Ein Mann arbeitet am Computer und läuft gleichzeitig auf einem Laufband.
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Psyche und Lernen
Beobachtung und Bewegung verbessern Lern- und Denkprozesse

Studien offerieren Methoden, um effektive Denk- und Lernprozesse zu fördern. Ein gezielter Blick und Körperaktivität gehören dazu.

10.04.2024

Eine US-Studie über den Einfluss von aktiven Arbeitsplätzen auf neurokognitive Leistungen von Büroangestellten hebt die Bedeutung von Bewegung bei Denkprozessen hervor. 

Anhand eines Klinikversuchs wurden vier Bürosettings an aufeinanderfolgenden Tagen bewertet: ein stationärer oder sitzender Arbeitsplatz am ersten Tag als Referenzgröße, gefolgt von drei aktiven Arbeitsplätzen – stehend, gehend oder mit Stepper – in zufälliger Reihenfolge. 

Ein aktiver Arbeitsplatz fördert das Denken 

Die neurokognitiven Funktionen und feinmotorischen Fertigkeiten wurden anhand validierter Tools getestet. Die Ergebnisse zeigten, dass die Verwendung aktiver Arbeitsplätze die kognitive Leistung verbessert habe, während die Tippgeschwindigkeit leicht abgenommen hätte, ohne die Fehlerhäufigkeit zu beeinflussen. Es seien keine wesentlichen Unterschiede zwischen den verschiedenen aktiven Arbeitsplätzen festgestellt worden. 

Die Ergebnisse legen nahe, dass aktive Arbeitsplätze die sitzende Zeit reduzieren könnten, ohne die Arbeitsleistung zu beeinträchtigen. Die Implementierung könnte dazu beitragen, die körperliche Aktivität und den täglichen Energieverbrauch zu erhöhen und damit präventive Ziele zu erreichen sowie die Gesundheit von Büroangestellten insgesamt zu verbessern. 

Beobachten, denken und planen: Wie anstrengend! 

Bereits im Jahr 2001 ermittelte eine Studie, dass Menschen bei leichten und bekannten Aufgaben bevorzugt einfache Handlungsmuster nutzen, also "faule" Planerinnen und Planer sind. Ein Forschungsteam des Instituts für Kognitionswissenschaft der Universität Osnabrück hat nun herausgefunden, dass wir auch bei neuen und schwierigen Aufgaben die so genannte just-in-time-Strategie verfolgen. 

Die Erkenntnisse aus der Studie von Kognitionswissenschaftlerin Ashima Keshava und dem Leiter des Fachgebiets Neurobiopsychologie, Professor Dr. Peter König, können helfen, Lernprozesse besser zu verstehen und zu optimieren. 

Kurzer Blick führt zu wenig optimalen Abläufen 

"Wenn wir Aufgaben lösen, bei denen wir Gegenstände benutzen – zum Beispiel beim Autofahren oder beim Kochen – , können wir viele nützliche Informationen gewinnen, indem wir uns die Gegenstände ansehen und unsere Bewegungen entsprechend anpassen: Beispielsweise müssen wir ein Messer anders handhaben als einen Ball und einen heißen Gegenstand anders als einen kalten", erklärt Ashima Keshava, Doktorandin der Kognitionswissenschaften. 

"Die just-in-time-Strategie beschreibt, dass wir den Blick erst kurz vor dem Gebrauch auf den Gegenstand richten. Erst in den letzten 600 Millisekunden vor der Handlung nehmen wir so alle wichtigen Informationen über ihn auf. Statt Objekte lange zu betrachten, sich ihre Eigenschaften einzuprägen und dann einen Handlungsablauf zu planen, unterstützt der Blick nur kurzfristige Handlungen. Das spart bei komplexen Aufgaben geistige Anstrengung und ermöglicht schnelles Handeln, führt aber häufig zu wenig optimalen Abläufen." 

KI-Assistenten könnten Blick beim Lernen lenken 

"Unsere Studie deutet darauf hin, dass Aufgaben mit Objekten wenig mit dem Gedächtnis zu tun haben und dass Menschen darauf verzichten, Handlungen langfristig zu planen. Wir springen mit dem Blick immer zu dem Objekt, das wir als nächstes benötigen", sagt Keshava. "Dieses Wissen könnte genutzt werden, um Handlungen zu lenken und Lernprozesse zu verbessern. Unsere Industriepartner entwickeln beispielsweise Virtual-Reality-Lösungen für die Schulung im richtigen Umgang mit Maschinen und Werkzeugen". 

Training mit einem KI-Assistenten könnte laut Keshava das Lernen erleichtern, indem Teile der Maschinen hervorgehoben würden, die für den nächsten Handgriff relevant seien. Das menschliche Blickverhalten wiederum könne dem KI-System Rückmeldung über den kognitiven Zustand des Menschen geben. Wenn dieser den Faden verloren habe und etwas suche, könne der Assistent ihn zum aufgabenrelevanten Objekt zurückführen.

Schnelle Augenbewegungen mit schnellem Denken verbunden 

Die Ergebnisse der Osnabrücker Studie lassen sich in die Theorie des schnellen und langsamen Denkens einordnen. Das von dem kürzlich verstorbenen Nobelpreisträger Daniel Kahneman entwickelte System unterscheidet unser Denken in zwei Arten: Langsames Denken geschieht bewusst, wird nur in anspruchsvollen Situationen aktiviert und wirkt logisch. Schnelles Denken hingegen geschieht automatisch, ist immer aktiv und ist tendenziell emotionaler. 

Da langsames Denken anstrengend und mühsam ist, sind unsere Kapazitäten dafür rasch erschöpft. Deshalb greifen wir oft auf das einfache, schnelle Denken zurück. Keshava und König konnten in ihrer Studie zeigen, dass Augenbewegungen – die am häufigsten ausgeführte Bewegung des Menschen im Alltag – eng mit schnellem Denken verbunden sind: Menschen planen ungern, wenn es schnell gehen muss. Dann verkürzt sich auch die Blickdauer. 

Schnelles Sehen kein eindeutiger Vorteil 

Eine aktuelle Studie aus Irland hat nun offenbart, dass die Anzahl der Bilder pro Sekunde, die jemand wahrnimmt, sich von Mensch zu Mensch offenbar messbar unterscheidet. Die Forschungsgruppe um Clinton S. Haarlem vom "Trinity College Dublin" bediente sich methodisch unter anderem der Bestimmung der "kritischen Flimmerfusionsgrenze" (CFF): der Punkt, an dem ein Blinklicht mit so hoher Frequenz blinkt, dass einzelne Blitze nicht mehr wahrgenommen werden können und das Licht konstant erscheint. 

Ob es ein Vor- oder Nachteil ist, mehr Bilder wahrzunehmen, wird in der Analyse differenziert betrachtet. Während eine hohe Bildrate eine verbesserte Verfolgung schnell beweglicher Objekte ermöglichen würde, könnte eine niedrigere Rate möglicherweise vorteilhaft sein, um die Bewegungsrichtung langsamer Objekte zu erfassen. 

Folgt man der Logik der Osnabrücker Studie zum schnellen Blick beim schnellen Denken, so ist der Mehrwert einer hohen oder geringen Bildrate in der eigenen Wahrnehmung für die optimale Bewältigung von Aufgaben abhängig von der Geschwindigkeit der Bewegungsabläufe beim Lernen und Arbeiten. Hat man es mit einem schnellen Bewegungsablauf zu tun, wie es in der Forschung beispielsweise bei physikalischen Experimenten vorkommt, könnte es von Vorteil sein, wenn der oder die Forschende über eine hohe Bildrate beim Wahrnehmen verfügt. Geht es eher um das Arbeiten mit und Erforschen von langwierigen Prozessen wie etwa in der Chemie oder Biologie, wäre das Gegenteil der Fall.

cva