

Rechtschreibreform
Sprache wandelt sich alltagsgemäß
Er ist wieder dicker geworden: Der neue Duden wurde um 3.000 Wörter erweitert, darunter "Balkonkraftwerk", "Deutschlandticket", "ChatGPT", "Granola", "Klimakleber" oder auch "Ukrainekrieg".
"Der Duden ist Spiegel seiner Zeit. Diese Wörter sagen etwas darüber aus, was in den letzten drei bis vier Jahren passiert ist", sagte Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum der Deutschen Presse-Agentur. Am 20. August erscheint die 29. Auflage des bekanntesten Nachschlagewerks der deutschen Rechtschreibung.
"Fleischersatz" oder "Extremwetterereignis" als Spiegel der Zeit
Mit 151.000 Stichwörtern ist die gedruckte Ausgabe demnach so umfangreich wie noch nie. Die größten Sprachveränderungen der vergangenen Jahre lassen sich laut Kunkel-Razum zugespitzt auf drei Bereiche reduzieren: Krise, Krieg und Kochen.
So ist etwa die "Coronapandemie" zum neuen Stichwort avanciert – neben "Antigenschnelltest" oder auch "Coronaleugner/-in". Begriffe wie "Extremwetterereignis", "Flugabwehrsystem", "Gasmangellage" und "Entlastungspaket" erinnern an Krisen in anderen Bereichen. Veränderte Ernährungsgewohnheiten spiegeln sich in Begriffen wie "Fleischersatz", "Gemüsekiste", "Tahini" oder auch "Kontaktgrill" wider.
Um die Veränderung der Sprache im zeitlichen Verlauf auszuwerten, beobachtet eine spezielle Arbeitsgruppe des Rats für deutsche Rechtschreibung die sprachliche Praxis. Im neuesten Arbeitsbericht des Rats heißt es hierzu: "Dieses Korpus 'professionell Schreibender' bildet die Grundlage für valide orthografische Erhebungen und Auswertungsergebnisse sowohl des etablierten Wortschatzes wie auch von Neologismen im aktuellen Fremdwortschatz des Deutschen". Hierbei seien durch die systematische Auswertung digitaler Textkorpora und deren qualitativer Optimierung mittels neuer technischer Zugriffe in den letzten Jahren "neue Potentiale für die Schreibbeobachtung" eröffnet worden.
Varianten wie "Tunfisch" oder "Spagetti" gestrichen
Neben Neuaufnahmen streicht die Duden-Redaktion auch immer wieder Wörter, die selten genutzt werden. In der aktuellen Ausgabe seien 300 Wörter entfernt worden, so Kunkel-Razum. Nicht mehr enthalten sind etwa "Frigidär" (Kühlschrank), "UMTS-Handy" oder die in der DDR verwendete Bezeichnung "Rationalisator" für einen Angestellten mit Rationalisierungsaufgaben. Ebenso wurden Schreibvarianten gestrichen, die nicht mehr zulässig sind, etwa "Tunfisch" und "Spagetti".
"Das Streichen fällt viel schwerer als die Aufnahme von Wörtern", so die Linguistin. Es sei schwieriger nachzuweisen, dass ein Wort nur noch selten genutzt wird als umgekehrt. Und manchmal würden Streichungen auch rückgängig gemacht. Das Wort "Hackenporsche" (scherzhaft für einen Einkaufsroller) fehlte im letzten Duden und erlebte nun ein Comeback. "Wir haben Beschwerden bekommen, dass das Wort gestrichen wurde", erzählt Kunkel-Razum.
Laut Kunkel-Razum enthält die neue Ausgabe auch die rechtschreiblichen Änderungen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung auf seiner letzten Sitzung der dritten Amtsperiode Ende 2023 verabschiedet hat. Dazu zähle etwa die Regel, dass das Komma vor einem erweiterten Infinitiv wieder obligatorisch ist. In der Bilanz hat der Rat laut Bericht das Wortinventar von 12.500 Wörtern, Redewendungen und Anwendungsbeispielen um circa ein Drittel reduziert und neu strukturiert; in seinem deutschen Kernwortschatz wurde es auf die wesentlichen orthografischen Fragestellungen konzentriert und umfassend aktualisiert.
Der Duden
Das nach seinem Namensgeber Konrad Duden benannte Nachschlagewerk galt jahrzehntelang als verbindlich. Durch die Rechtschreibreform von 1996 wurde das Monopol gebrochen. Maßgebende Instanz ist der Rat für deutsche Rechtschreibung, der das "amtliche Regelwerk" herausgibt. Es besteht aus einem Regelteil und einem Wörterverzeichnis. Nachschlagewerke wie der Duden bereiten diese Regelungen alltagstauglich auf. Die letzte Druckausgabe des Amtlichen Regelwerks datiert aus dem Jahr 2006. In beiden Teilen – Regelteil und Wörterverzeichnis – waren folglich grundlegende Aktualisierungen erforderlich.
Exkurs: Warum Juristensprache so kompliziert klingt

Gesetzestexte sind komplex und wohl für die meisten Menschen kaum zu verstehen. "Selbst Anwälte empfinden Juristensprache als sperrig und kompliziert", sagt Professor Edward Gibson vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA). Woher kommt der Hang zu verschachtelter Sprache? Ein Forschungsteam um Gibson hat das untersucht.
Dafür ließ das Forschungsteam mehr als 200 Personen aus dem nicht-juristischen Bereich offizielle US-Gesetze zum Verbot von Taten wie Trunkenheit am Steuer, Einbruch, Brandstiftung und Drogenhandel schreiben. In einem zweiten Ansatz wurden die Teilnehmenden gebeten, inoffizielle Beschreibungen zu Gesetzen bei diesen Vergehen zu schreiben.
Das Ergebnis: Beim Verfassen von Gesetzestexten versuchten sich die Laien an typischer Juristensprache. "Die Menschen scheinen zu verstehen, dass es eine implizite Regel gibt, die besagt, dass Gesetze so klingen sollten, und sie schreiben sie auf diese Weise", sagte Gibson, Mitautor der in der Fachzeitschrift "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften (PNAS) vorgestellten Studie.
Gesetzestexte: Hang zum unzugänglichen Verschachteln
Schon in einer vorangegangenen Analyse juristischer Verträge hatte ein Team um Gibson gezeigt, dass in juristischen Dokumenten häufig lange Definitionen in die Mitte von Sätzen eingefügt werden – was das Verstehen des Textes erheblich erschweren könne. «Die Rechtssprache hat irgendwie diese Tendenz entwickelt, Strukturen in andere Strukturen einzubauen, und zwar auf eine Weise, die für menschliche Sprachen nicht typisch ist», so Gibson, Professor für Kognitionswissenschaften. Gemocht werde das weder von Laien noch von Juristinnen und Juristen selbst.
Ein Ziel der Forschenden ist es, mit ihren Ergebnissen dazu beizutragen, Eigenheiten der Juristensprache zu identifizieren und die Legislative zu motivieren, künftig verständlicher zu formulieren. Gesetze könnten in vereinfachtem Stil umgeschrieben werden, ohne dass der rechtliche Inhalt verloren gehe oder verzerrt werde, sind sie überzeugt. "Obwohl es durchaus plausibel erscheint, dass ein gewisser juristischer Jargon unvermeidlich ist, deuten unsere Ergebnisse darauf hin, dass in vielen Fällen ein solcher Jargon durch einfachere, bedeutungserhaltende Alternativen ersetzt werden könnte", heißt es dazu im Fazit der Studie.
Den typischen Einbettungen und Verschachtelungen möchte Gibson mit seinem Team nun auch historisch auf den Grund gehen: mit der Analyse älterer Gesetzestexte bis hin zum Codex Hammurabi, eines der ältesten bekannten Gesetzeswerke, das auf etwa 1750 vor Christus datiert werde. "Ich würde vermuten, dass es sich um eine zufällige Eigenschaft der Art und Weise handelt, wie die Gesetze das erste Mal geschrieben wurden, aber das wissen wir noch nicht", so der Professor.
dpa/cva