Eine Illustration mehrere Symbole, die mit der Hochschule zu tun haben
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Erasmus+
Die "European University for Well-Being" hat große Ziele

Die Allianz "EUniWell" vereint 11 europäische Universitäten. Wie gelingt es, mit so vielen Hochschulen am "guten Leben" zu forschen? Ein Gespräch.

Von Philipp Jedicke 16.10.2023

Eine der Initiativen, die von dem im Jahr 2023 deutlich erhöhten Budget für das internationale EU-Programm Erasmus+ profitiert, ist die "European University for Well-Being" (EUniWell). Im Rahmen der Budgeterhöhung hat "EUniWell" hat vor Kurzem weitere 14,4 Millionen Euro erhalten. Eine der elf beteiligten Hochschulen ist die Universität zu Köln. Über den Arbeitsalltag in einer wahrhaft europäischen Allianz.

Forschung & Lehre: Frau Professor Busse, Sie sind Prorektorin für Lehre und Studium an der Universität zu Köln sowie Chief Development Officer "EUniWell". Könnten Sie kurz skizzieren, wie Erasmus+ und "EUniWell" zusammenhängen?

Beatrix Busse: Erasmus+ schreibt verschiedene Förderlinien aus, wie zum Beispiel Austauschprogramme für Studierende. Im Rahmen der Förderlinie "Europäische Universitäten" haben wir die "European University for Well-Being" als Allianz gegründet. Wir haben mit sieben Universitäten angefangen und jetzt sind wir elf. Dahinter steht eine Mission, nämlich: Wie schaffen es einzelne europäische Unis, miteinander zu kooperieren, mit einer gemeinsamen Mission unterlegt, die alle Leistungsbereiche umfasst – Forschung, Lehre und Transfer? Wir bauen "EUniWell" seit drei Jahren auf und haben gerade wieder 14,4 Millionen Euro eingeworben.

Professor Beatrix Busse ist Prorektorin für Lehre und Studium an der Universität zu Köln sowie Chief Development Officer "EUniWell". Universität zu Köln

F&L: Wird es an der European University for Well-Being eigene Studiengänge geben?

Beatrix Busse: Innerhalb "EUniWell" arbeiten wir aktuell an zwei eigenen Studiengängen. Der eine betrifft das Thema "Public Health" und der andere wird ein Master in "Peace Studies" sein. Darüber hinaus entwickeln wir kleinere Lernangebote, durch die Lernende sogenannte "Micro Credentials" erwerben können. Diese zielen zum Beispiel auf die Förderung digitaler Bildung ab. Denn wir denken, auch diese hat mit individuellem Well-Being und damit auch mit gesellschaftlichem Wohl zu tun. Ein "gutes" Leben zu führen bedeutet ja nicht nur Gesundheit, sondern auch Teilhabe, Bildung und Souveränität in einer post-digitalen Welt. Mit Blick darauf gibt es auch verschiedene Parameter. Dazu gehört nicht nur das Bruttoinlandsprodukt eines Landes, sondern auch "Lifelong Learning", das heißt die Förderung der Möglichkeiten und der Bereitschaft dazu, sich ein Leben lang weiterzubilden und zu lernen.

F&L: Welche Bereiche von Forschung und Lehre bezieht die europäische Hochschule "EUniWell" mit ein?

Beatrix Busse: "EUniWell" steht sowohl für Bildung, Lernen und Lehre als auch für Forschung, Transfer und Innovation. Nach einer Analyse der Forschungsaktivitäten sowie bibliometrischen Analysen der "Sustainable Development Goals" (SDG) der Vereinten Nationen von allen elf Universitäten sind wir auf fünf verschiedene Themenbereiche gekommen, die wir weiterverfolgen: Das sind natürlich "Health", also Gesundheit, und "Well-Being", sowohl "Individual" als auch "Social Well-Being". Dazu kommt die Umwelt. Dann wollen wir die Ausbildung von Lehrkräften stärken. Und als fünftes Element: Sprache, Kultur und Multilingualismus. Aus diesen Bereichen kommen unsere Bildungsangebote.

F&L: Das klingt wie eine Aufgabe, für die man wirklich leidenschaftliche Partnerinnen und Partner braucht.

Beatrix Busse: Es freut mich, dass Sie das sagen! Sie können sich vorstellen, es ist sehr viel Arbeit, elf Partnerinnen an den Start zu bringen. Und die 14,4 Millionen, die wir bekommen, sind verpackt in höchst strukturierte "Work Packages", "Tasks" und "Deliverables". Neben der Leidenschaft braucht man auch Menschen, die Innovation wollen, die Veränderung wollen, weil wir auch andere "Governance"-Strukturen ausprobieren. Wir haben auch sehr die nächste Generation im Blick. "Career Development und Well-Being": Was heißt das heute eigentlich? Können wir mit gutem Gewissen noch so viele Doktorandinnen und Doktoranden heranbilden? Was heißt Doktorandinnen- und Doktoranden-Heranbildung im Kontext von "Well-Being"? Was müssen die Studierenden können, was brauchen die Managerinnen und Manager in diesem komplexen Managementsystem? Ich kann auch sagen, es ist das Tollste, was ich bis jetzt gemacht habe.

Ein Mindset und vor allem auch die Haltung für notwendigen Wandel müssen sich entwickeln durch gemeinsame Projekte und neue Formen der Zusammenarbeit. Das braucht verständlicherweise Zeit. Professor Dr. Busse

F&L: Man hat von außen das Gefühl, dass wir in Deutschland nicht nur digital hinterherhinken, sondern oft auch strukturell. In Skandinavien oder in den baltischen Staaten scheint im Uni-Alltag schon einiges mehr auf kurze Wege ausgerichtet zu sein. Merken Sie das auch so im Arbeitsalltag, im Vergleich mit den anderen Unis?

Beatrix Busse: Ein Mindset und vor allem auch die Haltung für notwendigen Wandel müssen sich entwickeln durch gemeinsame Projekte und neue Formen der Zusammenarbeit. Das braucht verständlicherweise Zeit. Viele dachten: "Ach, schon wieder ein europäisches ERASMUS-Projekt.“ Aber: Das Thema sowie die Art der Kooperation werden jetzt als sehr relevant, notwendig und höchst zeitgemäß wahrgenommen. Die akademische Gemeinschaft in den Universitäten beginnt, sich damit zu identifizieren. Wie will man zusammenarbeiten, um bestimmte Dinge übergreifend aufzubauen? In welchen Fällen benutzt man "Design Thinking" oder auch nicht? Wie werden zukünftig Labors funktionieren, was ist ein "Living Lab"? Was braucht man dazu für Kompetenzen? Wir als Universität zu Köln bilden gerade zum Beispiel selbst "Design Thinker" aus, damit wir agiler arbeiten können.

F&L: Well-Being ist ja erstmal was Schönes. Aber das dann ins Konkrete zu bringen und zu vermitteln, ist sicher schwierig. Die meisten Leute verbinden damit wahrscheinlich erstmal Achtsamkeit.

Beatrix Busse: Wenn überhaupt! Aufgrund der vielleicht naheliegenden Übersetzung ins Deutsche besteht die Gefahr, nur an Wellness zu denken. Unser Unterfangen ist jedoch wissenschaftlich in Forschung, Lehre, Transfer und Innovation mit dem Wohlergehen, dem Wohlbefinden des Individuums, der Gesellschaft und des Planeten verbunden.

F&L: Trotzdem ist es klug, das als Titel zu wählen, weil es eben auch Wohlfahrt in sich hat.

Beatrix Busse: Das war auch ein Risiko. Natürlich behandeln andere europäische Universitäten und Allianzen ebenfalls "Well-Being" oder "Health" in ihren Forschungs- oder Lehrschwerpunkten. Aber wir waren so mutig und haben das zum zentralen Thema gemacht in unserer Allianz. Es steht im Namen. Da gab es viele Fragen in die Richtung: "Also ganz ehrlich, ist das überhaupt Forschung? Wie kommt man da an Exzellenz?" Und es ist ja auch ein wenig disruptiv zu sagen, man kümmert sich um "Well-Being", Exzellenz und Inklusion. Und in diesen Konflikten, in diesen Widersprüchen bewegen wir uns und arbeiten sehr hart daran, die Community mitzunehmen. Aber das schafft Wert und Werte, Bildungsprozesse, Innovation und Kreativität, wie es der Kern eines universitären Auftrags ist. Wir benötigen diese Innovation und Transformation.

Für die kreative Arbeit sind klassische Hierarchien sekundär. Professor Dr. Busse

F&L: Sie haben die Design Thinker schon erwähnt, Living Lab und solche Stichworte, haben Sie noch ein paar Beispiele, welche Veränderungen sie bereits in Gang gebracht haben?

Beatrix Busse: Sehr gerne. Zum Beispiel habe ich ein Format namens "Arena" ins Leben gerufen. Arenen sind Formate der ko-kreativen, inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit von Expertinnen und Experten, in denen die oben genannten Themen weiter erarbeitet werden sollen. Sie heißen Arenen, weil ich damit klar machen wollten: Hier ist jeder gleich in seiner oder ihrer Expertise. Da wird agil gearbeitet, an den Nutzerinnen und Nutzern orientiert. Arenen vermitteln eine ebensolche Haltung. Die Gruppe in solchen Workshops ist interdisziplinär, sie besteht nie nur aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, sondern immer auch aus Leuten aus dem Management und Studierenden, damit wir alle Perspektiven vereinen. So arbeiten wir sogar in unserer Governance, in unserer "Steering Group". So legen wir noch mehr kreatives Potenzial frei, denken wir. Für die kreative Arbeit sind klassische Hierarchien sekundär. Arenen verstehen sich als "Think Tank". Das Erarbeitete dient als Vorbereitung für den Gremiengang, der für die Entscheidungsfindung weiterhin unerlässlich ist. Die "Living Labs" sind im Aufbau, das geht nicht für jeden Bereich. Chemikerinnen und Chemiker brauchen ein Labor auch vor Ort, das ist einfach so. Aber es gehört zum Beispiel dazu, dass die Studierenden in anderen Labors hospitieren können. Für Bereiche wie Umwelt wäre ein Ziel, dass die Labors sich irgendwann auch bewegen, zum Beispiel von Birmingham nach Köln, und Vergleiche machen. Das ist natürlich auch eine Kostenfrage, das muss sehr gut konzipiert werden.

F&L: Wie muss man sich Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Beatrix Busse:  Für EUniWell gibt es an jeder Universität ein Team von Projektmanagerinnen und -managern sowie weiteren Personen, die in die jeweilige Uni wirken. Wir in Köln sind mit vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die Koordination zuständig. In unserem Hauptoffice für EUniWell sind im Moment zahlreiche weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich habe die akademische/wissenschaftliche Leitung und ein "Managing Director" die Managementleitung. Die "Steering Group" mit den "Vice Rectors", die an ihren Unis zuständig sind, trifft sich wöchentlich, auch die Managementebene. Dazu habe ich mit den Teams dreimal die Woche "Jour Fixe" und natürlich sind wir permanent zu diversen Fragen im Austausch, entweder in den Treffen oder über diverse weitere Kommunikationskanäle. Ich lege großen Wert auf Teamarbeit und die Expertise- und Kompetenz-basierte Aufteilung der anfallenden Aufgaben.

F&L: Was gefällt Ihnen besonders am Austausch mit Ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen?

Beatrix Busse:  Besonders gefallen mir die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, die Haltung zu Leadership und die internationale Ausrichtung sowie die wunderbare Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Jeder Kollegin, jeder Kollege versprüht den ko-kreativen Enthusiasmus, an einer einzigartigen, außergewöhnlichen Mission und Vision beteiligt zu sein, und diese nun wirklich für das Wohlergehen, das "Well-Being", aller und der Welt umsetzen zu wollen. Das ist erhebend, macht demütig und stolz zugleich.

Zur "EUniWell-Allianz" gehören die Universitäten Köln und Konstanz (Deutschland), Birmingham (UK), Florenz (Italien), Inalco und Nantes (Frankreich), Linnaeus (Schweden), Murcia und Santiago de Compostela (Spanien), Semmelweis (Ungarn) und die Taras Shevchenko National University of Kyiv in der Ukraine.