Eine Lehrperson steht vor einer Gruppe junger Erwachsener an Computer-Desks in einem Seminarraum.
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Wissenschaftsfreiheit
Studie bestätigt Freiheit an deutschen Hochschulen

Eine deutschlandweit erste repräsentative Studie zur akademischen Redefreiheit bilanziert positiv. Und doch sind viele Forschende verunsichert.

10.10.2024

Forschung und Lehre können an deutschen Hochschulen frei ausgeübt werden – so das Ergebnis der repräsentativen Studie "Akademische Redefreiheit" des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW). Über 9.000 Personen mit Professur, Postdocs und Promovierende wurden nach ihrer Einschätzung der akademischen Freiheit und ihren Erlebnissen mit Einschränkungen befragt. Nun wurden erste Ergebnisse und ein Kurzbericht veröffentlicht.

Insgesamt schätzten vier Fünftel den Zustand des Wissenschaftssystems im Hinblick auf Autonomie und Forschungsfreiheit als eher gut oder sogar sehr gut ein, während lediglich drei Prozent die Bewertung "sehr schlecht" vergeben hätten. Dies sei ein zeitstabiles Ergebnis, das bereits in den DZHW-Wissenschaftsbefragungen 2019/20 und 2023 – wo konkret diese Fragestellung am Rande vorgekommen sei – ähnlich erhoben worden sei. Der vergleichende Blick zeige, dass Professorinnen und Professoren den Zustand von Autonomie und Freiheit sehr viel eher als gut oder sehr gut wahrnehmen würden (86 Prozent) als die anderen beiden Statusgruppen, wo über ein Fünftel eine eher schlechte bis schlechte Bewertung abgebe. 

Unterschiede bei den erwarteten und erlebten Gestaltungsräumen 

Laut Studie sei es bei der Umfrage nicht um tagesaktuelle Geschehnisse gegangen, sondern vielmehr um die allgemeine Praxis an den Hochschulen. Dabei habe man bei der Definition "akademischer Redefreiheit" Kritik und Streitbarkeit als reguläre Bestandteile des wissenschaftlichen Diskurses definiert, betone jedoch eine verständigungsorientierte Komponente der Reflexion. Auffällig seien die deutlichen Unterschiede zwischen erwarteten und tatsächlich erlebten Einschränkungen. 

Für den Erfahrungszeitraum der letzten zwei Jahre hätten knapp sieben Prozent der Befragten von moralischer Abwertung und vier Prozent von beruflichen Problemen aufgrund ihrer persönlichen Gestaltung der Lehre berichtet. Entsprechend hätten rund 94 Prozent aufgrund ihrer Lehre keine moralischen Abwertungen erlebt, 96 Prozent keine beruflichen Probleme. Gehe es um indirekte Erfahrungen im akademischen Umfeld, so hätten 35 Prozent bereits Einschränkungen der Lehrfreiheit miterlebt. 

Jede siebte befragte Person habe negative Konsequenzen erwartet und deshalb ein Thema nicht wissenschaftlich bearbeitet, fast jede zehnte habe in den vergangenen zwei Jahren aus denselben Gründen darauf verzichtet, ein Forschungsergebnis zu veröffentlichen. 

Bezüglich der tatsächlich erlebten Forschungsfreiheit scheint es kaum Statusgruppenunterschiede zu geben: "Trotz ihrer beruflich prekären Position machen wissenschaftliche Mitarbeitende nicht häufiger als Professorinnen und Professoren eigene Erfahrungen mit Einschränkungen in Forschung oder Lehre", heißt es dazu in der Studie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Geistes- und Sozialwissenschaften berichten verhältnismäßig häufig über erfahrene Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit. Hochschulbeschäftigte ohne Professur würden diese Einschränkungen allerdings eher im Vorfeld erwarten und deshalb ihre Forschungspraxis anpassen. Gut ein Viertel der Befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gibt den Studienergebnissen zufolge an, in den letzten zwei Jahren für ihre Forschungsarbeit inhaltlich kritisiert worden zu sein, sechs Prozent berichten von moralischer Abwertung und beruflichen Problemen. 

Bilanzierend könne festgestellt werden, dass Einschränkungen der akademischen Redefreiheit durch als unangemessen wahrgenommene Kritik, moralische Diskreditierung oder berufliche Probleme kein flächendeckendes Phänomen in Deutschland sei. Die große Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler würden diese weder erwarten noch erleben. Allerdings sei es notwendig, die Dynamik dieser Phänomene bis hin zur selbst vorgenommenen Selbstzensur genauer zu untersuchen. 

Hochschulen als Diskursraum und Grenzen der Redefreiheit 

"Wissenschaftsfreiheit wird in Deutschland einerseits schrankenlos gewährt, andererseits sind Grenzen aber dort gegeben, wo andere Rechte von Verfassungsrang betroffen sind", konstatiert das Forschungsteam im Kurzbericht der Studie. Eine Mehrheit der Befragten präferiere ein Klima der Offenheit für alle Themen an den Hochschulen. 

Allerdings hätten nur sieben Prozent der Befragten befürwortet, dass es erlaubt sein solle, innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses das Grundgesetz abzulehnen. Es gebe demnach wenig Kontroversität hinsichtlich der grundlegenden Rolle des Grundgesetzes. Anders verhalte es sich bei ethischen und gesellschaftlich umstrittenen Themen – hier sei die Bereitschaft, sich von anderen Positionen herausfordern zu lassen, geringer, so dass selbst das kuratierende Eingreifen der Hochschule für angemessen gehalten werde. 

Fast zwei Drittel (64 Prozent) hätten es abgelehnt, der These, dass es den Klimawandel nicht gebe, einen Platz im Diskursraum Hochschule zu geben. Bei politisch umstrittenen Vorträgen etwa zum Verbot der Nuklearforschung oder zur biologischen Determinierung des Geschlechts hätten je nach Thema und Statusgruppe bis zu 57 Prozent der Befragten der Option zugestimmt, dass die Hochschule die Verantwortlichen bitten sollte, einen Vortrag zur Darstellung von Gegenpositionen vorzusehen. 

Hintergrund und Ausblick zur weiteren Datenauswertung 

Anlass der von der ZEIT Stiftung Bucerius finanzierten Studie seien die emotional geführte öffentliche Debatte um Zensurkultur ("Cancel Cultur") und die hohe Aufmerksamkeit für einzelne Streitfälle. Im Kurzbericht heißt es dazu: "Ein wichtiges Ziel der vorliegenden Befragung ist, über den Status anekdotischer Evidenz, das heißt die Diskussion einzelner Fälle, hinaus zu gelangen". Die Erkenntnisse sollen "als Orientierungshilfe dienen" und "gegen die Tendenz einer zunehmenden Polarisierung zu einer Versachlichung beitragen". 

In einem geplanten weiteren Report sollen laut des Forschungsteams zusätzliche Daten zur Darstellung kommen. Dort würden Themen wie die politische Orientierung von Hochschulmitgliedern sowie Zivilklauseln eine Rolle spielen.

Themen-Schwerpunkt "Wissenschaftsfreiheit" 

Wie steht es um die akademische Freiheit? Ausgewählte Artikel über Entwicklungen und Diskussionen zum gesetzlich verankerten Recht der Wissenschaftsfreiheit finden Sie in unserem Themen-Schwerpunkt.

cva