Eine Hand überreicht einer anderen Hand ein rotes Herz
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Verhaltensökonomie
Warum wir das Gute wollen und es doch nicht tun

Moralisches Handeln wäre geboten, doch sieht man nur seinen eigenen Nutzen, will nicht verzichten, ist zu träge. Gibt es Strategien, dies zu ändern?

Von Armin Falk 20.07.2022

Immerzu konfrontiert uns das Leben mit moralisch schwierigen Entscheidungen. Täglich stellt sich die Frage, ob wir bereit sind, auf einen persönlichen Vorteil zu verzichten, wenn wir damit für andere etwas Gutes tun können. Im Supermarkt das tierwohlgerechte, teurere Biofleisch kaufen und dafür ein Schnitzel weniger essen? Geflüchtete aus der Ukraine mit Geld, Zeit oder gar einer Unterkunft unterstützen? Mit dem 9-Euro-Ticket im vollen Zug oder doch lieber bequem mit dem SUV zur Arbeit?

Dass wir regelmäßig darum ringen müssen, uns anständig zu verhalten, ist nur allzu menschlich. Zum einen sind wir umgeben von moralischen Stolperfallen: Wir finden Umstände vor, die uns zum Fehltritt verleiten, Situationen, die uns veranlassen, gegen unsere eigenen Moralvorstellungen zu verstoßen, auch wenn wir das vielleicht eigentlich gar nicht wollen. Zum anderen ist Egoismus Teil unserer menschlichen Natur. Denn wir sind immer beides zugleich: gut und böse.

In meinem aktuellen Buch* erläutere ich an vielen konkreten Beispielen und auf der Grundlage langjähriger Studien, unter welchen Umständen sich Menschen moralisch verhalten und welchen Einfluss die Persönlichkeit und andere Faktoren haben. Wenn wir das besser verstehen, wird es uns leichter fallen, nicht nur uns selbst zu verändern, sondern auch die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Denn alle gesellschaftlich relevanten Probleme hängen mit der Frage zusammen, ob und wie wir es schaffen, unsere kurzsichtigen Eigeninteressen zurückzustellen.

Das Klimaproblem ist so ein Fall. Nur wenn wir bereit sind, unser Verhalten zu ändern und die Emission klimaschädlicher Gase dramatisch zu reduzieren, können wir die Welt noch retten. Solidarität mit den Benachteiligten in unserer Gesellschaft ist ein anderes Beispiel. Nur wenn wir Chancengleichheit, vor allem einen fairen Zugang zu Bildung und gesellschaftlicher Teilhabe ermöglichen, können wir die Spaltung der Gesellschaft verringern und damit auch die schleichende Zerstörung der Demokratie aufhalten. Gleiches gilt für globale Ungleichheiten: Das Elend durch Hunger, Krankheiten und mangelnden Zugang zu sauberem Trinkwasser lässt sich nur lindern, wenn wir bereit sind, etwas von unserem Wohlstand abzugeben.

"Moralisches Verhalten fällt uns schwer, weil es mit Kosten verbunden ist."

Und genau hier liegt der Knackpunkt: Moralisches Handeln fällt uns schwer, weil es mit Kosten verbunden ist – sei es Geld, das wir spenden, Zeit, die wir in soziale Projekte und andere Menschen investieren, oder Konsummöglichkeiten, auf die wir verzichten. Würde uns Altruismus nichts kosten, wären wir wohl alle moralische Superhelden. Wie wir dem Guten dennoch auf die Sprünge helfen können, möchte ich anhand von einigen Erkenntnissen zum menschlichen Verhalten illustrieren.

Wie Selbst- und Fremdbild unser Handeln beeinflussen

Ein wichtiger Treiber moralischen Verhaltens ist der Wunsch, vor anderen und vor uns selbst gut dazustehen. Das Streben nach einem guten Image verleiht prosozialem Handeln Flügel: Wird unser Verhalten von anderen beobachtet, spenden wir mehr, legen uns mehr ins Zeug und verhalten uns kooperativer. Wir sind derart konditioniert auf die Wahrnehmung anderer, dass sich Reputationseffekte in vielen Bereichen zu Nutze machen ließen, etwa durch mehr Datentransparenz zur Erhöhung der Steuermoral oder eine Klarnamenpflicht zur Verbesserung der Debattenkultur in Online-Medien.

Auch das Selbstbild beeinflusst unser Verhalten. Menschen verhalten sich moralischer, wenn man ihr Ichbewusstsein erhöht, indem man ihnen buchstäblich den Spiegel vorhält. Doch der Wunsch nach einem guten Selbstbild hat auch seine Schattenseiten: Er führt dazu, dass wir uns gerne selbst betrügen und uns die Welt so zurechtbiegen, dass wir gut über uns denken können, obwohl wir uns gleichzeitig gegen das Gute entscheiden. Wie wir dieses Kunststück vollbringen, gehört zu den spannendsten Fähigkeiten unserer Psyche.

Dazu zählen Geschichten, die wir über uns erzählen, um unser egoistisches Verhalten zu entschuldigen und uns zu entlasten. Mit dem Flieger für ein paar Tage nach Mallorca? Haben wir uns nach den Corona-Entbehrungen doch nun wirklich verdient – und unterstützen damit außerdem die gebeutelte Tourismusbranche. Überhaupt: Von dem bisschen CO2 wird die Welt schon nicht untergehen…

Noch leichter machen wir es uns mit der Methode des Wegschauens und Nichtwissenwollens, die uns erst gar nicht in die Bredouille bringt, uns aktiv für oder gegen das Gute entscheiden zu müssen – wenn wir beispielsweise die Straßenseite wechseln, um dem Bettler auszuweichen, oder beim Autokauf gar nicht erst auf den Schadstoffausstoß schauen.

Hinzu kommt unser selektives Erinnern, das unsere Handlungen in allzu rosigem Licht erscheinen lässt, oder kreative Formen moralischer Buchhaltung, die mithilfe kleiner Wohltaten unser Gewissen ruhigstellen, wenn wir eine moralisch fragwürdige Entscheidung treffen. Transportiere ich die zwei Kilo Billigfleisch in der Jutetasche nach Hause, beweise ich mir und anderen, etwas für die Umwelt zu tun, und blende das größere Problem des Ressourcenverbrauchs aus.

All diese kleinen Tricks führen dazu, dass wir am Ende sogar oft davon überzeugt sind, dass wir eigentlich richtig gut sind. Sie lassen sich jedoch vermeiden. Hierzu ist vor allem eines gefragt: sich ehrlich machen. Die kleinen täglichen Ausreden nicht zulassen, Handlungssituationen nicht vermeiden und die Effekte des Handelns wissen wollen.

Diffusion von Verantwortung gefährdet moralisches Handeln

Allerdings lösen wir die Konsequenzen unseres Handelns häufig nicht alleine durch unsere eigene Entscheidung aus, sondern gemeinsam mit anderen, in Gruppen oder Teams. Für die Moral birgt das kollektive Handeln eine echte Gefahr, weil sich der Einzelne nicht sicher sein kann, ob sein Verhalten tatsächlich entscheidend ist: Verantwortung wird diffus. Ein gutes Beispiel ist der Abgasskandal, bei dem die Verantwortlichen im Dickicht von Zuständigkeiten und Entscheidungsketten kaum auszumachen sind. Oder die Verlagerung von Verantwortung auf Subunternehmen, die prekären Arbeitsbedingungen Vorschub leistet.

Wie das Entscheiden in Gruppen die Moral untergräbt, konnten wir auch in einem Experiment nachweisen: Menschen sind weniger bereit, auf einen Geldbetrag zu verzichten, um das Leben einer Labormaus zu retten, wenn sie in Gruppen entscheiden. Denn ein wichtiges Motiv für moralisches Verhalten ist die Frage, ob der Handelnde "pivotal" ist, das heißt, ob sein Handeln für den Fortgang der Dinge ausschlaggebend ist.

Besonders diffus wird die Verantwortung auf Märkten. Die Herstellung und der Handel fast aller Güter verursacht negative externe Effekte, also einen Schaden für Dritte, seien es Gesundheitsschäden durch schlechte Arbeitsbedingungen, das Leid von Tieren, das durch nicht artgerechte Haltungsmethoden erzeugt wird, oder Umweltschäden durch die Freisetzung toxischer Stoffe.

Weil aber der Einzelne auf Märkten praktisch nie durch seine Entscheidung einen Unterschied im Ergebnis erreichen kann, wird es immer jemanden geben, der einspringt und die Lücke schließt. Wenn ich das unethisch hergestellte Billig-T-Shirt nicht kaufe, kauft es jemand anderes. Das ist die beinharte Logik der Märkte.

"Die Märkte abschaffen zu wollen, ist der falsche Ansatz."

Die Märkte deswegen abschaffen zu wollen, ist dennoch der falsche Ansatz. Abgesehen davon, dass sich die spontane Herausbildung von Märkten gar nicht unterbinden lässt, bringen sie auch segensreiche Vorteile mit sich. Ihre wichtigste Funktion besteht darin, durch Preise Knappheiten auszudrücken, eine Aufgabe, die aufgrund ihrer immensen Komplexität jede Form von "Planung" überfordert. Es muss also darum gehen, die Vorteile zu nutzen und die Nachteile zu minimieren.

Denn mit Märkten verhält es sich ähnlich wie mit einem guten Medikament. Es hilft und wirkt, aber es hat manchmal auch unerwünschte und zum Teil heftige Nebenwirkungen. Hier müssen staatliche Eingriffe und Regulierungen ansetzen. Das Gesetz zum Nachvollzug von Lieferketten ist hierfür ein Beispiel. Auch Produkt-Labels und Kennzeichnungspflichten gehören dazu. Sie machen uns zu informierten Konsumenten und versetzen uns überhaupt erst in die Lage, unseren moralischen Vorstellungen entsprechend zu konsumieren.

Wo die Bequemlichkeit der "guten" Entscheidung im Wege steht, können sogenannte Defaults oder Voreinstellungen helfen, wenn beispielsweise Ökostrom bei Neuverträgen als Standard voreingestellt ist statt als Zusatzoption. Die Entscheidungsfreiheit des Stromkunden wird dadurch nicht eingeschränkt.

Der Staat sollte aber auch direkt auf Preise einwirken, um dadurch externe Effekte im Kauf-Akt zu internalisieren, die Kosten also jenen aufbürden, die die negativen externen Effekte verursachen. Das wichtigste Beispiel hierfür ist der Schutz des Klimas durch eine entsprechende CO2-Bepreisung, sei es durch Steuern oder CO2-Kontingente.

Soziale Normen beeinflussen Handeln des Einzelnen

Eines der Grundprinzipien menschlichen Handelns ist die Reziprozität: Wir sind viel eher bereit, andere fair zu behandeln, wenn sie zuvor freundlich zu uns waren. Eine Ausprägung reziproken Verhaltens ist die bedingte Kooperation: Wir kooperieren, wenn andere es auch tun. Schließlich will keiner "der Dumme" sein, der als einziger in der WG das Klo putzt.

"Wir kooperieren, wenn andere es auch tun."

Dieses Wissen lässt sich für das Gemeinwohl in Stellung bringen, etwa beim Klimawandel. In einer aktuellen Studie messen wir die Bereitschaft von US-Amerikanern, zugunsten einer Spende für den Klimaschutz auf einen Geldgewinn zu verzichten. Die Studienteilnehmer spendeten mehr von ihrem Geld, je höher sie die Bereitschaft ihrer Mitbürger einschätzten, sich ebenfalls für den Klimaschutz zu engagieren. Allerdings wird diese Bereitschaft systematisch unterschätzt.

Klärten wir die Teilnehmer über die wahre Bereitschaft der anderen zum Klimaschutz auf, erhöhte sich der durchschnittliche Spendenbetrag deutlich. Mit anderen Worten: Gezieltes Erwartungsmanagement hat einen kausalen Effekt auf klimafreundliches Verhalten. Entsprechende Informationskampagnen kosten nicht viel, könnten jedoch potenziell viel für das Gemeinwohl bewegen.

Am Ende aber liegt es an jedem Einzelnen von uns, das Gute nicht nur zu wollen, sondern es auch zu tun.

Zum Weiterlesen

*Armin Falk: Warum es so schwer ist, ein guter Mensch zu sein …und wie wir das ändern können: Antworten eines Verhaltensökonomen. Siedler Verlag, 336 Seiten, ISBN: 978-3-8275-0160-8, 24,- Euro