Vor grellgelbem Hintergrund sind bunte, verschieden große Bauklotzrechtecke aufgestellt, auf denen eine Kurve aus einem schmalen Kartonstreifen gleich einem Fahrgeschäft aufliegt.
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Rektor des Jahres 2024
"Mir ist bewusst, dass man alleine gar nichts erreichen kann"

Manfred Bayer, Rektor des Jahres, spricht über Gestaltungsmöglichkeiten, begrenzte Ressourcen, hohen Wettbewerbsdruck und wachsende Bürokratie.

Von Friederike Invernizzi 08.05.2024

Forschung & Lehre: Herr Professor Bayer, herzlichen Glückwunsch zur Wahl als Rektor des Jahres 2024. Was denken Sie, hat den Ausschlag gegeben, dass die Kolleginnen und Kollegen Sie gewählt haben? 

Manfred Bayer: Rektor an dieser Universität zu werden war nie Teil meiner Lebensplanung. Ich war zwölf Jahre lang Senatsvorsitzender, dachte, ich hätte damit meine Pflicht getan und wollte mich eigentlich aus diesem Amt zurückziehen. Ich habe mich lange Zeit gesträubt, bin dann aber schwach geworden, mit verheerenden Konsequenzen (lacht). 

F&L: Warum haben Sie dann doch Ja gesagt? 

Manfred Bayer: Ich wurde immer wieder angefragt. Mir wurde vermittelt, dass man mir dieses Amt zutraut. In meiner Antrittsrede habe ich dann sehr klar gesagt: Wenn ihr mich hier irgendwann nicht mehr haben wollt, gebt mir Bescheid, ich packe meine Kiste und bin draußen. Bis zu meiner Wahl im September 2020 hatte ich außerdem kaum Zeit, mir umfassend Gedanken darüber zu machen, was ich als Rektor eigentlich alles umsetzen will. 
Im Allgemeinen wird mir nachgesagt, dass ich gut die Ruhe bewahren kann. Das bedeutet nicht, dass ich innerlich ruhig bin, aber ich habe offenbar das Talent, nach außen so zu wirken. Außerdem kommt wohl meine Unverfrorenheit gut an, um Dinge einzufordern. Da hilft mir mein fränkischer Dialekt. Wenn man den sprechen kann, kommen Wahrheiten, die vielleicht unangenehm sein können, wesentlich freundlicher beim Gegenüber an, als wenn man Hochdeutsch spricht.

Ein Mann mit Brille und dunkelblauem Anzug sitzt in einem leeren Hörsaal.
Manfred Bayer ist Rektor der Technischen Universität Dortmund und Rektor des Jahres 2024. Technische Universität Dortmund/Benito Barajas

F&L: Welche Visionen und Vorstellungen, wie Sie Ihre Universität leiten wollen, haben Sie dann im Laufe der Zeit entwickelt? 

Manfred Bayer: Durch die Corona-Pandemie gab es zunächst keinen Masterplan, der Krisenmodus herrschte vor. Deutlich wurde mir dann, dass es wichtig ist zu schauen, dass die Universität möglichst in allen Bereichen vorankommt. Grundlage dafür ist meiner Meinung nach das, was meine Mutter immer sagte: Behandle alle Leute, unabhängig von ihrem Hintergrund, mit Respekt. 
Ein weiterer Punkt ist, dass mir Vertrauen wichtig ist. Wenn man den Menschen ein bestimmtes Grundvertrauen entgegenbringt, fällt es einem wesentlich leichter, so ein Amt auszufüllen. Mir ist bewusst, dass man alleine gar nichts erreichen kann, sondern nur im Team Erfolg haben wird. Der nächste Punkt, der mir wichtig erscheint, geht gar nicht so sehr auf mich zurück, sondern wurde schon von meiner Vorgängerin Ursula Gather angestoßen, nämlich der Gedanke finanzieller Transparenz.

F&L: Was verstehen Sie darunter? 

Manfred Bayer: Bei uns an der TU Dortmund vermittelt das Rektorat allen Hochschullehrenden, wieviel Geld wir zur Verfügung haben und wie wir es ausgeben wollen. Dafür gibt es einen Schlüssel. Die Fakultäten können sich ausrechnen, wieviel Geld sie ausgeben können. Das hat zur Beruhigung und Entspannung bei den allgemeinen Überlegungen zu Ressourceneinsparungen beigetragen.

F&L: Mit den Jahren haben sich die Herausforderungen an Führungskräfte an Universitäten und Hochschulen sehr stark verändert. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein? 

Manfred Bayer: Wie bereits erwähnt, galt es zu Beginn meiner Amtszeit vor allem, die Corona-Pandemie und die Energiekrise zu bewältigen. Die Bewältigung dieser Herausforderungen ging mit erheblichen Kostensteigerungen einher. Ich hoffe, dass wir das alles hinter uns gelassen haben. 
Was uns nach meiner Einschätzung in den letzten dreieinhalb Jahren bei der ganzen Krisenbewältigung unter Umständen verloren gegangen ist, ist der positive Blick, der sich in gestalterischer Absicht nach vorne richtet. Es ist wichtig, darauf zu achten, dass man nicht den ganzen Tag damit verbringt ,Krisen zu managen, sondern, dass auch die Möglichkeit besteht, die Zukunft zu gestalten.

F&L: Stichpunkt Krisen managen und vorausschauend planen. Was genau stand und steht bei Ihnen da im Fokus?

Manfred Bayer: Als die Energiekrise aufkam, haben wir natürlich angefangen zu sparen. Das ist uns auch gut gelungen. Wir sparen jetzt mittlerweile 30 Prozent beim Gas im Vergleich zum Verbrauch vor der Krise ein, beim Strom sind es 20 Prozent. Die gesamte Universität hat da eindrucksvoll mitgearbeitet. Jedoch ist Sparen nur begrenzt möglich. Es ist wichtig, nicht übermäßig zu sparen, da dies langfristig negative Folgen haben kann. Wir haben daher angefangen, uns nach Energiealternativen umzusehen. 
Hier unmittelbar in der Nähe der Universität gibt es eine Fläche, die für Windräder geeignet ist. Wir wollen dort ein eigenes Windrad aufstellen, womit wir unseren CO2-Austausch um 40 Prozent reduzieren und uns im schlimmsten Fall mit Strom versorgen können. Ich würde mich freuen, wenn in unmittelbarer Nähe meines Büros, nur 500 Meter entfernt, ein großes Windrad mit dem TU-Logo stehen würde. Wir stellen außerdem auf Pellets um und bauen eine Fotovoltaik-Anlage in eigener Verantwortung. Zudem stellen wir intensive Überlegungen zur Sanierung unserer Universitätsgebäude an, denn viele sind mindestens 50 Jahre alt und praktisch nicht gedämmt. 

F&L: Welche Überlegungen stellen Sie im Hinblick auf die inhaltliche und strukturelle Ausrichtung der Fachbereiche an Ihrer Universität an? 

Manfred Bayer: Wir sind zwar eine Technische Universität, aber wir haben auch geistes- und sozialwissenschaftliche Fakultäten. Ein wichtiger Punkt sind hier zum Beispiel die Überlegungen zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung, nicht zuletzt deshalb, weil eine ehemals Pädagogische Hochschule in die TU integriert ist. Außerdem müssen wir im Blick haben, dass die Studierendenzahlen sinken und wir jetzt schon in vielen dringend benötigten Disziplinen zu wenig Studierende haben. Das geht mittlerweile wohl allen Universitäten so, vor allem den Technischen Universitäten.
Nicht zuletzt muss die Internationalisierung der Hochschulen auch aus diesem Grund vorangetrieben werden. Zurzeit bieten wir 14 Masterstudiengänge auf Englisch an. Als ich ins Amt kam, gab es nur drei sehr spezielle Studiengänge auf Englisch, sehr bald sind wir bei 20. Mittlerweile kommt es also gut voran. 

F&L: Wie möchten Sie Ihre Universität nach außen vertreten und welche Rolle spielt die Wissenschaftskommunikation für Sie?

Manfred Bayer: Wissenschaftskommunikation ist uns sehr wichtig. Wir müssen unser Wissen gerade in diesen Zeiten in die Gesellschaft tragen und zugleich darauf hinweisen, dass jedes Wissen mit Unsicherheit behaftet ist. Es herrscht allgemein die Vorstellung, man müsste als Wissenschaftlerin oder Wissenschaftler alles perfekt wissen. Wenn man das versucht, entsteht ein falsches Bild, dass wissenschaftliche Einschätzungen nicht von Unsicherheiten betroffen wären, sind sie aber. Das hat uns die Corona-Zeit gelehrt. 

"Wir müssen darauf hinweisen, dass jedes Wissen mit Unsicherheit behaftet ist."
Manfred Bayer, Rektor der Technischen Universität Dortmund


Was die konkrete Umsetzung betrifft: Zwar liegt die TU Dortmund ein bisschen am Rande der Stadt, aber wir versuchen trotzdem, unser Wissen in die Gesellschaft zu tragen. Durch einen Zufall habe ich vor einigen Jahren herausgefunden, dass Alfred Nobel in Dortmund gearbeitet und die Initialzündung erfunden hat. Wir haben dann entschieden in der Vortragsreihe "Initialzündung" Nobelpreisträger nach Dortmund einzuladen und die ganze Stadt mit einzuladen. 
Insgesamt verbessert sich das Verhältnis zwischen Stadt und Universität kontinuierlich, aber es gibt immer noch viele Menschen, die Schwierigkeiten haben, eine gemeinsame Basis mit Akademikern zu finden. Dies gilt auch umgekehrt. Außerdem sind wir nun mal in der Stadt, in der Fußball eine große Rolle spielt, da habe ich auch gar nichts dagegen (schmunzelt).

Hochschulentwicklung – Schwerpunkt in "Forschung & Lehre"

Die Maiausgabe von "Forschung & Lehre" widmet sich mit einem Themen-Schwerpunkt der "Hochschulentwicklung".

Die Beiträge:

  • Lambert T. Koch: Einheit in Vielfalt. Wie organisiert sich die Wissenschaft heute? 
  • Im Gespräch mit Manfred Bayer: Auf Allianzen setzen. Der Rektor des Jahres 2024 im Gespräch 
  • Stefan Süß | René Schmoll: Daueraufgabe "Arbeitgebermarketing". Implikationen zum Aufbau einer Arbeitgebermarke an Hochschulen 
  • Im Gespräch mit Wolfgang Wick: Mehr Beweglichkeit. Ziele und Wege einer beruflichen Laufbahn an der Hochschule

Auch haben wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gefragt, wie die Wissenschaft als Arbeitgeber attraktiv bleibt. 

Hier geht es zur aktuellen Ausgabe – Reinlesen lohnt sich!

F&L: Mit welchen Schritten sollte die Universität in ihrer organisatorischen Struktur weitergehen, um sich zu entwickeln und gleichzeitig ihrem klassischen Selbstbild, dem Bildungs- und Forschungsideal, treu zu bleiben?

Manfred Bayer: Sehr gute Frage! Es gibt ganz viele Menschen, die das klassische deutsche Universitätssystem mit Fakultäten und Lehrstühlen komplett aufbrechen wollen. Ich glaube, es ist wichtig, dass man diese Strukturen aufweicht. Ich sehe es aber nicht notwendigerweise so, dass dieses System komplett abgeschafft werden muss. Man braucht einen gewissen formalen organisatorischen Rahmen, um eine angemessene Betreuung von Studierenden zu gewährleisten. Wichtig ist, dass man die Durchlässigkeit zwischen den Fakultäten erhöht und vor allem die starren Hierarchien abbaut. Letztere sind vermutlich an den klassischen Universitäten noch ausgeprägter als bei Neugründungen. Hier im Ruhrgebiet sind nach meiner Einschätzung diese nicht so spürbar. Darüber hinaus müssen wir uns auch mit drohenden finanziellen Einschränkungen auseinandersetzen und damit, dass sich die Disziplinen immer weiter ausdifferenzieren. Selbst die größten Universitäten werden die Wissenschaft in ihrer Gesamtheit nicht mehr abbilden können. Insofern wird es essenziell sein, Allianzen zu bilden und sich gut abzustimmen, um Schwerpunkte zu setzen. 

"Wichtig ist, dass man die Durchlässigkeit zwischen den Fakultäten erhöht und die starren Hierarchien abbaut."
Manfred Bayer, Rektor der Technischen Universität Dortmund

F&L: Die Universitäten sollen dem Bildungsauftrag gegenüber der jungen Generation gerecht werden, aber auch die Einheit von Forschung und Lehre gewährleisten. Gleichzeitig sollen sie sich an betriebswirtschaftlichen Maßstäben messen lassen. Ein unmöglicher Spagat? 

Manfred Bayer: In früheren Zeiten hat man sich an den Universitäten ausschließlich auf Forschung und Lehre konzentriert. Das können sie heute nicht mehr. Wir müssen viele andere Aspekte berücksichtigen, so auch die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Ich setze aber darauf, dass die Politik erkannt hat, dass Bildung der Bereich ist, in dem wir am wenigsten sparen sollten und könnten. Natürlich ist es wichtig, bestehende Strukturen zu hinterfragen. Wie ich schon sagte, sind Allianzen wie die UA Ruhr eine Chance, weil man den Spielraum mit seinem Budget vergrößert. 
Bevor man Standorte schließt oder ganze Fächer aufgibt, sollte man sich zusammenschließen. Muss denn wirklich ein teures Großgerät an jedem Standort vorhanden sein? Muss wirklich jedes Fach überall in voller Breite ausgebaut sein? Oder reicht es nicht beispielsweise, wenn in einer Allianz ein thematischer Schwerpunkt nur an einem Standort voll ausgebaut ist? Das ist ein Gedanke, der natürlich im Wissenschaftssystem noch nicht richtig verankert ist, weil es bisher eher dem Konkurrenzprinzip gehorcht hat. Insofern ist es gut, dass sich seit 2019 in der Exzellenzstrategie auch Verbünde bewerben können oder man solche schon länger bei den Sonderforschungsbereichen einrichten kann. 

"Bevor man Standorte schließt oder ganze Fächer aufgibt, sollte man sich zusammenschließen." 
Manfred Bayer, Rektor der Technischen Universität Dortmund

F&L: Natürlich berührt das alles die Frage nach dem Selbstverständnis von Universitäten. Da gibt es unterschiedliche Ansichten über und Forderungen nach Veränderung… 

Manfred Bayer: Ich treffe immer wieder Menschen, die sich wünschen, dass man hier an der Universität so richtig durchregiert. Ich habe da so meine Zweifel. Man will beispielsweise Controllingmethoden auf die Wissenschaft übertragen, um sie wie Waren messen und kodifizieren zu können. Damit kann man ernsthaft scheitern, wenn man diese nicht erfüllt. 
Ich möchte versuchen, zunächst auf die erwähnten Allianzen zu setzen. Wir kommen nicht umhin, dass wir es bei unseren Ideen oder dem, was wir vorhaben, mit Menschen zu tun haben. Kennzahlen befriedigen häufig Sicherheitsbedürfnisse und am Ende stehen wir uns selbst im Weg. Man kann aus der Zahlenperspektive schauen und prüfen, was nützlich ist, aber natürlich immer mit der gebotenen Vorsicht. 

F&L: Mit dem Preisgeld wollen Sie eine Implicit-Bias-Schulung an Ihrer Universität finanzieren. Welche Bedeutung messen Sie Vorurteilen in der Personalführung bei? 

Manfred Bayer: Wir werden alle sehr stark von Vorurteilen in unserem Verhalten beeinflusst. Ich komme aus relativ einfachen Verhältnissen und bin mit bestimmten Vorurteilen aufgewachsen, ebenso ist man von solchen geprägt, wenn man aus anderen Teilen der Gesellschaft stammt. Diese Tatsache zu ignorieren können wir uns heutzutage einfach nicht mehr leisten. 
Wir müssen angesichts des Fachkräftemangels versuchen, jede Ressource, die diese Gesellschaft hat, zu aktivieren, und dabei dürfen uns Vorurteile nicht im Weg stehen. Es ist wichtig, sich den Spiegel vorzuhalten und sich zu fragen: Ist es eigentlich korrekt, was du da machst oder behandelst du jetzt jemand wirklich ungerecht?