

Scholars at Risk
Freiheit von Wissenschaft und Meinung an deutschen Unis eingeschränkt
Angriffe auf Forschende und Studierende sind weit verbreitet – nicht nur in autoritären Gesellschaften. Zu diesem Ergebnis kommt der "Free to Think 2024"-Report, den "Scholars at Risk" (SAR) heute veröffentlicht hat. Der Bericht analysiert 391 Angriffe auf Hochschulgemeinschaften in 51 Ländern und Regionen. Auch für Deutschland werden Einschränkungen in akademischer Freiheit und freier Meinungsäußerung auf dem Campus registriert. Deutschland werde als einziges Land im SAR-Bericht vom "Academic Freedom Index" (AFI) als noch "völlig frei" eingestuft, trotz eines leichten Rückgangs im Jahr 2023 (AFI-score von 0.93).
"Angriffe auf die Hochschulbildung schaden nicht nur den unmittelbaren Opfern", sagte Robert Quinn, Executive Director von "Scholars at Risk". "Sie haben eine abschreckende Wirkung auf Universitätsgemeinschaften und schwächen die Demokratie, indem sie die Forschung und den freien Austausch von Ideen unterdrücken." Damit es nicht zur Aushöhlung demokratischer Werte komme, müssten liberale Staaten solche Angriffe ernstnehmen.
Im Hinblick auf globale und regionale Trends seien einige besorgniserregende Muster feststellbar: Hochschulsysteme würden in neuen und anhaltenden bewaffneten Konflikten zerstört, etwa in Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten, im Sudan, in der Ukraine und in Myanmar. Überall auf der Welt würden Forschende wegen missliebiger Meinungen entlassen, in autoritären Systemen verhaftet. Es habe in vielen Ländern – etwa Afghanistan, China und den USA – politische Eingriffe in die Gestaltung von Lehrplänen gegeben. Weltweit sei es bei friedlichen Studierendenprotesten zu Polizeieinsätzen gekommen, die zu Gewalt und Massenverhaftungen geführt hätten.
Akademische Freiheit und freie Meinungsäußerung: Die Lage in Deutschland
Der Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 und die israelischen Militäraktionen in Gaza hätten an den deutschen Hochschulen für erhebliche Spannungen gesorgt. So habe die Polizei propalästinensische Studierendenproteste eingeschränkt, dabei sei in einigen Fällen von einem gewaltvollen Vorgehen berichtet worden. An den Hochschulen sei es zu antisemitischen Vorfällen gekommen: Der Report erinnert insbesondere an die Attacke auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira, die zu einer Verschärfung des Berliner Hochschulgesetzes führte. Aufgelistet werden außerdem prominente Fälle, bei denen Professorinnen und Professoren wegen Antisemitismus-Vorwürfen gekündigt oder ausgeladen wurden: Im Februar trennte sich die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) von dem australischen Gastprofessoren für Ethnologie Ghassan Hage. Im April zog die Universität zu Köln die Albertus-Magnus-Gastprofessur für die Philosophin Nancy Fraser zurück. Ausführlich rekapituliert wird im Report auch die sogenannte Fördergeld-Affäre rund um Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP).
Ein weiterer Schwerpunkt des Berichts sind die auch in Deutschland in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft verbreiteten Sorgen vor chinesischer Industriespionage, die zu einer Einschränkung der Zusammenarbeit mit chinesischen Forschenden und Forschungseinrichtungen geführt hätten. Obwohl die Besorgnis nicht unbegründet sei, lasse die im Juli 2023 veröffentlichte China-Strategie der Bundesregierung eine allzu breite Anwendung zu, was der Wissenschaftsfreiheit entgegenstehe.
"Aufruf zum Handeln"
Der "Free to Think 2024"-Report endet mit einem Aufruf zum Handeln: Um den Hochschulsektor zu schützen, müssten Forschende und Studierende unterstützt werden, die unmittelbar davon bedroht seien, ihr Leben, ihren Lebensunterhalt oder den Zugang zur Hochschulbildung zu verlieren. Die internationale Gemeinschaft sei zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit aufgefordert. "Angesichts der wichtigen Rolle, die Universitäten in der demokratischen Gesellschaft spielen, ist es unerlässlich, Angriffe auf die Hochschulbildung jetzt zu bekämpfen", so Clare Robinson, Advocacy Director von Scholars at Risk. "Dieser Trend lässt sich nur durch eine globale Reaktion umkehren."
"Scholars at Risk"
"Scholars at Risk" ist ein internationales Netzwerk von über 650 Hochschuleinrichtungen in mehr als 40 Ländern, das sich für den Schutz von gefährdeten Forschenden und Studierenden einsetzt. Die deutsche Sektion des Scholars at Risk-Netzwerkes (kurz: SAR Germany Section) wurde 2016 unter Federführung der Alexander von Humboldt-Stiftung in Bonn gegründet.
hes