Lesezeit
Und was lesen Sie?
Anna-Katharina Hornidge empfiehlt: Manu Herbstein: Ama – A Story of the Atlantic Slave Trade. Verlag Manu Herbstein, 7. Aufl. 2016.
Der per Gewalt herbeigeführte Handel und Export von circa 12 Millionen versklavten Menschen über 400 Jahre hinweg, vom afrikanischen Kontinent in unter anderem die Karibik, nach Süd- und Nordamerika ist ein Teil der vom Menschen geschriebenen Globalgeschichte, dessen Folgen bis heute gesellschaftliche Entwicklungs- und Identitätsfindungsprozesse substanziell prägen.
Gleichzeitig ist der transatlantische Sklavenhandel, im Verhältnis zu seinen globalen gesellschaftlichen Auswirkungen, unerforscht und findet in der öffentlichen Erinnerungskultur der Gesellschaften, die seine Hauptakteure lieferten (Europa und Afrika), wenig Aufmerksamkeit. Wissenschaftlich aufbereitete Erinnerungsstätten sind rar gesät; für die Öffentlichkeit zugängliche und gleichzeitig gut recherchierte Lektüre existiert in überschaubarem Rahmen.
Der Roman "Ama" von M. Herbstein stellt eine der Ausnahmen dar: gut recherchierte und in die lokalen Verhältnisse seiner Zeit eingebettete Freizeitlektüre zu einem Thema, das uns alle angeht und worüber wir alle zu wenig wissen.
Roland Kaehlbrandt empfiehlt: Nicholas Evans: Wenn Sprachen sterben und was wir mit ihnen verlieren. C.H. Beck Verlag, 2014.
Können Sprachen sterben? Ja, wenn die führenden Kräfte einer Sprachgemeinschaft nicht mehr an sie glauben; wenn ihren Kindern eine größere Sprache prestigehaltiger erscheint; wenn eine kleine Sprache die neuen Wörter der Welt nicht eingemeindet. Was geht dabei verloren? Es sind "kognitive Modelle sozialen Denkens", so der australische Sprachwissenschaftler Nicholas Evans in seiner schier unerschöpflichen Sammlung sprachlich-kultureller Schöpfungen bedrohter kleiner Sprachen. Alle zwei Wochen geht im Schnitt eine der rund 7.000 Sprachen der Welt unter. Auch manche große Sprache könnte einmal darunter sein. Es ist gut, wenigstens eine Ahnung davon zu haben, was man dabei verlöre.
Christoph Lundgreen empfiehlt: Robert Sapolsky: Behave. The Biology of Humans at Our Best and Worst. Random House UK Ltd, 2017 (auf Deutsch unter dem Titel "Gewalt und Mitgefühl" im Hanser Verlag.
Was ist und was prägt Verhalten? Was geschieht im Gehirn eine Sekunde vor einer Handlung, was passierte in den Minuten davor und welchen Einfluss können das Frühstück am Morgen, frühere Krankheiten oder die genossene Erziehung darauf haben? Mit diesen und anderen Fragen beschäftigt sich das zu Recht vielfach gepriesene Buch von Robert Sapolsky. Ebenso lesbar wie lehrreich schlägt es einen Bogen von den Grundlagen der Neurowissenschaften zur Komplexität sozialen Handelns und ist damit en passant Plaidoyer wie exemplum virtutis für einen tatsächlich interdisziplinären Denkansatz.
Stephan Lessenich empfiehlt: Hilal Sezgin, Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs. DuMont Buchverlag, 2017.
Sie meinen auch, dass es langsam mal an der Zeit zum Handeln wäre, aber können sich irgendwie doch nicht dazu durchringen? Dann ist dies Ihr Buch. Denn es rüttelt nicht nur wach, es reißt auch mit und ermutigt – zum gemeinsamen politischen Handeln, ganz nach den momentanen Möglichkeiten und Kräften einer beziehungsweise eines jeden. Es trägt dazu bei, die wohlfeile Gleichgültigkeit gegenüber dem sozialen und politischen Geschehen um uns herum zu durchbrechen. Schluss mit der Verantwortungsverschiebung für Veränderungen: Ab sofort wird Anteil genommen am Gemeinwesen und am Leben der Anderen.
Margit Osterloh empfiehlt: Paul Collier: Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen. Siedler Verlag, 2016.
Migration steht zu Recht ganz oben auf der politischen Agenda, weil wir annehmen müssen, dass die Anzahl flüchtender Menschen in der Zukunft zunehmen wird. Die Diskussion bewegt sich zwischen Plädoyers für eine "Festung Europa" und für ein "Menschenrecht auf Zuwanderung", zwischen herzloser Abschottung und kopfloser Gefühligkeit. Sir Paul Collier stellt die Perspektiven der Gastländer, der Herkunftsländer und der Flüchtlinge auf einem aktuellen Stand der Migrationsökonomik gut verständlich dar. Es gibt kein Werk, das meine Überlegungen über Migration mehr inspiriert hätte.
Caja Thimm empfiehlt: Andreas Cassee: Globale Bewegungsfreiheit – Ein philosophisches Plädoyer für offene Grenzen. Suhrkamp Verlag, 2016.
Dieses Buch ist nicht nur ein Lesevergnügen, sondern auch provozierend und politisch. Cassee bringt die migrationsethische Debatte und die Frage "Was ist Globalität?" in neuer Weise auf die Tagesordnung. Präzise und anschaulich und in klarer sprachlicher Form zeigt der Autor nicht nur auf, was Philosophie als Disziplin leisten kann, sondern bezieht schließlich mit seiner auf die praktische Politik zielenden Schlussfolgerung klar und begründet Stellung.
Ein intellektuell höchst gelungenes und lesenswertes Buch, auch für eine fachfremde Leserin wie mich. Andreas Cassee hat 2017 den "Opus Primum Preis" der Volkswagen Stiftung für sein mutiges Plädoyer erhalten.
Kärin Nickelsen empfiehlt: Mary Beard: Women & Power. A Manifesto. Profile Books, London, 2017; (Auf Deutsch unter dem Titel "Frauen und Macht. Ein Manifest" im S. Fischer Verlag).
Mary Beard ist Althistorikerin und eine der wenigen weiblichen Dons in Cambridge. Sie ist berühmt für ihre Bücher zur römischen Geschichte sowie ihre pointierten Stellungnahmen zur Gegenwart. Mit "Women & Power" antwortet Beard auf die misogynen Widerstände, die sie im Laufe ihrer Karriere erfuhr. Es ist eine scharfe Analyse der seit Homer üblichen Praxis, Frauen in der Öffentlichkeit zum Schweigen zu bringen; und ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Re-Definition von Macht, um diese Praxis zu unterbinden. Auch (und gerade) Männern zur Lektüre empfohlen!
Stephan Rixen empfiehlt: Dan Pfeiffer: Yes We (Still) Can. Politics in the Age of Obama, Twitter and Trump, Biteback Publishing, London 2018.
Die Erinnerungen von Barack Obamas wichtigstem Medienberater illustrieren den Wandel der Medienwelt seit Ende der 2000-er Jahre. Facebook, Twitter und Co. begünstigen ein Diskursklima, in dem Andersmeinende Feinde sind, Kompromisse als Verrat gelten und Hass ohne Grenzen regiert.
Die Botschaft des mit selbstironischer Leichtigkeit geschriebenen Buches lautet: Antipopulistische Medienkommunikation ist kein Zuckerschlecken, aber für das Zivilitätsniveau einer Demokratie unabdingbar. Auch hier gilt wie in der Weihnachtsgeschichte: "Fürchtet euch nicht!"