Eine blonde Frau steht vor Studierenden in einem Seminarraum. Ein Student meldet sich.
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Lehre
"Notwendig, aber nicht hinreichend"

Die Lehre ist ein wesentlicher Bestandteil einer Hochschultätigkeit. Sie kommt aus strukturellen Gründen oft zu kurz, meint Kolja Briedis.

Von Katharina Finke 31.01.2024

Forschung & Lehre: Die Lehre wird zu großen Teilen vom sogenannten "akademischem Mittelbau" gestemmt: Zahlt sich die Erfahrung für das Vorankommen in der wissenschaftlichen Karriere überhaupt aus? 

Kolja Briedis: Nein. Bei der wissenschaftlichen Karriere, die als Zielzustand, um im Wissenschaftssystem zu verbleiben, nur die Professur kennt, spielt die Lehre eine untergeordnete Rolle. Allerdings muss man dazusagen, wer in seiner wissenschaftlichen Karriere nie gelehrt hat, wird es auch schwer haben. Zwei, drei Seminare in fünf oder gar zehn Jahren werden nicht ausreichen. Aber Lehre ist kein wichtiges Kriterium, über welches man sich im Berufungsverfahren profilieren kann. In der Mathematik würde man sagen: Lehre ist notwendig, aber nicht hinreichend. 

F&L: Wovon hängt es ab, ob eine Person in ihrer wissenschaftlichen Karriere Erfolg hat? 

Kolja Briedis: Entscheidend ist, dass das inhaltliche Profil auf die Stelle passt. Manchmal ist das ein Glücksspiel, denn Hochschulen können, wenn sie Professuren neu ausschreiben oder wieder besetzen, immer wieder die Ausrichtung der Stelle verändern. Also selbst, wenn jemand vorher schon an der Universität war oder sich aufgrund seiner fachlichen Expertise Chancen ausrechnet, kann ein anderer Schwerpunkt gesetzt werden, und das kann Auswirkungen auf die Besetzung haben. 

Ganz oben auf der Liste für eine erfolgreiche Wissenschaftskarriere steht auch, wie publikationsstark jemand ist. Dabei wird auf Quantität und Qualität geachtet: In welchen Zeitschriften wurde veröffentlicht und welche Art von Publikationen waren das. Hinzukommt, ob die Person schon vorher selber Drittmittel eingeworben hat, in welchem Umfang, bei welcher Institution und wie erfolgreich sie dabei war. Auch Auslandsaufenthalte werden immer wichtiger. In bestimmten Fächern ist es Conditio-sine-qua-non für einen gewissen Zeitraum im Ausland gewesen zu sein.

Ein Mann mit grau-melierten Haaren, Brille und Anzug blickt freundlich in die Kamera. Es ist Dr. Kolja Briedis.
Dr. Kolja Briedis ist Projektleiter der Abteilung Bildungsverläufe und Beschäftigung am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) Petra Nölle

F&L: Wie bewerten Sie, dass die Lehre, wie Sie sagen, keine große Rolle für die Wissenschaftskarriere spielt? 

Kolja Briedis: Ich halte es in gewisser Hinsicht für problematisch, weil die Professorinnen und Professoren später Lehre betreiben müssen und das auch zu einem nicht so geringen Anteil. Meistens sind acht bis neun Semesterwochenstunden mit einer Professur verbunden und da sollte eine gewisse Qualität vorhanden sein. Im deutschen Wissenschaftssystem wird nach wie vor davon ausgegangen, dass gute Forschende automatisch gut lehren. Das stimmt aber leider nicht immer. Kritisch sehe ich, dass es dabei wenig Qualitätsüberprüfungen oder -sicherungen gibt. Es gibt zwar inzwischen Evaluierungen von Lehrveranstaltungen, aber die Ergebnisse spielen für das Berufungsverfahren eigentlich keine Rolle. Es wäre gut, wenn sich das ändert und Lehre insgesamt an Bedeutung für die Wissenschaftskarriere gewinnt. 

Es sollten Mindeststandards erfüllt werden müssen und sichergestellt sein, dass keine brillanten Forschenden berufen werden, die mit Lehre überfordert sind. Optimal wäre es, wenn klar ist, dass ich mich in der Lehre anstrengen muss, um gute Chancen in der Wissenschaft zu haben, und mein Engagement auch im Berufungsverfahren berücksichtigt wird.

"Es wäre gut, wenn (…) Lehre insgesamt an Bedeutung für die Wissenschaftskarriere gewinnt."
 Dr. Kolja Briedis, Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung

F&L: Welche Möglichkeiten können junge Lehrende nutzen, um sich didaktisch weiterzubilden? 

Kolja Briedis: Auch wenn sich die Hochschulen alle unterschiedlich organisieren, haben inzwischen alle Anlaufstellen, um sich beraten zu lassen, wie man eine Lehrveranstaltung gestalten kann. Es gibt Graduiertenakademien, die sich um Promovierende und Postdocs kümmern, oder Dachverbände und didaktische Zentren. Je größer eine Hochschule ist, desto leichter ist es, dort Angebote zu finden, da sie meist hinsichtlich Infrastruktur und Personals besser aufgestellt sind als kleinere. Hilfreich könnte es auch sein, sich mit anderen Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, dafür müssten diese allerdings selbst gut, motiviert und engagiert sein.

Aktuelle Ausgabe von "Forschung & Lehre": "Hochschulbildung"

Was zeichnet gute Hochschulbildung aus? Wie hat sich dies über die vergangenen Jahre gewandelt und wie denken Lehrende und Studierende über eine zukunftsfähige Hochschulbildung? Diesen Fragen widmet sich der Schwerpunkt der aktuellen Ausgabe von "Forschung & Lehre" – under anderem mit diesen Beiträgen:

  • Rudolf Stichweh: Die Omnipräsenz der Universität als Institution. Strukturwandel von Beruflichkeit und sozialer Schichtung 
  • Gabi Reinmann: Selbstbestimmt gestalten. Die Zukunft der Hochschullehre
  • Annett Kaldich im Gespräch: Mehr Begeisterung und Austausch. An der Universität nachhaltig lehren und lernen
  • Anja Steinbeck im Gespräch: Große Verantwortung. Die Lehre in den Fokus rücken
  • Christiane Bender: Ideale und reale universitäre Welt. Zur Anerkennung akademischer Lehre

“Forschung & Lehre" 2/24 – hier lesen

F&L: Was sollte in Zukunft noch getan werden? 

Kolja Briedis: Man muss aufpassen, dass man die Promovierenden und Postdocs nicht überfordert. Es ist gut, dass es inzwischen Unterstützung und Evaluierung in der Lehre gibt. Das hat es vor zwanzig Jahren an den deutschen Hochschulen noch nicht oder nur sehr wenig gegeben. Allerdings wäre es meines Erachtens sinnvoll, eine Evaluation auch systematisch für alle Lehrkräfte verpflichtend zu machen. Denkbar wäre eine Lehrveranstaltungsevaluation beispielsweise alle fünf Jahre. Anhand der Rückmeldungen könnte analysiert werden, wo Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. Entsprechend würde man dann passgenaue Schulungen besuchen. Diese Art der Qualitätssicherung wäre gut. Aber bei allen Lehrveranstaltungen permanent alles zu bewerten und entsprechende Schulungen zu verordnen, das wäre zu viel des Guten. 

"Wenn die Lehre an Bedeutung gewinnen würde, würde das den Frauen zugutekommen."
 Dr. Kolja Briedis

F&L: Wen sehen Sie dafür in der Verantwortung? 

Kolja Briedis: Die Qualität der Lehre ist zwar nach wie vor kein karriereentscheidendes Kriterium, aber sie wird immerhin diskutiert. Der Stellenwert der Lehre hat zugenommen, weil das Thema in den vergangenen fünfzehn Jahren nach und nach in das Bewusstsein gerückt ist. Das durch Hochschulgesetze weiter vorantreiben zu wollen, finde ich schwierig, weil Lehre dann nur eine Pflichtübung bleibt. Um etwas effektiv und nachhaltig zu verändern, muss es von Seiten der Hochschulen selbst kommen, weil nur sie diese Kultur einführen und vorleben können. Am besten von der Hochschulleitung, die das selbst überzeugt lebt. Nur dann kann es auf fruchtbaren Boden fallen und wirklich seine Wirkung entfalten.