbstarken"-Stil durch eine Vermassung und Standardisierung des Kleidungstils, einer Aufweichung des "harten" Rock´n Roll-Musikstils und die Umdefinition zum "Teenager"-Stil gesellschaftskonform entschärft werden sollte. Tendenziell ähnliches zeigte sich auch bei Punk, Techno, Rap. Letztlich kann auch die Wahl eines Jugendwortes des Jahres als Entschärfungsstrategie gesehen werden: Jugendsprache wird auf Modewörter reduziert, das Eigene, Spezifische dieser Sprache bleibt außen vor. Allgemein verlieren Stile damit ihre soziale und kulturelle Unterscheidungskraft und können zu beliebig verwendbaren Versatzstücken werden. Für stil- und szenebezogene junge Menschen bedeutet das, neue und eigene Musik-, Bekleidungs- und Sprachstile entwerfen zu müssen, um sich abzugrenzen und sich damit als kreativ und flexibel zu erweisen.

"Insgesamt ist es für Jugendliche schwieriger geworden, sich durch gänzlich neue Stile kreativ auszuzeichnen."

Andererseits zeigt sich etwa in der Sprayer-Szene, der Cosplayer-Szene (Kostümszene) oder der Schwarzen Szene (Gothics), dass kreative Formen einer aus Sicht der Szene kompetenten und kreativen Selbstinszenierung relevant sind für Zugehörigkeit und szeneinterne Anerkennung. Auch gibt es beispielsweise bei der Techno-Szene subkulturelle Orte, in denen (szene-)kulturelles Wissen und Kompetenzen und damit die Abgrenzung vom Mainstream bestimmend sind. Insgesamt ist es für Jugendliche schwieriger geworden, sich durch gänzlich neue Stile kreativ auszuzeichnen, häufig kommen Formen der Bricolage (Stilmischungen, Crossover) vor.

Was ist Jugendlichen wichtig?

Für eine sehr deutliche Mehrheit von vier Fünfteln der 12- bis 25-Jährigen ist die Entfaltung der eigenen Phantasie und Kreativität wichtig. Damit ist Kreativität bedeutsam, gehört aber nicht zu den zentralen Werteorientierungen – hier dominieren auf Familie, Teilhabe und Beziehungen bezogene Vorstellungen. Die Bedeutung von Kreativität, Spontaneität, Flexibilität variiert unter Jugendlichen nach der Position in der Ungleichheitsstruktur und herkunftsabhängig. Besonders im Milieu der "Experimentalisten" werden diese Eigenschaften als Ausdruck ungehinderter Selbstentfaltung hoch gehalten. Unter den "Expeditiven", einem postmodernen, bildungshohen Jugendmilieu, hat Kreativität als Ausdruck des Individuellen, Unabhängigen, Unkonventionellen, der eigenen Gestaltungsfreiheit einen hohen Stellenwert. Sie ist bedeutsam für die Identitätsentwicklung, die einen Prozess bildet, in dem Jugendliche ebenfalls viel Kreativität aufbringen müssen, um das zu finden, was sie über alle Lebensbereiche und Rollen ausmacht.

Die zunehmende Orientierung Jugendlicher an den informelleren Formen der Rock´n-Roll-, Beat und Rockmusik ab Ende der 1950er-Jahre erleichterten ihnen das eigene Musikmachen in Freizeitbands. Jedoch betätigt sich eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen nicht musisch-künstlerisch. Insgesamt ein Viertel spielt aktiv ein Musikinstrument, wobei der Anteil mit steigendem sozio-ökonomischem Status der Eltern zunimmt auf zwei Fünftel (Bertelsmann-Stiftung 2017). Knapp ein Fünftel betreiben künstlerisches Fotografieren, gut ein Zehntel stellen Videos oder Filme her (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012). Auch die neuen (Computer-)Spielewelten ermöglichen insofern Kreativität, als sie Jugendliche vor Herausforderungen stellen, Probleme im Spiel zu lösen. Rollenspiele bedeuten ebenfalls Anforderungen an die Kreativität, wenn es gilt, einen Spielecharakter zu füllen. Ebenso erlauben die modernen Kommunikationswege über mobile Geräte neue, kreative Formen der Inszenierung des Selbst, die allerdings (wie das Beispiel der Selfies zeigt) bei zunehmender Verbreitung den Charakter des Innovativen verlieren und mehr standardisiert werden können, sowohl was die Themen als auch was die Umsetzung angeht.

Versuch die Jugend zu verwerten

Mit der Rede von der Spontaneität, Flexibilität und Kreativität von Jugend(lichen) war gerade in gesellschaftlichen Umbruchzeiten die überhöhende Vorstellung von Jugend als Zukunftshoffnung verbunden, als gesellschaftliche Kraft, die die Gegenwartsprobleme künftig (hoffentlich) lösen wird. Darüber kann Jugend politisch vereinnahmt werden. Spontan, flexibel, kreativ zu sein, sind außerdem Eigenschaften, die aus Sicht "der" Erwachsenengesellschaft geeignet sind, die Modernisierung der Gesellschaft beziehungsweise den sozialen Wandel – die Beschleunigung, Verdichtung, Flexibilisierung der Abläufe in den gesellschaftlichen Teilbereichen, die Technologisierung (zum Beispiel Digitalisierung), die Individualisierung und die Pluralisierung – gut bewältigen zu können. Damit gelten sie als (zukunfts-)relevant und drücken Zukunftsfähigkeit aus, gerade angesichts der Vorstellung von einer Wettbewerbs- und Konkurrenzgesellschaft, in der die fortlaufende Produktion von (neuen) Ideen und Projekten gefordert wird. Diese Form von Kreativität ist weniger an der Persönlichkeitsentfaltung ausgerichtet, sondern an der ökonomischen Verwertbarkeit, für die sich junge Menschen "optimieren" sollen – vor allem unter den Auswirkungen des demographischen Wandels. Diese Erwartungshaltung verinnerlichen junge Menschen, was sich unter anderem auch unter Studierenden zeigt: bereits auf der Ebene von Seminar- oder BA-Arbeiten gehen viele Studierende davon aus, unbedingt einen eigenen thematischen Entwurf mit einer eigenen Fragestellung leisten zu müssen. Das setzt Kreativität frei, kann aber auch überfordern. Auch der wissenschaftliche Nachwuchs sieht sich häufig mit den Erwartungen einer fortlaufenden (Neu-)Produktion von Projektideen, Projektanträgen oder Beiträgen (zu publizieren in peer-review-Zeitschriften) unter Zeitdruck konfrontiert.

Die zunehmend ökonomisierte Gesellschaft versucht sowohl eine Kanalisierung von Kreativität, Flexibilität und Spontaneität, andererseits aber auch eine umfassende, ganzheitliche (Aus-)Nutzung dieser Potentiale. Für diese Vorstellungen erwies sich gerade die "Generation Y" als empfänglich, eher weniger dagegen die "Generation Z". Hier wird zu fragen sein, in welcher Weise sich das auf die Kreativität auswirkt, ob und inwieweit sie weniger von einem Verwertungsgedanken bestimmt wird.

Flexibilität in der Biographieplanung

Jugendliche müssen in der Gegenwartsgesellschaft gezwungenermaßen zunehmend flexibel und kreativ bei ihrer Biographieplanung sein aufgrund der relativ schnellen gesellschaftlichen Wandlungsprozesse. Sie wollen, können und müssen zunehmend biographische Entscheidungen eher eigenständig treffen, weil ihnen ihre Eltern zwar als Ratgeber zur Seite stehen, aber kein Rezeptwissen (mehr) haben über gesellschaftliche Abläufe und Entwicklungen. Zudem haben Jugendliche durchaus den Wunsch nach Eigenständigkeit, wenngleich sie sich der Tragweite von Entscheidungen bewusst sind. Als starke psycho-soziale Belastung hat sich die Corona-Pandemie erwiesen durch fehlende Kontakte, fehlende Mobilität, finanzielle Belastungen, Planungs- und Zukunftsängste. Kreative Formen der Bewältigung sind die Versuche Jugendlicher, ihre Situation über Videos, Cartoons, Zeichnungen, Memes zu verarbeiten. Hohe Flexibilität der Biographieplanung wird auch vom jungen wissenschaftlichen Nachwuchs gefordert: befristete Beschäftigungsverhältnisse auf Teilzeitstellen und hohe Mobilitätsanforderungen erzwingen kreative Lösungen für die Finanzierung des Lebensunterhalts oder die Vereinbarkeit von Beruf und Privatem.

Die (Erwachsenen-)Gesellschaft hat gelernt, dass die Kreativität, Spontaneität und Flexibilität Jugendlicher, die sich in ihren kulturellen Entwürfen ausgedrückt hat, langfristig mit zum Wandel der Gesellschaft beigetragen hat, aber die soziale Ordnung dadurch nicht zerstört wurde. Es ist sowohl für Jugendliche (mit Blick auf ihre Identitätsfindung), als auch für die Gesellschaft (mit Blick auf innovatives Potenzial) wichtig, weiterhin Freiräume für neue, eigenständige Entwürfe zu haben – Entwürfe, die nicht nur unter Zeitdruck erfolgen müssen und nicht nur von einem ökonomischen Verwertbarkeitsgedanken bestimmt werden. Ansonsten verharrt die Kreativität im Rahmen des jeweiligen Mainstream und wirklich Neues wird nur schwerlich entstehen. Das gilt nicht nur für Jugendliche, sondern kann auch auf die Lage von jungen Nachwuchswissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern übertragen werden. Letztlich wird das Freisetzen von Kreativität durch etwas gefördert, was die beschleunigte, verdichtete und ökonomisierte (Arbeits-)Welt der Gegenwart immer weniger zu kennen scheint: Zeit, auch verstanden als Muße. 

Eine Version des Artikels mit Quellenangaben kann bei der Redaktion von Forschung & Lehre angefordert werden.