Das Bild zeigt Details eines im Aufbau befindlichen Quantencomputers.
picture alliance/dpa | Sven Hoppe

Quantenjahr 2025
Was die Quantentechnologie für Wissenschaft und Gesellschaft bedeutet

Die Quantentechnologie hat den wissenschaftlichen Blick auf die Welt revolutioniert. Eine "zweite Quantenrevolution" könnte noch bevorstehen.

Von Giovanna Morigi 10.06.2025

In einer Zeit des immer schnelleren technischen Fortschritts können 100 Jahre wie eine sehr lange Zeit erscheinen – selbst für eine physikalische Theorie. Bemerkenswert ist, dass die Grundprinzipien der Quantentechnologie trotz sehr genauer experimenteller Überprüfung auch heute noch Gültigkeit haben. Viele Schlüsseltechnologien der Moderne, die uns heute selbstverständlich erscheinen, wie beispielsweise der Transistor oder der Laser, wurden erst durch die Quantentheorie ermöglicht. Aktuell haben die Quantentechnologien das Potential, die Art und Weise, wie wir Informationen verarbeiten und miteinander austauschen, grundlegend zu verändern und damit eine zweite technologische Revolution einzuleiten.

Die Quantenmechanik ist eine der fundamentalen Theorien für die physikalische Beschreibung unserer Welt, unterscheidet sich aber tiefgreifend von der klassischen Physik. Sie scheint zunächst unserer Alltagserfahrung und unserem intuitiven Verständnis von Ursache und Wirkung zu widersprechen. Wenn wir uns in unserem Alltag bewegen und auf äußere Reize reagieren, dann agieren wir auf der Grundlage der von uns gesammelten Informationen. 

"Die Quantenmechanik ist eine der fundamentalen Theorien für die physikalische Beschreibung unserer Welt."

Ein gutes Beispiel dafür sind Ballspiele: Professionelle Tennisspielerinnen und Tennisspieler können die Flugbahn eines Balls anhand seiner Position und der Geschwindigkeit, mit der er fliegt, genau einschätzen und somit vorhersagen, wann und wo der Ball einen bestimmten Punkt auf dem Spielfeld erreichen wird. Diese Vorhersage beruht auf Beobachtungen, das heißt auf den individuellen Einschätzungen der Spielerinnen und Spieler, was die Position des Balls und den Bewegungsimpuls des Objekts betrifft. Das bedeutet: Je genauer wir Position und Impuls bestimmen können, desto eher ist es möglich, die Flugbahn vorhersagen. Das ist die Grundlage der Newtonschen Mechanik, die eine hervorragende Beschreibung der Welt liefert, in der wir leben.

Heisenbergsche Unschärferelation

In der Quantenmechanik ist es gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation allerdings nicht möglich, die Geschwindigkeit und die Position eines Objekts gleichzeitig mit exakter Genauigkeit zu bestimmen. Dieses Unbestimmtheitsprinzip sagt aus, dass zwei komplementäre Eigenschaften eines Quantensystems nicht gleichzeitig scharf definierte Werte haben können. 

Man stelle sich also die Tennisspielerinnen und Tennisspieler vor, die die Geschwindigkeit eines Elektrons zu einem bestimmten Zeitpunkt genau kennen. Gemäß der Unschärferelation würde dies jedoch zu einem Verlust an Wissen über dessen Position führen. Umgekehrt würde die genaue Bestimmung seiner Position bedeuten, dass man nichts über seine Geschwindigkeit weiß. Dies stellt unsere Vorstellung infrage, dass eine Messung einen bereits bestehenden Wert offenbart. Das unterscheidet sich von unserer alltäglichen Erfahrung: Die Flugbahn des Tennisballs hängt nicht davon ab, ob die Spielerin oder der Spieler ihn beobachtet oder nicht. 

Für die Entwicklung eines theoretischen Rahmens mussten in der Quantenphysik die grundlegenden Größen sowie die Gesetze, die ihre Entwicklung bestimmen, neu definiert werden. Gemäß der Quantentheorie kann ein Elektron oder allgemein ein Quantenobjekt nicht durch eine einzige Flugbahn beschrieben werden. Es wird stattdessen mit einer statistischen Verteilung aller möglichen Messergebnisse beschrieben. Diese gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass das Elektron an einer bestimmten Position zu einem bestimmten Zeitpunkt gemessen wird. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung im Raum bestimmt wiederum die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Geschwindigkeit. Diese Eigenschaft reicht aus, um die Beobachtung von Welleneigenschaften in der Dynamik von Elektronen und ganz allgemein den Welle-Teilchen-Dualismus zu erklären, der die Quantenobjekte durchdringt und den wir im Alltag aber so nicht erkennen können: Es liegen den als Teilchen beobachteten Objekten gleichermaßen die Eigenschaften von Wellen zugrunde, die sich im Raum ausbreiten. Während also die Wahrscheinlichkeit bekannt ist, dass ein Elektron an einem bestimmten Punkt in Raum und Zeit zu finden ist, ist das tatsächliche Messergebnis im Allgemeinen ungewiss. 

Die quantenmechanische Theorie ist ein leistungsfähiger Rahmen. So sagt sie beispielsweise die Quantisierung der Energie eines gebundenen Elektrons genau voraus und beschreibt die Spektrallinien von Atomen und Molekülen; diese sind die Fingerabdrücke der Stoffe, die individuellen Farben, mit denen sie leuchten. Zudem erklärt sie die spektrale Verteilung des Sonnenlichts sowie die Strahlungsinstabilität von angeregten Atomen und radioaktiven Elementen. Aus der Kombination von Quantenmechanik und spezieller Relativitätstheorie ergibt sich zudem das Konzept der Antimaterie, das Spiegelbild der normalen Materie. Gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation ist die Lokalisierung im Raum mit Energiekosten verbunden. Dies bildet die Grundlage für die Erzeugung von Energie durch Kernspaltung. 

Diese Vorhersagen wurden inzwischen durch Experimente bestätigt, sodass sich die Quantenmechanik als erfolgreicher Rahmen für die Beschreibung unseres Universums etabliert hat. Auf diesen Erkenntnissen basieren viele technische Innovationen, so auch die Nutzung von Energiequellen wie der Kernkraft. Diese prominenten Beispiele veranschaulichen die revolutionären Auswirkungen, die die Quantentheorie auf allen Ebenen der Gesellschaft hat.

Schrödingers Katze

Was kommt als Nächstes? Es gibt noch immer Fragen, die die Quantentheorie, zumindest bislang, nicht beantworten kann. Eine zentrale Frage bezieht sich auf die Tatsache, dass zur Zeit nur drei der vier fundamentalen Naturkräfte in der quantenmechanischen Theorie konsistent beschrieben werden: die elektromagnetischen Kräfte zwischen Ladungen und die sogenannten "schwachen" und "starken" Kräfte in den Atomkernen. Jedoch bleibt die Kombination von Quantenmechanik und Gravitation eine Herausforderung. Sie ist wichtig, um unter anderem die Dynamik in der Nähe von Raumzeitsingularitäten wie zum Beispiel schwarze Löcher oder den Urknall konsistent zu beschreiben. 

Darüber hinaus wird seit der Formulierung der Quantentheorie diskutiert, ob die Quantenüberlagerung – ein grundlegendes Konzept der Quantenmechanik – ein inhärentes physikalisches Merkmal ist oder lediglich ein nützliches Werkzeug darstellt, das durch ein physikalisches Modell genauso gut erklärt werden kann. John Stewart Bell hat 1964 einen quantitativen Weg gefunden, um die Gültigkeit der Quantenmechanik gegenüber plausiblen Modellen der klassischen Physik zu überprüfen. Bislang hat die Quantenmechanik diese und weitere Tests erfolgreich bestanden. Mehrere bemerkenswerte Experimente haben zudem gezeigt, dass sich die Dynamik und der Quantenzustand von physikalischen Systemen in einer Laborumgebung kontrollieren lassen können. 

"Die Vorhersagen der Quantenmechanik stehen im Widerspruch zu unserem alltäglichen Verständnis der Welt."

Dies wirft folgende Frage auf: Wenn die Quantenmechanik die richtige physikalische Theorie ist, warum beschreibt dann die klassische Physik unsere Alltagswelt so genau? Unsere tägliche Erfahrung beruht auf den Gesetzen der klassischen Physik, doch die Vorhersagen der Quantenmechanik stehen im Widerspruch zu unserem alltäglichen Verständnis der Welt. Dieses Paradoxon wird durch ein Gedankenexperiment veranschaulicht, das Erwin Schrödinger 1935 formulierte. Es geht davon aus, dass der Zerfall eines einzigen radioaktiven Atoms ein tödliches Ereignis auslösen könnte, beispielsweise durch die Freisetzung von Gift, das eine Katze in einem unbeobachteten Raum tötet. Nach der Quantenmechanik ist der Quantenzustand des Atoms eine Überlagerung von zerfallen und nicht zerfallen. Und weil das Schicksal der Katze mit dem Zerfallen des Teilchens verbunden ist, heißt das auch: Sie wäre in diesem Gedankenspiel gleichzeitig tot und lebendig.

Dies unterscheidet sich deutlich von unserer Alltagserfahrung. Mikroskopische quantenmechanische Modelle helfen uns aber zu verstehen, dass es sich dabei nicht um ein Paradoxon handelt. Darüber hinaus zeigen diese theoretischen Modelle die Bedingungen auf, die notwendig sind, um eine kontrollierte quantenmechanische Dynamik zu erreichen.

Zweite Quantenrevolution

Dies schafft die Voraussetzungen für eine kontrollierte Nutzung der Quantenmechanik für technologische Anwendungen. Bezüglich der Kontrolle von Quantenüberlagerungen für technologische Anwendungen wird sogar von einer "zweiten Quantenrevolution" gesprochen. Das Quantenüberlagerungsprinzip bildet vor allem die Grundlage für das Quantencomputing, das ermöglichen soll, Rechenaufgaben auf schnellere und möglicherweise energetisch nachhaltigere Weise durchzuführen. Das inhärente statistische Wissen über die Messergebnisse ist ein Schlüsselkonzept, um den Informationsaustausch prinzipiell abhörsicher zu machen. Die gleichen Eigenschaften können genutzt werden, um eine noch nie dagewesene Präzision zu erreichen, beispielsweise bei der Zeitmessung. 

Das Überlagerungsprinzip ermöglicht neue effiziente Strategien für den Umgang mit Big Data. Die Quantenmechanik kann damit die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz vorantreiben und sogar neue Paradigmen liefern. Die zunehmenden Aktivitäten auf dem Gebiet der Quantentechnologien gewinnen eine immer größere Relevanz für die unterschiedlichen Wissenschaften. Der Quantencomputer könnte zum Beispiel komplexe Moleküle simulieren und dadurch die Entwicklung von Molekülen für neue Medikamente ermöglichen. Mithilfe komplexer Logistikszenarien könnten Quantencomputer helfen, unseren Alltag effizienter zu gestalten. 

Technologische Herausforderungen und wissenschaftliche Fortschritte gehen Hand in Hand, wobei sich Anwendungen und grundlegende Fragen gegenseitig befruchten und unser technologisches und wissenschaftliches Wissen vorantreiben. Die Perspektiven, die sich eröffnen, sind vielversprechend. Es ist spannend, was aus einem tieferen Verständnis einer "alten" Theorie entstehen kann. 

Quantentechnologie – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"

Die Juni-Ausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt dem 100. Geburtstag der Quantentechnologie.

Die Beiträge:

  • Giovanna Morigi: Scheinbare Widersprüche. Zur Bedeutung der Quantentechnologie für Wissenschaft und Gesellschaft
  • Mariami Gachechiladze: Theoretisch funktioniert alles gut. Warum der Bau eines leistungsstarken Quantencomputers keine einfache Aufgabe ist
  • Im Gespräch mit Carolin Häussler: Ein Ökosystem schaffen. Deutschland als Akteur in den Quantentechnologien
  • Im Gespräch mit Meinard Kuhlmann: Erstmal unvorstellbar. Philosophische Aspekte der Quantenphysik

Aus der Redaktion gibt es außerdem einen Einblick in neuartige Quantenmaterialien. Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!