Ein Globus ist umringt  von vier Händen, die mit leuchtenden Fäden miteinander verbunden sind.
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Internationales Forschungsprojekt
Wie wirkt nationalistische Politik auf die Wissenschaft?

Ein von Horizon Europe finanziertes Projekt untersucht die Wirkung von Nationalismus. Im Fokus steht der Einfluss auf die Hochschulen.

Von Christine Vallbracht 19.02.2024

Die europäische Wissenschaft zu stärken, ist das erklärte Ziel des interdisziplinären Forschungsprojekts mit dem sperrigen Namen "Zunehmender Nationalismus, sich wandelnde Geopolitik und die Zukunft der europäischen Hochschul- und Forschungsoffenheit" (OPEN). 

Insgesamt 38 Länder sind daran bis Herbst 2027 beteiligt. Vier Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit der veränderten Dynamik zwischen Universitäten, dem Nationalstaat und dem europäischen Integrationsprojekt. Die erste Jahreskonferenz findet in diesem Frühjahr in Portugal an der Universität von Aveiro statt. Hier werden die rund 100 Mitglieder zum ersten Mal zusammenkommen und Aktionspläne für die Arbeitsgruppen entwerfen. 

Erst kürzlich hatte der Vorsitzende des Bundestagsforschungsausschusses, Kai Gehring (Grüne), die rechtspopulistische Partei AfD gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Berlin als eine Gefahr für die Wissenschaft bezeichnet. Die Partei wolle Forschungsfeldern, die ihnen missfalle, die finanzielle Grundlage entziehen. "Kreativität, Vielfalt und Erfindergeist in Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Akademien machen unser Land hochinnovativ, wettbewerbsfähig und sichern unser internationales Renommee", erklärte Gehring. Die rechte Partei würde Verschwörungsmythen verbreiten, gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse mit Desinformationskampagnen angreifen und Fakten durch Fake-News in Misskredit bringen.

"Kreativität, Vielfalt und Erfindergeist in Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Akademien (…) sichern unser internationales Renommee"
Vorsitzender des Bundestagsforschungsausschusses, Kai Gehring (Grüne)

Laut dem Memorandum of Understanding (MoU) des OPEN-Projekts ist der jüngsten Forschung über die Beziehung zwischen neuen Nationalismen und Hochschulbildung ein grundlegendes Verständnis gemeinsam: Das Wiederaufleben des Nationalismus löse "kritische Transformationen" in der Hochschulbildung aus und "die Internationalisierung der Universitäten, die Autonomie der Universitäten und die Freiheit der Forschung" würden zunehmend beeinträchtigt. 

Die im OPEN-Projekt vertretenen Länder verteilen sich auf Nordeuropa und Westeuropa, den Mittelmeerraum, Mittel- und Osteuropa und das Baltikum. Laut Memorandum wirkten sich die im Forschungsprojekt angesprochenen Probleme auf ganz Europa aus und erforderten deshalb einen europaweiten Ansatz und eine europaweite Analyse für ihre Bewältigung. 

Studien zeigen Einfluss nationalistischer Ziele auf Hochschulen 

Im Memorandum werden etliche Studienbeispiele genannt, die konkrete Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit durch nationalistische Bestrebungen offenlegen: "In Dänemark hat ein wiederbelebter Wirtschaftsnationalismus und -wille dazu geführt, die Zahl der internationalen Studierenden zu reduzieren und englischsprachige Programme zu schließen. (…) Ähnliche Tendenzen sind in den Niederlanden zu beobachten (…). In Polen (…) werden auch die Fakultätsmitglieder mit zunehmendem Misstrauen betrachtet. In Ungarn wurde die Entscheidung der Orban-Regierung aus dem Jahr 2016 zum Verbot der Central European University als ein entscheidender Moment in der wachsenden Bedrohung der akademischen Freiheit im Land (…) bewertet. Mit der Einbindung der Hochschulbildung in die außenpolitischen Agenden der EU und Russlands, befinden sich Länder wie Moldawien zwischen „rivalisierenden“ externen Akteuren und wettbewerbsorientierte Agenden und Ideologien in der Hochschulbildung wieder (…). Der Aufstieg neonationalistischer Bewegungen in Europa wird als ‚Weckruf‘ (van der Wende 2021) für Universitäten beschrieben." 

"In Polen (…) werden auch die Fakultätsmitglieder mit zunehmendem Misstrauen betrachtet."
Memorandum of Understanding (MoU) des OPEN-Projekts

Einige Studien haben speziell die Politisierung der Forschung untersucht und wie diese das Potenzial für wissenschaftliche Zusammenarbeit und Offenheit untergrabe. Einige analysierten, wie politisches Agieren in Form von "Transformationen", "Kulturkrieg" und "autoritärem Populismus" auf Hochschulen und Wissenschaft wirkten. 

Hochschulen am Scheideweg zwischen Offenheit und Abschottung 

Die Vorsitzende des Projekts, die außerordentliche Professorin Katja Brøgger von der Universität Aarhus, sagte laut University World News: "Die europäischen Universitäten befinden sich heute zwischen zwei gegensätzlichen Visionen über Europa, einerseits einer Bewegung hin zu einer tieferen politischen Integration und Offenheit und andererseits einer Manifestation der europäischen Nationalstaaten als Zentrum politischer Souveränität und sozialer Sicherheit." Ihrer Meinung nach befindet sich die Wissenschaft an einem Scheideweg zwischen Offenheit und Abschottung. 

"Damit erleben wir eine Entwicklung, die (…) die akademische Freiheit, das internationale Engagement und die Mobilität an den Universitäten einschränkt". 
Vorsitzende des Projekts,Professorin Katja Brøgger, Universität Aarhus

Brøgger sieht sicherheitspolitische Erwägungen gegenüber Russland und China als neue Protektionismus-Bestrebungen : "Damit erleben wir eine Entwicklung, die sich auf die akademische Offenheit im Austausch mit Nachbarländern und Ländern außerhalb der EU auswirkt und die akademische Freiheit, das internationale Engagement und die Mobilität an den Universitäten einschränkt". 

Projektbeteiligte wünschen sich Schutz der Wissenschaftsfreiheit 

University World News befragte Teilnehmende am Projekt OPEN zu ihren Gedanken über Wissenschaftsfreiheit und nationalistische Bestrebungen. Die in Wien arbeitende Professorin Andrea Peto, Vorsitzende einer OPEN-Arbeitsgruppe, sagte: "In Ungarn stehen die Gender Studies als akademische Disziplin seit den 2010er Jahren unter Beschuss, was nur der Anfang eines Paradigmenwechsels in der Hochschulbildung in der Europäischen Union war". Peto will auf europäischer Ebene eine Datenbank im Dienste der akademischen Freiheit aufbauen. 

Hans de Wit, emeritierter Professor vom Boston College Center for International Higher Education in den Vereinigten Staaten, sagte, dass die europäischen Hochschulen die Sorge um die akademische Freiheit lange Zeit als ein Problem des Globalen Südens betrachtet hätten. Dies sei nun aber in den letzten zehn Jahren durch den Anstieg von Nationalismus und Populismus zu einem Problem der reichen Industrienationen des Nordens geworden, die sich noch dazu mit geopolitischen Spannungen und Sicherheitsbedenken bei der Aufrechterhaltung von internationalen Beziehungen auseinandersetzen müssten. 

"Wir erleben derzeit eine (Re-)Nationalisierung der Hochschulbildung und eine Politisierung der Forschung."
Vorsitzende des Projekts,Professorin Katja Brøgger, Universität Aarhus

Die Vorsitzende des Projekts Brøgger führt dazu gegenüber University World aus: "Wir erleben derzeit eine (Re-)Nationalisierung der Hochschulbildung und eine Politisierung der Forschung, die zunehmend Einfluss auf die Hochschulpolitik nimmt, einschließlich Autonomie und Leitung, akademischer Freiheit, Open Science und internationalem Engagement". 

Claus Holm, Leiter der Danish School of Education an der Universität Aarhus, betonte, dass er es für besonders wichtig halte, dass der Universität als Institution eine führende Kraft bei der Wissenschaftskooperation über akademische Disziplinen hinweg zukomme, um Wissen und Austausch zu stärken und die Grundwerte der Hochschulbildung und der Offenheit der Forschung zu schützen. 

Ziele der internationalen Forschungsinitiative 

Das Projekt zielt darauf ab, ein internationales, interdisziplinäres Netzwerk aufzubauen, das mit Akteurinnen und Akteuren aus Hochschulbildung und Forschung zusammenarbeitet, um Ideen und Strategien zur Sicherung der akademischen Offenheit und der globalen Kooperationsfähigkeit zu entwickeln. Die Grundprinzipien der Offenheit und der akademischen Freiheit sollen laut Memorandum mit den sich wandelnden Sicherheitsinteressen in Einklang gebracht werden. 

Außerdem heißt es in der Projektbeschreibung: "Das Netzwerk wird nachhaltige und übertragbare analytische und konzeptionelle Rahmenbedingungen für zukünftige Studien und Kooperationen entwickeln, einschließlich Mentorenprogrammen für den wissenschaftlichen Nachwuchs". Das Team wolle evidenzbasierte politische Erkenntnisse zu Fragen der Forschungsfreiheit, Meinungsfreiheit und der offenen Wissenschaft im europäischen Hochschul- und Forschungsraum bereitstellen. 

Darüber hinaus bestehe das Forschungs-Netzwerk zu einer großen Mehrheit von rund 80 Prozent aus Akademikerinnen. Da Frauen in der europäischen Forschung mit einem Drittel Beteiligter das unterrepräsentierte Geschlecht seien, wolle das Netzwerk seinen Teil dazu beitragen, deren Anteil zu erhöhen.