In einem Schaufenster sind viele Reagenzgläser und Erlenmeyerkolben mit bunter Flüssigkeit zu sehen.
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Standpunkt
Quo vadis MINT?

Der Fachkräftemangel bedroht die Zukunft der Chemieberufe. Dieser Meinung ist Stefanie Dehnen, Präsidentin der Gesellschaft Deutscher Chemiker.

Von Stefanie Dehnen 11.03.2024

Der zunehmende Fachkräftemangel bedroht die Zukunft der Chemieberufe – und damit die gesamte Branche und in letzter Instanz die Aufrechterhaltung unseres Lebensstandards. Und mit Letzterem ist nicht etwa außergewöhnlicher Luxus gemeint, sondern schlicht alles, womit wir so selbstverständlich im täglichen Leben umgehen. Nicht allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ist jedoch bewusst, dass das mit dem Fachkräftemangel auf Dauer einhergehende Drosseln der entsprechenden Aktivität und Produktivität – von Wasseraufbereitung und Umweltanalytik bis hin zur Produktion von Treibstoffen, Alltagsgütern und Pharmazeutika – massive Auswirkungen auf unser Dasein hätte. 

Das fehlende Bewusstsein für diese prekäre Situation trägt nicht zuletzt dazu bei, dass der Schulunterricht im Fach Chemie nicht adäquat gefördert wird und daher nicht selten trotz hochmotivierter und engagierter Lehrkräfte auf den untersten Plätzen der Beliebtheitsskala landet. Dies erschwert die dringend nötige Entwicklung in Richtung größerer Anfängerzahlen in den chemischen Studiengängen und in chemienahen Ausbildungsberufen, was sich folgerichtig in dem aktuellen Abwärtstrend jener Zahlen widerspiegelt.

Es gibt nur eine Möglichkeit, dem entgegenzuwirken: Es muss frühzeitig das Interesse an den MINT-Fächern und Begeisterung für neugiergetriebene, naturwissenschaftliche Forschung geweckt werden, so dass aus interessierten Jugendlichen schließlich kompetente Forscherinnen und Forscher mit großer Sachkenntnis erwachsen. Aus guter und solider Grundlagenforschung lassen sich am Ende gezielt innovative Entwicklungen ableiten, wogegen die alleinige Optimierung von Bekanntem durch unzureichend geschultes Personal schnell an Grenzen stößt, wenn Kreativität nicht mehr abrufbar ist. 

Und dies bedarf letztendlich einer entsprechenden Vorbereitung in jungen Jahren, idealerweise vor der Pubertät, mithilfe qualitativ hochwertigen, anschaulichen Schulunterrichts durch immer bestens ausgebildete Lehrkräfte. Beides ist durch kontinuierliche Kürzungen gefährdet und lässt sich, sollten keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden, irgendwann auch nicht mehr retten.

Mein Plädoyer lautet daher: Im MINT-Bereich, insbesondere im Fach Chemie, muss mehr in die Ausbildung investiert werden – in die Studiengänge für Lehrkräfte an den Hochschulen und in den Schulunterricht selbst. Das gilt allem voran für den experimentellen Unterricht – denn keine noch so clevere Computersimulation kann das Erlebnis einer realen chemischen Reaktion im eigenen Reagenzglas ersetzen! 

"Mein Plädoyer lautet daher: Im MINT-Bereich, insbesondere im Fach Chemie, muss mehr in die Ausbildung investiert werden."
Stefanie Dehnen, Professorin für Informationsbasiertes Materialdesign und Nanowissenschaften, Karlsruher Institut für Technologie

Die nächste Generation kann nur dann neue, umweltverträgliche Materialien, ressourcenschonende Syntheseprozesse und klimaneutrale Energieträger entwickeln, wenn sie dies auf hohem Niveau erlernt hat – und weiterhin Spaß daran hat, sich diesen Themen zuzuwenden. Dies sicherzustellen ist die hochaktuelle und vielleicht wichtigste Aufgabe unserer Gesellschaft, denn die Auswirkungen werden – wie eingangs erwähnt – in naher Zukunft auf jeder Ebene zu spüren sein.