Portraitfoto von Prof. Dr. Jörg Hacker
David Ausserhofer

Genom-Editierung
"Vorsichtig mit Versprechungen"

Welche Chancen und Risiken haben Genom-Editierung und die CRISPR-Cas9-Schere? Fragen an den Präsidenten der Leopoldina.

Von Vera Müller Ausgabe 1/17

Forschung & Lehre: Wo besteht bei der Genom-Editierung zurzeit der größte Diskussionsbedarf?

Jörg Hacker: Großer Diskussions- und politischer Handlungsbedarf besteht derzeit insbesondere bei der Anwendung des genome editing in der Pflanzenzüchtung. Fraglich ist, ob genom-editierte Nutzpflanzen oder auch Nutztiere generell als gentechnisch veränderte Organismen eingestuft und reguliert werden sollten oder ob man eher die spezifischen Eigenschaften der veränderten Sorten, also die Produkte, bei den notwendigen Risikobetrachtungen ins Auge nimmt. Teilweise reicht es ja schon, mittels genome editing einfach bestimmte Gene aus Kulturpflanzen herauszuschneiden oder vorhandene Gene durch die natürlich vorkommenden Genvarianten aus eng verwandten Wildtypsorten auszutauschen, um widerstandsfähigere und ertragreichere Kulturpflanzen zu züchten. Eine diesbezügliche Entscheidung des europäischen Gerichtshofs wird für 2018 erwartet.

F&L: Und die umstrittene Keimbahntherapie?

Jörg Hacker: Aktuell werden häufig ethische Aspekte der Keimbahntherapie bis hin zu dem in Medien oft angeführten "Designerbaby" diskutiert. Das ist unrealistisch, da wir das komplexe Zusammenspiel unserer Gene untereinander und mit den einwirkenden Umweltfaktoren nur unzureichend verstehen. Bei der somatischen Gentherapie mittels genome editing sind die Veränderungen in der Regel nicht erblich, und wir sind ersten Anwendungen beim Menschen schon etwas näher. In China und in den USA beginnen gerade klinische Studien zur Behandlung unterschiedlicher Krebserkrankungen mittels CRISPR-Cas9 modifizierter Immunzellen. Man muss in den ethischen Debatten ganz klar differenzieren zwischen somatischen, also an Körperzellen durchgeführten Gentherapien, die meines Erachtens keine neuen ethischen Fragen aufwerfen, und Eingriffen in die Keimbahn, die Auswirkungen auf später geborene Menschen haben können. Im Lichte der neuen Methoden sollte man schon heute darüber diskutieren, wie Keimbahntherapien ethisch beurteilt und rechtlich geregelt werden müssen.

F&L: Was kann hier ein freiwilliges internationales Moratorium bewirken?

Jörg Hacker: Als Anfang 2015 Experimente an nicht entwicklungsfähigen Embryonen in China bekannt wurden, gab es zunächst große Diskussionen um ethische Standards. An diesen Diskussionen waren auch die deutschen Wissenschaftsakademien und die DFG beteiligt. Ein zeitlich begrenzter freiwilliger Aufschub solcher Experimente schien zunächst sinnvoll. Um ihrer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung gerecht zu werden, veranstalteten führende Wissenschaftsakademien im Dezember 2015 den "International Summit on Human Gene Editing" in Washington. Hierbei kam man überein, dass die Keimbahntherapie derzeit nicht in Frage kommt, auch wenn der Terminus "Moratorium" nicht verwendet wurde. Gleichzeitig wurde die besondere Bedeutung der Forschung auf diesem Gebiet hervorgehoben, welche zum Ziel hat, mithilfe der Genomchirurgie schwere genetische Krankheiten besser zu verstehen und perspektivisch heilen zu können. Auch die Leopoldina vertritt diese Position.

F&L: In Deutschland sind genetische Eingriffe in die menschliche Keimbahn bislang nicht erlaubt. Was bedeutet das für den Forschungsstandort Deutschland, wenn andere Länder Keimbahntherapien zulassen?

Jörg Hacker: Gemäß Embryonenschutzgesetz ist in Deutschland nur die Genforschung an menschlichen Eizellen und Spermien erlaubt, wenn diese nicht für Fortpflanzungszwecke verwendet werden. In diesem engen gesetzlichen Rahmen wäre die klinische Entwicklung und Anwendung von Keimbahntherapien in Deutschland kaum möglich. In anderen Ländern wie Schweden, England und den USA ist zumindest die entsprechende Grundlagenforschung erlaubt. Aber auch dort sind viele wissenschaftliche und ethische Fragen noch lange nicht abschließend geklärt, so dass Keimbahntherapien wohl nicht so bald auf der Tagesordnung stehen werden. Wichtig ist, dass die Forschung an Keimbahnzellen auch Therapien jenseits von Keimbahneingriffen, etwa somatische Gentherapien, eröffnen kann.

F&L: In ihrer Stellungnahme fordern DFG und die Akademien die Wissenschaft auf, bei den Anwendungsversprechen der Genom-Editierung zunächst zurückhaltend und realistisch zu bleiben. Ist das realistisch bei einem Verfahren wie CRISPR-Cas9, das – schnell, billig und einfach in der Handhabung – in immer mehr Forschungslaboren weltweit eingesetzt wird?

Jörg Hacker: Diese Zurückhaltung fußt u.a. auf den Erfahrungen bei der Entwicklung der Gentherapie der ersten Stunde seit den 1980er Jahren. Damals verwendete man noch recht unspezifisch genverändernde Virusvektoren. Die großen Hoffnungen, die Wissenschaftler damals äußerten, wurden kaum erfüllt, und es traten unvorhergesehene Nebenwirkungen auf. Ähnliches zeigte sich bei den langsamen Fortschritten bei der Anwendung von Stammzellen in der regenerativen Therapie. Die Anwendung von CRISPR-Cas9 ist zwar einfach, zielgenau und vergleichsweise kostengünstig. Mit Versprechungen sollte man dennoch vorsichtig sein, schließlich ist die Voraussetzung für sichere genom-chirurgische Eingriffe beim Menschen zunächst ein hinreichendes Verständnis von den Wechselbeziehungen in sehr komplexen Systemen.

F&L: Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Jörg Hacker: Für den Einsatz von genome editing direkt im Menschen ist derzeit noch eine große Herausforderung, wie man das gesamte betroffene Körpergewebe, z.B. das Nerven- und Muskelgewebe oder Tumore, effizient und hochspezifisch mit den Genscheren wie CRISPR-Cas9 erreicht. Gleichzeitig will man auch die Veränderung von Keimbahnzellen im Rahmen einer solchen Therapie vermeiden. Gute Ergebnisse gibt es bei der Veränderung von Immunzellen in vitro, also außerhalb des menschlichen Körpers. So laufen in den USA bereits fortgeschrittene klinische Studien zur Behandlung von HIV-Patienten, denen zuvor entnommene, genom-editierte Immunzellen reimplantiert wurden. Unbestritten ist, dass die Zahl der Forschungsarbeiten, in denen genome editing zum Einsatz kommt, nahezu exponenziell angestiegen ist, ebenso wie die Zahl der veröffentlichten Ergebnisse aus diesen Projekten. Experimentelle Genveränderungen, die zuvor Monate bis Jahre in Anspruch nahmen, sind nun teilweise in wenigen Wochen möglich.

F&L: Wie führen Wissenschaftler eine verantwortungsvolle Diskussion über Chancen und Risiken einer solchen neuen Technologie? Wie bindet man dabei die Gesellschaft ein?

Jörg Hacker: Wichtig ist ein offener kontinuierlicher Dialog, und dass Forschung nicht hinter verschlossenen Türen stattfindet. Die Methoden der Genom-Chirurgie müssen ausführlich erklärt und nicht nur in Fachkreisen diskutiert werden, sondern auch in der breiteren Öffentlichkeit. Die Leopoldina hat hier als Nationale Akademie der Wissenschaften eine besondere Verantwortung in der wissenschaftsbasierten Politik- und Gesellschaftsberatung. Dieser kommen wir nach, indem wir im März und September 2015 bereits zwei Stellungnahmen zum genome editing veröffentlicht haben. Genome editing war zudem Thema eines Leopoldina-Journalistentreffens im September 2016. Am 14. Februar 2017 veranstaltet die Leopoldina gemeinsam mit der DFG und dem Deutschen Ethikrat in Berlin eine Diskussionsveranstaltung zu neuen Anforderungen an die Gentechnikdefinition. Auch ihre kommende Jahresversammlung im September 2017 wird die Leopoldina ganz dem genome editing widmen.