Eine Frau jongliert im Büro mit zwei Äpfeln
picture alliance / Westend61 | Malte Jäger

Welttag des Apfels
Wie sich die Apfelzüchtung entwickelt hat

Der Apfel ist in Deutschland die beliebteste Obstsorte. Ein Apfelkenner über Vergangenheit und Zukunft der Frucht.

Von Friederike Invernizzi 11.01.2021

Forschung & Lehre: Der deutsche Apfel liegt im Trend. Rund 86 Prozent der Deutschen sind Apfelkäufer. Im vergangenen Herbst wurden insgesamt knapp 1,1 Millionen Tonnen Äpfel in den deutschen Apfelplantagen geerntet. Sind die Äpfel, die heute vorwiegend verkauft werden, überhaupt noch heimische Äpfel?

Hans-Joachim Bannier:
Wenn wir "heimisch" so definieren, dass die Äpfel in Deutschland angebaut wurden, dann essen wir noch zu rund zwei Dritteln heimische Äpfel, das restliche Drittel sind Importäpfel. Wenn "heimisch" dagegen bedeutet, dass die Apfelsorten, die wir essen, auch in Deutschland entstanden oder gezüchtet wurden, dann essen wir heute kaum noch "deutsche Äpfel". 'Golden Delicious' und 'Jonagold' zum Beispiel wurden in den USA gezüchtet, 'Braeburn', 'Granny Smith', 'Gala' und 'Pink Lady' in Neuseeland, 'Fuji' in Japan, 'Elstar' in den Niederlanden, 'Topaz' in Tschechien, 'Delbarestivale' in Frankreich. Und wenn wir uns anschauen, wie die heutigen Sorten entstanden sind, stellen wir fest, dass nahezu alle seit den 1930er Jahren gezüchteten und heute weltweit im Anbau befindlichen Sorten Kinder von lediglich fünf Apfelsorten sind: den vier  amerikanischen Apfelsorten 'Golden Delicious', 'Jonathan', 'Mc Intosh' und 'Red Delicious' sowie der englischen Apfelsorte 'Cox Orange'.

Das war nicht immer so. Vor 100 Jahren gab es in Deutschland noch über 1.000 verschiedene Apfelsorten, darunter viele einst in Deutschland entstandene Sorten wie zum Beispiel 'Prinzenapfel', 'Berlepsch', 'Ananasrenette', 'Holsteiner Cox', 'Roter Eiserapfel', 'Glockenapfel', 'Boikenapfel', und viele vorwiegend regional angebaute und vermarktete Sorten, zum Beispiel 'Finkenwerder Prinz', 'Eifeler Rambur', 'Lohrer Rambur', 'Zabergäu Renette', 'Altländer Pfannkuchenapfel', 'Lausitzer Nelkenapfel' und andere. Die älteste schriftlich dokumentierte deutsche Apfelsorte, der 'Edelborsdorfer', soll im 13. Jahrhundert in einem Gartenbaubetrieb des Klosters Pforta in Thüringen entstanden sein. Noch in den 1930er Jahren wurde er vereinzelt auf Obsthöfen gepflanzt.

Hans-Joachim Bannier
Hans-Joachim Bannier gilt als führender Experte für Apfelsorten. Der Pomologe betreibt in Bielefeld ein 'Obst-Arboretum' mit 500 verschiedenen Apfel- und Steinobstsorten. 2010 publizierte er eine Recherche über die Apfelzüchtung der letzten Jahrzehnte und die Stammbäume moderner Apfelsorten. privat

F&L: Warum sind die alten deutschen Apfelsorten weitestgehend in Vergessenheit geraten?

Hans-Joachim Bannier: Früher – und noch bis in die 1960er Jahre – hat die Vermarktung des Obstes regional und über viele kleine Händler und die sprichwörtlichen Tante-Emma-Läden funktioniert. Heute haben sich einige wenige überregional operierende Supermarktketten etabliert, deren Warenverkauf nur noch in Selbstbedienung stattfindet, das heißt, ohne jede persönliche Beratung. Sortenvielfalt wird als störend wahrgenommen. Der Verkauf funktioniert leichter, wenn man nur fünf Sorten anbietet, die jeder kennt, die es an allen Orten gleichermaßen gibt und die vom 1. Januar bis zum 31. Dezember verfügbar sind. Die großen Handelsketten kaufen international ein – im Herbst und Winter bei den heimischen Obstbauern, im Frühjahr und Sommer häufig in Neuseeland, Argentinien oder Südafrika. Damit dieses Prinzip funktioniert, müssen überall auf der Welt die gleichen fünf bis zehn Apfelsorten angebaut werden.

Auf der Seite des Apfelanbaus und in der Züchtung hat es ebenfalls dramatische Veränderungen gegeben: Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fand der Apfelanbau in Deutschland noch überwiegend auf hochstämmigen Obstbäumen statt, meist als Nebenerwerb des bäuerlichen Betriebs. Intensive Pflanzenschutzmaßnahmen heutigen Stils – mit chemischen Fungiziden, Insektiziden und Herbiziden – gab es damals noch nicht. Deshalb konnten nur robuste Apfelsorten angebaut werden. Die heutigen Apfelsorten dagegen sind hoch anfällig für Mehltau und Apfelschorf – 20 bis 30 Spritzungen pro Jahr gegen diese Pilzkrankheiten sind im Obstbau deshalb heute die Regel.

F&L: Warum hat man die robusten Sorten fallengelassen und durch anfällige Sorten ersetzt? Hans-

Joachim Bannier: Die meisten Apfelsorten ruhen sich nach einem Jahr mit hohem Ertrag praktisch aus und setzen weniger Früchte an. Wir sprechen dabei von "Alternanz". In den USA wurden derweil die Sorten 'Golden Delicious' und 'Jonathan' entdeckt, die die Eigenschaft haben, jedes Jahr zu blühen und Früchte anzusetzen. Dummerweise waren diese beiden Sorten jedoch hoch anfällig für Schorf beziehungsweise für Mehltau, weshalb der hohe Fruchtansatz keineswegs zu einer großen Ernte führte. Mit der Entwicklung von Pflanzenschutzmitteln durch die chemische Industrie in den 1930er Jahren wurden diese Sorten wieder interessant. Dass der 'Golden Delicious' obendrein noch süß schmeckt und transportfest für den Handel, bewirkte dann in den 1950er Jahren seinen weltweiten Siegeszug. Auch die Züchter begannen, nur noch mit diese "erfolgreichen", aber hoch krankheitsanfälligen Sorten weiter zu züchten. F&L: Welche Folgen hat die züchterische Verengung für das Obst selbst, aber auch für uns als Verbraucher?Hans-Joachim Bannier: Es ist keine Einbildung, wenn manche Verbraucher beklagen, dass die heutigen Apfelsorten doch "alle gleich" schmecken. Es ist die immer gleiche Süße des 'Golden Delicious', der sich heute in fast allen marktgängigen Apfelsorten mehr oder weniger wiederfindet, weil fast alle Supermarktsorten von ihm abstammen.

Eine weitere Folge der genetischen Verarmung heutiger Apfelsorten bekommen Allergiker zu spüren, die neuerdings nicht nur auf Nüsse und Blütenpollen allergisch reagieren, sondern auch auf Äpfel. Ursächlich war hier wieder der 'Golden Delicious', der ein bestimmtes allergie-auslösendes Eiweiß besonders viel und von anderen wichtigen Apfel-Inhaltsstoffen, wie den Polyphenolen, besonders wenig enthält. Eine weitere Folge der heutigen Sortenentwicklung: Der Obstbau gehört heute zu den landwirtschaftlichen Kulturen mit dem höchsten Eintrag an chemischen Pflanzenschutzmitteln pro Hektar. Entgegen aller Beteuerungen des sogenannten "integrierten Anbaus", Pflanzenschutzmittel "gezielter" einzusetzen und "nur dort, wo unbedingt nötig", steigt der Umsatz der pro Hektar eingesetzten Pflanzenschutzmittel im konventionellen Obstbau auch heute noch weiter an. Die Rückstände dieser Pflanzenschutzmittel essen wir als Verbraucher mit.

F&L: Was erhoffen Sie sich vom zukünftigen Apfelmarkt?

Hans-Joachim Bannier:
Wir müssen dringend abkommen von den heutigen hoch krankheitsanfälligen und untereinander inzucht-verwandten Apfelsorten, die ohne permanenten Pflanzenschutz nicht gedeihen. Die ein oder andere traditionelle Sorte wäre durchaus eine Alternative. Die Züchtung ist darüber hinaus gefordert, sich wieder auf die Baumgesundheit zu fokussieren und nicht nur auf handelstechnische, optische oder geschmackliche Eigenschaften der Frucht. Mehr wirkliche genetische Vielfalt – wie einst bei den traditionellen Apfelsorten – würde auch wieder mehr Geschmacksvielfalt bringen (und nebenbei auch den Allergikern helfen). Wenn die Apfelkonsumenten ihre Äpfel – statt im Supermarkt – wieder vermehrt bei Erzeugern und Direktvermarktern einkaufen und auch bezüglich der Optik wieder ein wenig mehr Toleranz üben würden, wäre ein solcher Weg durchaus möglich.