Eine Sprechblase wird von einer Hand abgewehrt und zersplittert.
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Wissenschaftskommunikation
Forschende zwischen Fakten-Kommunikation und Angriffen

Viele Forschende erleben Angriffe wegen ihrer Forschung. Julia Wandt ist Mitinitiatorin des "Scicomm-Supports", einer Beratungsstelle für Betroffene.

Von Katrin Schmermund 16.04.2024

Forschung & Lehre: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler trauen sich aus Angst vor persönlichen Angriffen nicht mehr, sich öffentlich zu äußern. Dabei ist es gerade aktuell wichtig, Falschnachrichten wissenschaftlich fundierte Einordnungen entgegenzusetzen. Wie beurteilen Sie die Situation? 

Julia Wandt: Wer an einer Hochschule kommuniziert, muss ausreichend geschützt werden. Das gilt für Einzelpersonen ebenso wie für die Hochschule als Institution, vertreten durch die Kommunikationsabteilung. Angriffe auf Forschende und wissenschaftliche Einrichtungen können die Wissenschaftsfreiheit einschränken, wenn sie dazu führen, dass Personen sich aus der Kommunikation zurückziehen oder gar ihre Forschungsrichtung ändern. 

Dass es zu Angriffen kommt, können wir häufig nicht verhindern, aber wir können uns darauf vorbereiten, um bei Angriffen besser und gelassener reagieren zu können. Die meisten Hochschulen und natürlich auch außeruniversitären Forschungseinrichtungen bieten dafür inzwischen Trainings, Weiterbildungen und Beratungsangebote für Wissenschaftskommunikation an.

Porträt einer Frau im Anzug mit zusammengestecktem, blondem Haar.
Julia Wandt verantwortet im Rektorat der Universität Freiburg den Geschäftsbereich Wissenschaftskommunikation und Strategie. Sie ist Mitinitiatorin des "Scicomm-Supports". Sandra Meyndt

F&L: Wie sollte die Wissenschaftskommunikation an den Hochschulen am besten organisiert sein und wie können sich Kommunikationsabteilung und Forschende ergänzen? 

Julia Wandt: Von einer starren Festlegung, wer was kommuniziert, halte ich nichts. Schließlich stehen Kommunikationsabteilung und Forschende gemeinsam für die Institution. Die Kommunikation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und den Kommunikationsabteilungen ihrer wissenschaftlichen Einrichtungen sollte daher Hand in Hand gehen. Eine Person, die zu einem bestimmten Thema forscht, ist fachlich die Expertin beziehungsweise der Experte für das eigene Thema. In den Kommunikationsabteilungen arbeiten die Kommunikationsexpertinnen und Kommunikationsexperten. Diese sollten in engem Austausch mit den Forschenden stehen, um Inhalte korrekt und passend auszugestalten. 

Parallel können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler persönlich über das Thema sprechen, schreiben und anderweitig kommunizieren. Kommunikationsabteilungen können unterstützen und zeitlich entlasten, indem sie etwa Bild-, Video- und Textmaterial erstellen und aufbereiten.

Im Idealfall wird auf verschiedenen Kanälen und zu verschiedenen Zeitpunkten kommuniziert, um ein möglichst breites Publikum zu erreichen. Dabei ist wichtig, dass sich Personen mit einer bestimmten Kommunikationssituation sicher und wohl fühlen. Letztendlich sollte die Entscheidung, ob man beispielsweise in einer Talkshow auftreten möchte, der Person selbst überlassen werden.

F&L: Im Juli 2023 haben Sie den "Scicomm-Support" mitinitiiert, eine externe Anlaufstelle, die Forschende bei Angriffen und unsachlicher Kritik kontaktieren können. Wer meldet sich bei Ihnen? 

Julia Wandt: Wir nennen zum aktuellen Zeitpunkt bewusst noch keine konkreten Zahlen und Trends. Zum einen gibt es die Anlaufstelle erst seit gut acht Monaten; wir möchten die Entwicklung noch beobachten. Zum anderen wollen wir Betroffenen, die uns kontaktieren, einen Schutzraum bieten. Was ich aber sagen kann, ist, dass wir bis zu zwei bis drei Anrufe pro Tag erhalten. Das sind mehr als ich persönlich erwartet hatte. Uns kontaktieren Forschende aus allen Bereichen sowie Beschäftigte aus Kommunikationsabteilungen. 

Forschende in frühen Karrierephasen wollen dabei auch sicherstellen, dass falsche Behauptungen ihre Karriere nicht negativ beeinflussen. Geschlechtsspezifische Unterschiede sehen wir bislang keine. Interessant ist, dass uns Forschende zu Themen mit hohen gesellschaftlichen Implikationen wie dem Klimawandel oder Gender und Diversity ebenso häufig kontaktieren wie Forschende aus anderen Fachgebieten.

"Forschende in frühen Karrierephasen wollen dabei auch sicherstellen, dass falsche Behauptungen ihre Karriere nicht negativ beeinflussen."
Julia Wandt, Mitinitiatorin des "Scicomm-Supports"

F&L: Inwieweit können Sie helfen und wo müssen Sie an andere Stellen verweisen? 

Julia Wandt: Der Scicomm-Support berät bei allen Angriffen und unsachlichen Konflikten im Zusammenhang mit Wissenschaftskommunikation, das heißt, der Bezug zur Kommunikation muss gegeben sein. Hier gab es bis zu seiner Gründung Bedarf im deutschen Wissenschaftssystem. Für viele andere Themen, wie zum Beispiel wissenschaftliche Redlichkeit oder Machtmissbrauch, gibt es bereits seit längerem ausgewiesene Anlaufstellen, an die wir verweisen. 

Unsere juristische Beratung erfolgt in Zusammenarbeit mit einer renommierten Kanzlei für Presse- und Äußerungsrecht, Informationsfreiheitsrecht, Rundfunkrecht sowie angrenzende Bereiche. Für psychologische Unterstützung vermitteln wir an die psychologischen Dienste der Hochschulen. 

Allerdings berücksichtigen wir die psychologischen Aspekte in jedem Beratungsgespräch, indem wir gut zuhören, die Hintergründe erklären, auf die persönliche Situation eingehen und zeigen, dass Angriffe oft nicht persönlich gemeint sind. Häufig ist das Thema der Anlass für den Angriff und nicht die Forscherin oder der Forscher. Allein das Bewusstsein hierfür kann bereits entlasten. Wenn es um körperliche Angriffe geht, beziehungsweise um akute Bedrohungssituationen, ist es wichtig, zuerst die Polizei einzuschalten.

F&L: Bei einem sogenannten Shitstorm in den sozialen Medien geht meist alles ganz schnell. Der Post ist online, die erste Kritik kommt und verbreitet sich dann rasant auf unterschiedlichen Kanälen. Können Sie so schnell reagieren? 

Julia Wandt: Ja, definitiv. Gerade das zeichnet uns aus. Wir sind fast rund um die Uhr erreichbar, täglich von 7 bis 22 Uhr, auch am Wochenende. Wir ermutigen Personen, sich möglichst frühzeitig zu melden, wenn sie ein ungutes Gefühl haben. Angriffe erfolgen nicht nur über soziale Medien, sondern auch per Brief, Telefon oder persönlich bei öffentlichen Veranstaltungen – ich war überrascht, dass analoge und digitale Angriffe bei uns in der Beratung bislang gleichermaßen oft vorkommen. 

Wenn die Angriffe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler persönlich über die Maßen stark belasten, empfehlen wir, sich an eine Vertrauensperson zu wenden, die zeitweise bei der Kommunikation in den sozialen Medien oder bei der Durchsicht von E-Mails unterstützen kann. Es ist zudem ratsam, sich in gewissen Abständen selbst zu googlen, um zu überprüfen, welche privaten Fotos und weiteren privaten Informationen über sich selbst veröffentlicht sind, um diese bei Bedarf löschen zu lassen. Wenn eine Bedrohungssituation oder bestimmte Rahmenbedingungen vorliegen, hat man zudem ein Anrecht darauf, die private Wohnadresse im Melderegister für Auskünfte sperren zu lassen (außer für Behördenabfragen).

"Angriffe erfolgen nicht nur über soziale Medien, sondern auch per Brief, Telefon oder persönlich bei öffentlichen Veranstaltungen"
Julia Wandt, Mitinitiatorin des "Scicomm-Supports"

Themen-Schwerpunkt "Wissenschaftskommunikation" 

Von Forschenden wird heutzutage erwartet, ihre Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit zu teilen. Wie sieht gute Wissenschaftskommunikation aus? Und wer hilft den Forschenden dabei? Antworten auf diese Fragen erhalten Sie in unserem Themen-Schwerpunkt "Wissenschaftskommunikation"

F&L: Bei Diskussionen in den sozialen Medien werden wissenschaftliche Erkenntnisse und Meinungen oft miteinander vermischt. Was bedeutet das für die Wissenschaftskommunikation? 

Julia Wandt: Die Kommunikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen darf nicht mit Meinungsäußerungen verwechselt werden. Wissenschaft ist keine Meinung. Hierzu hat etwa die Humboldt-Universität zu Berlin erst kürzlich einen "professionsethischen Leitfaden" verabschiedet. Personen und bestimmte politische oder gesellschaftliche Gruppierungen, die die Kommunikation über Wissenschaft im Sinn ihrer politischen oder gesellschaftlichen Interessen beeinflussen möchten, sollten verstehen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auf Evidenz und Fakten beruhen und nichts mit persönlichen Meinungen zu tun haben. 

F&L: Das Angebot von hochschuleigener Wissenschaftskommunikation wird immer größer. Worauf sollten sich die Hochschulen konzentrieren? 

Julia Wandt: Der Fokus von Wissenschaftskommunikation sollte auf der Qualität liegen. Vor diesem Hintergrund bedeutet Professionalisierung in der Wissenschaftskommunikation auch zu überlegen, welche bestehenden Formate man reduzieren und andere dafür optimieren kann. Das geschieht auch bereits. Wissenschaftliche Einrichtungen betreiben seltener reine "Erfolgskommunikation" als früher und legen mehr Wert auf die Einordnung wissenschaftlicher Erkenntnisse, Transparenz und die Einordnung möglicher Befangenheiten. 

Beschrieben am Beispiel der medizinischen Forschung können dies Fragen sein wie: Wer hat die Forschung finanziert? Warum kann die Forschung nicht direkt in die Anwendung kommen und wovon hängt das ab? Was wissen wir noch nicht und welche Konsequenzen hat das? Die Verantwortung der Wissenschaftskommunikation für das Vertrauen der Allgemeinheit in die Wissenschaft ist enorm. Wenn einzelne Einrichtungen dieser Verantwortung nicht gerecht werden, schadet das nicht nur ihrer eigenen Reputation, sondern dem Vertrauen in die Wissenschaft insgesamt. Das könnte dazu führen, dass bei bestimmten Personen und gesellschaftlichen Gruppen das Vertrauen in die Wissenschaft sinkt, was äußerst gefährlich wäre. 

Weitere Informationen 

Scicomm-Support, initiiert von Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog: Leitfäden, Weiterbildungen und Schulungen sowie persönliche telefonische Beratung (täglich von 7 bis 22 Uhr) zu Angriffen und unsachlicher Kritik auf die Wissenschaft.

Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog: Leitlinien für gute Wissenschaftskommunikation. 

Humboldt-Universität zu Berlin: Handlungsempfehlungen im Umgang mit konfliktträchtigen Themen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Öffentlichkeit.
 

F&L: Wie gelingt die Balance, Komplexität zu reduzieren, ohne zu einfache Antworten für komplexe Sachverhalte zu liefern? 

Julia Wandt: Das gelingt über professionelle Wissenschaftskommunikation. Es braucht Personen mit einer entsprechenden Ausbildung, die diese Übersetzung schaffen, damit wissenschaftliche Zusammenhänge auch für Laien verständlich sind, ohne dabei Fakten falsch darzustellen. Wissenschaftliche Erkenntnisse müssen verstanden werden, damit beispielsweise politische Entscheidungsträger auf dieser Basis gute Entscheidungen treffen können. 

"Es braucht Personen mit einer entsprechenden Ausbildung, die diese Übersetzung schaffen, damit wissenschaftliche Zusammenhänge auch für Laien verständlich sind, ohne dabei Fakten falsch darzustellen."
Julia Wandt, Mitinitiatorin des "Scicomm-Supports"

F&L: Wie bewerten Sie die Gefahr, dass Forschungsbereiche, die für Außenstehende besonders schwer greifbar sind, weniger Aufmerksamkeit bekommen als andere? 

Julia Wandt: Ich habe nicht den Eindruck, dass bestimmte wissenschaftliche Themen nicht kommuniziert werden, weil sie schwieriger zu vermitteln sind und dadurch ein Zusammenhang zum "Wenigerbeachten" entsteht. Die Professionalisierung der Wissenschaftskommunikation hat dazu beigetragen, dass Kommunikationsabteilungen sehr gut über die Themen in ihrer Institution informiert sind und entscheiden können, was wie kommuniziert werden kann. 

Dabei geht es viel stärker als noch vor ein paar Jahren auch darum, gerade die "weniger offensichtlichen Themen" aufzubereiten und zu überlegen, wie insbesondere komplexe oder abstrakte Themen und damit die Vielfalt von Forschung einer interessierten Öffentlichkeit dargelegt werden können. 

F&L: Die Ampelkoalition will die Wissenschaftskommunikation "systematisch und umfassend ausbauen". Der Antrag befand sich gerade in der ersten Lesung, die Diskussion im entsprechenden Ausschuss und im Plenum steht aus. Welche Erwartungen an das Vorhaben haben Sie und worauf kommt es an, damit es einen deutlichen Effekt hat? 

Julia Wandt: Die Initiative der Ampelkoalition, diesen Antrag zu schreiben und einzureichen, ist ein Zeichen für die auch auf politischer Ebene gestiegene Bedeutung von Wissenschaftskommunikation. Entscheidend ist jetzt, die im Antrag formulierten Vorhaben zu konkreten Handlungszielen weiterzuentwickeln und die dafür im Antrag geforderte Bereitstellung der entsprechenden Ressourcen zu konkretisieren. 

Ressourcen für gute Wissenschaftskommunikation sind nicht nur finanzielle Mittel – aber ohne diese gibt es keine professionelle Wissenschaftskommunikation. Gleichzeitig müssen wir alle – und das ist eine immense nichtmonetäre Ressource – geschlossen und stark auftreten, gerade wenn es um die Stärkung und Anerkennung von Wissenschaftskommunikation und Wissenschaft für die Gesellschaft geht. Das ist ganz wichtig für die Demokratie. Wir müssen dranbleiben.