Ein Eisbär taucht unter Wasser und hebt die Vorderpfote fast wie zum Gruß.
Peter Neumann/unsplash

Klimawandel
Studie prognostiziert eisfreien Arktischen Ozean

Aufgrund der Verbrennung fossiler Stoffe könnte die Arktis bereits 2035 monatelang aus Wasser bestehen. Das sagt eine US-Forschungsgruppe voraus.

06.03.2024

Laut einer neuen Studie der Colorado University (CU) in Boulder könnte es in der Arktis bereits in den nächsten Jahren Sommertage mit praktisch keinem Meereis geben. "Dies würde die Arktis in eine völlig andere Umgebung verwandeln, von einer weißen Sommerarktis in eine blaue Arktis. Auch wenn eisfreie Bedingungen unvermeidbar sind, müssen wir unsere Emissionen dennoch so gering wie möglich halten, um längere eisfreie Bedingungen zu vermeiden", wird Studienleiterin und Professorin für Atmosphären- und Ozeanwissenschaften, Alexandra Jahn, auf der Website der CU zitiert. 

"Dies würde die Arktis in eine völlig andere Umgebung verwandeln, von einer weißen Sommerarktis in eine blaue Arktis."
Alexandra Jahn, Professorin für Atmosphären- und Ozeanwissenschaften, CU Boulder

Seit Beginn der Satellitenbeobachtungen im Jahr 1978 hat das arktische Meereis erheblich abgenommen. Die Ergebnisse, die am 5. März in der Fachzeitschrift Nature Reviews Earth & Environment veröffentlicht wurden, deuten darauf hin, dass der erste eisfreie Tag in der Arktis über zehn Jahre früher eintreten könnte als in früheren Prognosen vorhergesagt. 

Die Forschenden zeigen auf, dass der beobachtete Rückgang des Meereises in der Arktis ein deutlicher Hinweis auf den anthropogenen Klimawandel ist und dass sich dieser Rückgang mit der fortgesetzten globalen Erwärmung voraussichtlich fortsetzen wird. Die Autoren und Autorinnen prognostizieren, dass die Arktis bis zur Mitte des Jahrhunderts eisfrei sein könnte – und das unabhängig davon, wie sich die globalen Treibhausemissionen tatsächlich entwickeln. 

Zeitpunkt und regionale Variabilität einer eisfreien Arktis 

Die Studie identifiziert den Zeitpunkt und die regionale Variabilität einer möglichen eisfreien Arktis als zentrale Fragen. Nach den Prognosen könnten die frühesten eisfreien Bedingungen im monatlichen Septembermittel bereits in den Jahren 2020–2030 auftreten und bis 2050 eintreten. 

Es wird demnach erwartet, dass bis zur Mitte des Jahrhunderts durchweg eisfreie Septemberbedingungen auftreten, wobei die Häufigkeit und Dauer des Meereisverlusts explizit von den Emissionsverläufen abhängen. Besonders bemerkenswert ist, dass eisfreie Bedingungen im Mai–Januar und August–Oktober bis zum Jahr 2100 möglich sind, abhängig von den Emissions-Szenarien. 

Während eine eisfreie Arktis unvermeidlich sei – wird Jahn von der CU Boulder zitiert – würden künftige Emissionswerte immer noch darüber entscheiden, wie oft diese Bedingungen auftreten. Bei einem mittleren Treibhausgas-Emissions-Szenario, einem Weg, den die heutige Gesellschaft einschlage, könnte die Arktis nur im Spätsommer und Frühherbst von August bis Oktober eisfrei werden. Aber im Szenario mit den höchsten Emissionen könnte die Arktis bis zum Ende dieses Jahrhunderts bis zu neun Monate lang eisfrei sein. 

Ursachen und Folgen des Meereisverlusts in der Arktis 

Die drei Autorinnen Professorin Alexandra Jahn, Dr. Marika M. Holland und die außerordentliche Professorin Jennifer E. Kay erläutern die Ursachen für den beobachteten Meereisverlust in der Arktis und betonen die Rolle anthropogener Emissionen sowie die Verstärkung durch interne Variabilität. 

Sie zeigen auf, dass der atmosphärische und ozeanische Wärmetransport sowie positive Rückkopplungen den Meereisverlust verstärken, während negative Rückkopplungen ihn etwas abmildern können. Dieser Verlust des Meereises hat weitreichende Auswirkungen auf das lokale und globale Klima sowie auf Ökosysteme. Darunter fallen die Beschleunigung der anthropogenen Erwärmung durch die Verringerung des Rückstrahlvermögens (Albedo) der Erde, eine erhöhte Küstenerosion und Veränderungen in marinen Ökosystemen. 

Auf der Website der CU Boulder heißt es zudem, dass Rückgang des Meereises erhebliche Auswirkungen auf arktische Tiere habe, die zum Überleben auf Meereis angewiesen seien, darunter Robben und Eisbären. Darüber hinaus befürchteten Forschende, dass mit der Erwärmung des Ozeans nicht heimische Fische in den Arktischen Ozean gelangen könnten. Die Auswirkungen dieser invasiven Arten auf lokale Ökosysteme blieben unklar. Zudem stelle der Verlust des Meereises auch ein Risiko für die in der Küstenregion lebenden Menschen dar: Meereis spiele eine wichtige Rolle dabei, die Auswirkungen der Meereswellen auf das Küstenland abzufedern, sagte Jahn. Wenn sich das Meereis zurückzieht, würden die Meereswellen größer werden und zu Küstenerosion führen. 

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Die Veränderung des Klimas ist eine der drängendsten gesellschaftlichen Herausforderungen dieser Zeit. Die Wissenschaft veröffentlicht regelmäßig neue Studien über die Effekte auf Mensch und Erde. Auch Hochschulen versuchen, klimabewusst zu arbeiten. Aktuelle Artikel zum Thema finden Sie im Schwerpunkt "Klimawandel".

Unterschiedliche Definitionen und Vorhersagemethoden 

Die Definition einer "eisfreien Arktis" hat im Laufe der Zeit Veränderungen erfahren, wobei verschiedene Schwellenwerte und Metriken verwendet wurden, um den Grad des Meereisrückgangs zu bestimmen. Ursprünglich bezog sich der Begriff auf das nahezu vollständige Verschwinden des Meereises, jedoch wurde später ein Schwellenwert zur Norm, was zu unterschiedlichen Ergebnissen je nach angewandter Metrik führte. 

Vorhersagen einer eisfreien Arktis basieren auf verschiedenen methodischen Ansätzen, darunter Klimamodelle und statistische Modelle. Während Klimamodelle dynamische und thermodynamische Prozesse simulieren, die zur Entwicklung des Meereises führen, beruhen statistische Modelle auf beobachteten Beziehungen zwischen Temperatur, CO2 und der Meereisbedeckung. Jedoch sind beide Methoden mit Unsicherheiten behaftet, die von internen Variabilitäten bis hin zu Modellunsicherheiten reichen. 

Um die Unsicherheiten in den Vorhersagen zu verringern, wurden für die aktuelle US-Studie verschiedene Ansätze zur Verfeinerung der Modellverbreitung entwickelt. Dazu gehören die Modellauswahl, Modellgewichtung und Modell-Neukalibrierung, die alle darauf abzielen, die bestmöglichen Modelle auszuwählen oder anzupassen, um genauere Vorhersagen zu ermöglichen. Trotz dieser Bemühungen bleibt die Unsicherheit in den Vorhersagen aufgrund der Vielzahl von Faktoren, die die Arktis beeinflussen, bestehen. 

Panarktische Vorhersagen für September 

Die meisten Prognosen konzentrieren sich auf den September als den Monat mit der niedrigsten saisonalen Meereisausdehnung (SIA), in dem die ersten eisfreien Bedingungen erwartet werden. Früheste Vorhersagen deuten auf die Möglichkeit eisfreier Bedingungen bereits in den 2020er bis 2030er Jahren hin, wobei eine größere Unsicherheit besteht, die jedoch durch Modellauswahl und Einschränkungen reduziert werden kann. 

Die Erwärmung beeinflusst diesen Zeitpunkt maßgeblich, wobei eine Erwärmung von über 1,3 °C die frühesten eisfreien Bedingungen wahrscheinlicher macht. Die Emissions­Szenarien haben keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der frühesten eisfreien Arktis, aber die Begrenzung der Erwärmung auf unter 1,5 °C könnte die Wahrscheinlichkeit verringern, dass die Arktis eisfrei wird. Die Häufigkeit des Wiederauftretens eisfreier Bedingungen nach dem ersten eisfreien September nimmt mit höheren Temperaturen zu. Eisfreie Bedingungen könnten nicht nur im September auftreten, sondern auch in anderen Monaten, insbesondere im August und Oktober, je nach Erwärmungsgrad und Treibhausemissions­Szenario. 

"Das Meereis wird innerhalb eines Jahrzehnts zurückkommen, sobald wir herausfinden, wie wir in Zukunft CO2 aus der Atmosphäre zurückholen können, um so die Erwärmung umzukehren"
Alexandra Jahn, CU Boulder

"Im Gegensatz zur Eisdecke in Grönland, deren Bildung Tausende von Jahren gedauert hat, wird das Meereis innerhalb eines Jahrzehnts zurückkommen, sobald wir herausfinden, wie wir in Zukunft CO2 aus der Atmosphäre zurückholen können, um so die Erwärmung umzukehren", macht Jahn auf der CU-Website etwas Mut. Die Studie hebt die Dringlichkeit hervor, den Zeitpunkt und die Auswirkungen eines eisfreien Arktischen Ozeans zu verstehen. Sie betont die Notwendigkeit weiterer Forschung, um die Prognosen zu verfeinern. Die Arbeit wurde von der US National Science Foundation, der Alexander von Humboldt-Stiftung und der NASA finanziert.

cva