Studentin der Fachrichtung Maschinenbau an der RWTH schaut durch das Loch eines Werkstücks
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Diskriminierung
Implicit Bias im akademischen Kontext

Bei Personalentscheidungen an Hochschulen sollte man Implicit Bias vermeiden. Was kann man gegen die meist unbewusste Verzerrung der Wahrnehmung tun?

Man stelle sich vor, man würde gebeten, bei Fotos von Personen einzuschätzen, ob die jeweils abgebildete Person gefährlich ist. Entsprechend der jeweiligen Einschätzung darf man zwischen zwei Reaktionen wählen: Schießbefehl oder kein Schießbefehl. Abgebildete Personen halten entweder eine Waffe oder ein nicht-bedrohliches Objekt (zum Beispiel ein Handy) in der Hand. Zudem sind die Personen entweder Weiße oder Schwarze. Die Entscheidung, wie man reagiert, hängt naheliegenderweise davon ab, ob das Gegenüber bewaffnet ist oder nicht. Die Ergebnisse eines klassischen Experiments (Shooter-Task beziehungsweise Police Officer’s Dilemma) zeigen aber: Nicht nur die Bewaffnung, sondern auch die Hautfarbe der abgebildeten Person bestimmt die Entscheidung.

Vielfaltsdimensionen und ­Diskriminierung durch Implicit Biases

Personen unterscheiden sich in Bezug auf zahlreiche Merkmale (das heißt in Vielfaltsdimensionen wie ethnische Herkunft und Nationalität, Alter, Geschlecht und geschlechtliche Identität, vgl. Charta der Vielfalt). Diskriminierung, also die Ungleichbehandlung von Individuen nach ihrer Zugehörigkeit zu solchen Gruppen, ist ein verbreitetes Problem. Es besteht noch immer, obwohl sich explizite Einstellungen (das heißt das, was Menschen in Befragungen über ihre Einstellungen berichten) gegenüber marginalisierten Gruppen positiv verändern. Implicit Biases können diesen Widerspruch zwischen berichteter Einstellung und Verhalten erklären und werden als einer der wichtigsten Gründe für das Weiterbestehen von Diskriminierung gesehen. So geben wir vielleicht an, fair zu handeln, obwohl wir Weiße im Vergleich zu gleichqualifizierten People of Colour (PoC) bevorzugen – ohne dass uns dieser Bias bewusst ist. Studien zeigen, dass Implicit Biases mit der Benachteiligung bestimmter Gruppen (unter anderem Frauen, Behinderte, Adipöse, Ältere, Personen anderer ethnischer Herkunft und Nationalität) – etwa bei der Personalauswahl – verbunden sind.

Der Begriff Bias bezeichnet eine kognitive Verzerrung, eine Voreingenommenheit, die Wahrnehmung und Verhalten beeinflusst. Ein Implicit Bias bedeutet, dass die Wahrnehmung durch nicht notwendigerweise bewusstes Kategoriendenken beeinflusst wird. Implizite Assoziationstests (IATs) sind derzeit die validesten Instrumente zur Erfassung solcher Biases. Im Gender-Science IAT zeigt sich beispielsweise eine deutliche Assoziation zwischen dem Wissenschaftsbereich "Geisteswissenschaften" und der Gruppe "Frauen" sowie zwischen dem Wissenschaftsbereich "Naturwissenschaften" und der Gruppe "Männer". Mit anderen Worten: Bei der Konfrontation mit Stimuli der Kategorie "weiblich" (zum Beispiel Frau) werden bei den meisten Untersuchten Assoziationen zu geisteswissenschaftlichen Bereichen (zum Beispiel Kunst) stärker aktiviert als zu naturwissenschaftlichen Bereichen (zum Beispiel Mathematik). Bei der Konfrontation mit Stimuli der Kategorie "männlich" (zum Beispiel Mann) ist es umgekehrt. Diese Assoziationen können diskriminierendes Verhalten begünstigen, etwa, wenn eine Frau sich auf eine Forschungsstelle in klassisch naturwissenschaftlichen Bereichen bewirbt.

Implicit Biases im ­akademischen Kontext

Der akademische Kontext ist nicht frei von Biases. In einer viel beachteten Studie aus den USA wurden Bewerbungsunterlagen für die Position "lab manager" konstruiert. Die Lebensläufe waren identisch, nur das Geschlecht unterschied sich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tendierten dazu, den fiktiven Bewerber als kompetenter zu bewerten als die Bewerberin mit identischer Qualifikation. Unterschiede in der Behandlung von Bewerberinnen und Bewerbern auf Basis ihres Geschlechts wurden auch bei der Auswahl von Post-Docs gezeigt. Neben der Personalauswahl ist der gender citation gap zu nennen: Arbeiten von Wissenschaftlern werden in Beiträgen prestigeträchtiger Journale häufiger zitiert als Arbeiten von Wissenschaftlerinnen. Auch hier werden Implicit Biases als eine Ursache vermutet. Die Zitationshäufigkeit hängt wiederum eng mit der Vergabe von Drittmitteln, Preisen und allgemein der Anerkennung von Leistungen zusammen, was weitere Folgen für die Karriere nach sich zieht.

Neben dem Gender Bias lässt sich auch im akademischen Bereich ein Race Bias nachweisen. Zudem lassen sich Kombinationen (Intersektionalität) von Implicit Biases nachweisen, die besonders ungünstig sind (zum Beispiel Frau und PoC zu sein). Etwa verweisen Studienergebnisse auf besonders schlechte Karrierechancen für Latinas und schwarze Frauen im Fachbereich Physik. Die Auswirkungen von Implicit Biases auf das Zusammenleben und -arbeiten im akademischen Bereich werden zunehmend auch von den Universitäten wahrgenommen und thematisiert. So bietet etwa die Universität Heidelberg ein Online-Tutorial zum Gender Bias in Berufungsverfahren an.

Stabilität und Veränderbarkeit von Implicit Biases

Lassen sich Implicit Biases ändern? Studien zur Veränderbarkeit liegen vor allem im Bereich des Implicit Race Bias vor, da die Forschung hierzu eine lange Tradition hat. Metaanalysen mit Daten von über 23.000 Probandinnen und Probanden verweisen auf erschreckende Stabilität. Es zeigte sich, dass von insgesamt 18 Interventionen lediglich neun Interventionen zur Reduzierung des Biases führten. Allerdings war dieser Effekt nach wenigen Tagen nicht mehr sichtbar – die Werte waren wie­der auf Ausgangsniveau. Eine mögliche Erklärung ist, dass die Kommunikation und Berichterstattung über Personen verschiedener ethnischer Herkunft und Nationalität im Alltag so verzerrt sind, dass die Effekte der Interventionen nur von kurzer Dauer sind. Sie werden schnell wieder verlernt. Andere Studien zur Veränderung in Implicit Biases verweisen auf einen kleinen durchschnittlichen Effekt (|d’s| < .30), wobei konstatiert werden sollte, dass auch kleine Effekte für betroffene Einzelne wichtige Folgen haben können.

Allerdings sind mit Einstellungsveränderungen nicht notwendigerweise Verhaltensveränderungen verbunden. Inwiefern sich Implicit Biases in das Verhalten übertragen, hängt von diversen weiteren Faktoren ab. Beispielsweise können negative Effekte von Implicit Biases durch die Abwesenheit von rassismusbilligenden Normen abgeschwächt werden. Wann sich (veränderte) Implicit Biases wie stark in Verhalten übersetzen, wird derzeit untersucht. Vielleicht ist das Labor auch das falsche Setting, um solche Biases zu verändern? Möglicherweise sind intensivere oder häufigere Interventionen nötig. Diese Idee wurde in einer Studie aufgegriffen, in welcher unter anderem der Einfluss der Black Lives Matter (BLM)-Bewegung auf den Implicit Race Bias untersucht wurde. Angenommen wurde, dass große gesellschaftliche Antirassismus-Bewegungen wie die BLM-Bewegung und die damit einhergehenden Veränderungen in Kultur und Medien die Biases längerfristig ändern könnten. Der Implicit Racial Bias von über 1,3 Millionen Probandinnen und Probanden aus den USA (Schwarze und Weiße) war vor und während der BLM-Bewegung erhoben worden. Es zeigte sich, dass sich der Bias während der BLM-Bewegung zunehmend reduzierte und zwar vor allem bei Weißen.

Die Studien zeigen also, dass Implicit Biases ein gesamtgesellschaftliches Problem sind, das auch vor dem Wissenschaftsbereich nicht Halt macht. Gesamtgesellschaftliche Anstrengungen sind für dauerhafte Veränderung wichtig.