Das Foto zeigt Professor Friedemann Stengel, Theologe, der die Kommission zur Aufarbeitung der Ehrenpromotionen an der Uni Halle leitet.

Universitätsgeschichte
Universität Halle untersucht Vergabe von Ehrenpromotionen

In der NS-Zeit und in der DDR wurden zahlreiche politisch motivierte Ehrendoktoren vergeben. Dem will man in Halle-Wittenberg nun nachgehen.

18.01.2019

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nimmt die Vergabe von Ehrendoktor-Titeln während der Nazi-Zeit und in der DDR unter die Lupe. Damit beschäftigt sich die Rektoratskommission zur Aufarbeitung der Universitätsgeschichte in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

"Fakt ist, jede Ehrenpromotion ist durch die jeweiligen Regierungen 1933 bis 1945 und 1949-1989 politisch überprüft oder sogar angeregt worden", sagte der Leiter der Kommission, der Kirchenhistoriker Friedemann Stengel. Die Kommission zur Aufarbeitung der Vergangenheit befasst sich seit Dezember 2012 mit der Aufarbeitung der Universitätsvergangenheit im Nationalsozialismus und in der DDR.

Die Arbeit habe gerade begonnen. Noch gebe es keine verlässlichen Angaben, sagte Stengel. Die Ehrenpromotionen sind das jüngste Projekt der Kommission, die sich mit der Vergangenheitsaufarbeitung beschäftigt. Es gibt sie seit Dezember 2012. Im November 2013 organisierte die Universität eine Gedenkveranstaltung für Universitätslehrer, die zwischen 1933 und 1945 aus politischen oder rassischen Gründen entlassen wurden.

Im Zuge der Vorbereitung gründete sich die Kommission. Sie fand heraus, dass damals 39 Hochschullehrer die Universität verlassen mussten, "27 wegen jüdischer Vorfahren. Bekennende jüdischen Glaubens waren nur 6 von ihnen", sagte der Professor für Neuere Kirchengeschichte. Weitere sechs Uni-Lehrer mussten wegen ihrer jüdischen Ehefrauen gehen, vier aus politschen Gründen und zwei wegen ihrer Homosexualität.

"Zu der Gedenkveranstaltung kamen viele Nachfahren der damals Weggejagten. Und man hat gespürt wie tief die Verletzungen bis heute bei ihren Nachfahren noch sind", sagte Stengel. Über das Schicksal der damals Verfemten, von denen einige emigrierten, einige ins Konzentrationslager kamen und anderen sich umbrachten, gibt es eine umfangreiche Publikation.

Seither arbeitet die Kommission weiter an der Zeit von 1945 bis 1989. "Wir haben über 160 Menschen, die von 1945 bis 1961 politisch verfolgt, disziplinarisch belangt oder von der Universität entfernt worden sind. Einige sind umgekommen", sagte Stengel.

Für die Zeit nach 1961 bis zum Mauerfall 1989 gibt es noch keine endgültigen Angaben. "Nachforschungen beim Universitäts-Archiv und bei der Stasi-Unterlagenbehörden haben bisher Hinweise zu etwa 200 Fällen ergeben" sagte Stengel. "Ich mache das aus Idealismus und weil ich das für richtig und wichtig halte", betonte er. Ihm liege vor allem daran, die Opfer stärker in den Focus zu rücken. "Denn einen breiten gesellschaftlichen Diskurs hat es dazu trotz Rehabilitationen noch nicht gegeben", sagte Stengel.

Auch andere Universitäten haben sich intensiv mit ihrer Vergangenheit befasst. So gab es an der Universität Jena anlässlich des 450-jährigen Jubiläums 2008 drei Publikationen mit insgesamt 3500 Seiten. "Da hat eine Senatskommission zehn Jahre dran gearbeitet", sagte ein Sprecher. An der Universität Leipzig entstand neben umfangreichen Publikationen ein digitales Ehrenbuch für die Opfer der Diktaturen des 20. Jahrhunderts.

Der Akademische Senat der Universität Halle ist sich bewusst, dass an den deutschen Universitäten in den Diktaturen des 20. Jahrhunderts auch Persönlichkeiten der Ehrendoktor-Titel verliehen worden ist, deren wissenschaftliches, gesellschaftliches und politisches Verhalten demokratischen Maßstäben widerspricht, heißt es in einer Erklärung vom Oktober 2018. Der Senat begrüße es, dass eine Debatte über Ehrenpromotionen in den Fällen geführt werde, in denen eine rein politische Motivierung durch die Diktaturen des 20. Jahrhunderts erkennbar sei bzw. die damals geehrten Persönlichkeiten sich durch späteres Verhalten in den Diktaturen im Nachhinein als der Ehrenpromotion unwürdig erwiesen hätten.

aktualisiert: 18.1.19, 9:12 Uhr

dpa/gri