Pippi Langstrumpf
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Wissenschaftskommunikation
Wider den Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz

Viele vermeintliche Lösungen zum Klimawandel gehen an der Realität vorbei. Warum die Wissenschaft das nicht länger tolerieren darf.

Von André Thess 08.02.2019

Der Populismus hat viele Gesichter. Ihn zu kritisieren fällt leicht, wenn er mit blonder Mähne daherkommt oder in Gestalt ausländerfeindlicher Demonstranten. Doch oft erscheint er in sympathischer Form unter dem Deckmäntelchen des vermeintlich Guten. Dann ist er schwerer zu erkennen.

Gleichwohl ist es unsere Aufgabe als Wissenschaftler, auch subtilen Populismus aufzudecken und in die Schranken zu weisen. Vor allem, wenn er die Integrität der Wissenschaft bedroht. Das gilt zunächst ganz allgemein, doch wollen wir uns hier auf ökologischen Populismus konzentrieren – solchen der mit Energiepolitik und Klimaschutz zusammenhängt. Anschließend werden wir unseren Blick darauf werfen, welche  Rolle die Wissenschaft im Kampf gegen solchen Populismus sowie für eine rationale und marktwirtschaftliche Klimapolitik spielen kann.

Schauen wir uns zunächst drei zufällig ausgewählte Meldungen aus jüngerer Zeit an. Zwei davon betreffen unser Verhältnis zur Naturwissenschaft und eine zum Rechtsstaat. Jede der Verlautbarungen für sich mag unbedeutend erscheinen. Doch ihre Zahl wächst und kann das Vertrauen der Gesellschaft in Wissenschaft und Rechtsstaat untergraben – eine Herausforderung, der wir Wissenschaftler uns bewusst werden sollten und die wir nur mit vereinten Kräften meistern können.

Unternehmen verschleiern wahre Probleme

Erstens: Ein deutsches Online-Nachrichtenmagazin hat kürzlich Tipps zu Klima- und Umweltschutz bei Langstreckenflügen gegeben. Die Redakteure empfahlen, zwecks Verringerung von Erdölverbrauch und Müllproduktion auf Plastikbecher zu verzichten und stattdessen ein eigenes Trinkgefäß an Bord zu bringen.

Man muss kein Luftfahrtexperte sein, um herauszufinden, dass für jeden Fluggast auf der Reise von Frankfurt nach Los Angeles laut Lufthansa knapp 400 Liter Kerosin verbrannt werden. Der Erdölverbrauch für die Herstellung eines Trinkbechers dürfte sich hingegen auf weniger als zehn Gramm belaufen.

"...als würde ein Autofahrer pro Jahr statt 10,000 Kilometern nur noch 9,999 Kilometer fahren."

Die Ressourcenaufwände für Flugbenzin und vier Trinkbecher verhalten sich mithin wie zehntausend zu eins. Der Beitrag dieser gepriesenen guten Tat zum Klimaschutz ist ungefähr so, als würde ein Autofahrer pro Jahr statt 10,000 Kilometern nur noch 9,999 Kilometer fahren.

Zweitens: Die Deutsche Bahn verkündet, dass seit 2018 alle Reisenden im Fernverkehr mit 100 Prozent Ökostrom unterwegs sind.  Gleichzeitig räumt sie ein, dass der Anteil erneuerbarer Energie an ihrem Strommix derzeit bei etwa 57 Prozent liegt.

Man muss kein Elektrotechniker sein. Ein wenig Schulwissen im Fach Physik reicht für die Erkenntnis, dass es physikalisch unmöglich ist, ein "schwarzes" Elektron aus Kern- und Kohlekraftwerken daran zu hindern, sich unter die  "grünen" Elektronen aus Wind- und Solaranlagen zu mischen. Einen ICE heute ausschließlich mit Ökostrom anzutreiben ist ungefähr so realistisch wie ein Rührei in ein Spiegelei zu verwandeln.



Verstöße gegen demokratischen Rechtsstaat

Drittens: Im Hambacher Forst haben sich Personen im September 2018 widerrechtlich Zutritt zum Betriebsgelände des Energiekonzerns RWE verschafft. Bei Protestaktionen sollen sie Polizisten mit Gegenständen und Fäkalien beworfen haben. In zahlreichen Medien werden diese Menschen als "Umweltschützer" und "Aktivisten" bezeichnet.

Man muss kein Jurist sein, um zu begreifen, dass der widerrechtliche Aufenthalt auf fremdem Grund und Boden Hausfriedensbruch darstellt und das Bewerfen von Polizisten Widerstand gegen die Staatsgewalt. Sehen wir von juristischen Feinheiten ab, dann handelt es sich bei den Widerständlern schlichtweg um Straftäterinnen und Straftäter. Dabei spreche ich nicht von den friedlichen Demonstranten außerhalb des Werksgeländes.

Was haben diese drei Beispiele gemeinsam? Sie spiegeln eine Haltung zu Klimaschutz und Energiepolitik wider, die wohl am treffendsten mit Pippi Langstrumpfs Leitspruch "Ich mach‘ mir die Welt wie sie mir gefällt" veranschaulicht werden kann.  

Das Märchen vom klimaschützenden Mehrwegbecher klingt so kuschelig, da spielen mathematische Nebensächlichkeiten wie das Verhältnis 1:10.000 keine Rolle. Es dient ja schließlich einem guten Zweck. Oder um es mit dem Liedtext von Pippi Langstrumpf auszudrücken: "Zwei mal drei macht vier…"

Das Märchen vom grünen ICE ist so rührend, dass wir für den edlen Zweck des Klimaschutzes großzügig über die Grundgesetze der Elektrotechnik hinwegsehen dürfen. Es dient ja schließlich einer guten Sache. Oder um mit Pippi Langstrumpfs Worten fortzufahren: "…widewidewitt und drei macht neune."  

Das Märchen von den Umweltaktivisten im Hambacher Forst klingt fast so romantisch wie die Geschichte von Robin Hood. Wenn es darum geht, gegen böse Großkonzerne zu Felde zu ziehen – so bekommen wir oft zu hören – gehört schon etwas ziviler Ungehorsam dazu.

Verhöhnung der Wissenschaft

Aus diesen und zahlreichen ähnlichen Beispielen lassen sich zwei wiederkehrende Wesensmerkmale eines Populismus im ökologischen Deckmäntelchen herauslesen: die Verhöhnung der Wissenschaft und das Ignorieren des Rechtsstaats.

Warum tolerieren wir Wissenschaftler Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz? Als Begründung bekommt man gern den viel zitierten Spruch "Es dient doch einem guten Zweck" zu hören. Als Wissenschaftler meine ich, dass kein Zweck es rechtfertigt, sich über gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse hinwegzusetzen und sei es auch nur in der Werbung.

Als Staatsbürger meine ich, dass kein Zweck es rechtfertigt, die Grenzen des demokratischen Rechtsstaats zu übertreten.  Sollte es deshalb nicht unsere Pflicht als Wissenschaftler sein, gegen Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz ebenso laut zu protestieren wie gegen sogenannte Fake News oder den Ausstieg der USA aus dem Klimaschutzvertrag?

Ich finde es ehrenwert, Märsche für die Freiheit der Wissenschaft zu organisieren. Dabei sollten wir jedoch sorgfältig darauf achten, sämtliche wissenschaftsfeindlichen Tendenzen unserer Gesellschaft ins Visier zu nehmen und nicht nur die Lieblingsfeindbilder jenseits des Atlantik.

"Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz lullt uns in dem trügerischen Gefühl ein, den Klimawandel mit symbolischen Gesten eindämmen zu können."

Ich halte die Ignoranz gegenüber den Erkenntnissen der Klimaforschung für verwerflich. Aber es erfordert keine Zivilcourage, gegen einen amerikanischen Präsidenten im fernen Washington zu protestieren. Mehr Mut ist hingegen nötig, vor unserer eigenen Haustür gegen blauäugige Klimaschutztipps und unwissenschaftliche Werbebotschaften aufzutreten.

Ganz zu schweigen von der Standfestigkeit, die notwendig ist, illegale Protestaktionen wie die Beeinträchtigung des Berliner Autoverkehrs durch gelbe Farbe als das zu bezeichnen was sie sind – nämlich Straftaten.

Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz untergräbt nicht nur das Vertrauen der Gesellschaft in die Wissenschaft, sondern lenkt uns auch von den wirklich wichtigen Aufgaben des Klimaschutzes ab.  Denn er lullt uns in dem trügerischen Gefühl ein, den Klimawandel mit symbolischen Gesten eindämmen zu können.

Wieviel es in Wirklichkeit zu tun gibt, wird beispielsweise an einem Dokument deutlich, welches in der breiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt ist. Das Umweltbundesamt hat im Jahr 2016 eine Liste umweltschädlicher Subventionen der Bundesrepublik Deutschland publiziert. Diese summieren sich auf über 50 Milliarden Euro. Die meisten dieser Subventionen sind nicht nur umweltschädlich, sondern auch klimarelevant.

Die besonders dicken Brocken, allesamt milliardenschwer, sind die Kohlesubventionen , die Subvention von Dieseltreibstoff, die Entfernungspauschale, das Dienstwagensteuerprivileg und die Befreiung des Flugbenzins von der Mineralölsteuer.

Öffentliche Diskussionen anstoßen

Wenn wir Wissenschaftler nicht nur durch Forschung einen ernsthaften Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, sondern auch durch zivilgesellschaftliches Engagement, könnten wir eine breite öffentliche Diskussion darüber anstoßen, wie sich diese Subventionen mit den Klimaschutzzielen der Bundesrepublik Deutschland vertragen.

"Diese Diskussion wird für weitaus weniger öffentliche Begeisterung sorgen als das Geplauder über Plastikbecher auf Transatlantikflügen und grüne ICEs."

Teil dieser Diskussion sollte die Frage sein, wie eine aufkommensneutrale ökologische Steuerreform gestaltet werden könnte, die diese Subventionen eindämmt ohne die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu gefährden.

Doch sollten wir uns nichts vormachen: Diese Diskussion wird für weitaus weniger öffentliche Begeisterung sorgen als das Geplauder über Plastikbecher auf Transatlantikflügen und grüne ICEs. Denn bei einer solchen Debatte werden die Gegensätze zwischen Wissenschaft und Ideologie, Klimaschutz und Lobbyismus sowie Planwirtschaft und Marktwirtschaft in aller Deutlichkeit zutage treten.

Wenn aber die Wissenschaft ihrer Verantwortung für die Gesellschaft gerecht werden will, dürfen wir uns der Herausforderung nicht verschließen, Klimaschutz statt Pippi-Langstrumpf-Klimaschutz zu betreiben.

Wissenschaft in der Öffentlichkeit

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