Kollegen im gespräch auf dem Gang
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Gleichstellung an Hochschulen
"Es mangelt an Verbindlichkeit"

Chancengleichheit bleibt eine Herausforderung für deutsche Hochschulen. Anke Lipinsky erklärt, wie andere europäische Länder vorgehen.

Von Katrin Schmermund 01.03.2021

Forschung & Lehre: Frau Lipinsky, Sie haben die Gleichstellung an Hochschulen europaweit im Blick. Welches Land fährt bei der Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen den besten Kurs?

Anke Lipinsky: Ich halte das Vorgehen in Irland und Österreich für sehr zielführend. Beide Länder haben politische Gleichstellungsziele eng mit dem wissenschaftlichen Bewertungssystem verzahnt und dadurch starke Anreize für Chancengleichheit auf dem Campus geschaffen. In Irland erhalten Hochschulen von den drei großen nationalen Forschungsförderern, Irish Research Council, Science Foundation Ireland und Health Research Board, nur Geld, wenn sie bestimmte Gleichstellungsstandards erfüllen. Dabei orientiert sich Irland an den Vorgaben der "Athena Swan Charter", ein inzwischen weltweit genutzter Leitfaden für mehr Gleichstellung an Hochschulen. Die Fortschritte anhand der festgelegten Standards überprüft das Wissenschaftsministerium in Irland regelmäßig. In strategische Entscheidungen werden die Hochschulen einbezogen und tragen diese daher in der Regel gut mit. Die vergleichsweise geringe Zahl an Forschungseinrichtungen in Irland, insgesamt rund 20, macht eine solch enge Zusammenarbeit möglich.

F&L: Was hat den Anstoß für mehr Gleichstellung an den irischen Hochschulen gegeben?

Anke Lipinsky: Die irische Politikerin Máire Geoghegan-Quinn hat ihre Vision von mehr Chancengleichheit in der Wissenschaft vor sieben Jahren aus Brüssel nach Irland gebracht. Sie war Forschungskommissarin der Europäischen Kommission und hat sich auf EU-Ebene dafür starkgemacht, dass Wissenschaftsorganisationen Verantwortung für mehr Gleichstellung und Diversität übernehmen. Das irische Wissenschaftsministerium hat auf den Anstoß von Geoghegan-Quinn hin einen Sachverständigenbericht zur Situation der Gleichstellung in der Wissenschaft in Auftrag gegeben. Auf Grundlage der Ergebnisse hat sich Irland in der Gleichstellungspolitik neu aufgestellt.

"Gender Bias" in der Wissenschaft

Die irische Politikerin Máire Geoghegan-Quinn kritisierte etwa den "Gender Bias" in der Wissenschaft. Dazu gehört, wenn in Studien zum Beispiel nur nach dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht gefragt wird, oder wenn Vorgesetzte in einem Empfehlungsschreiben für ein Stipendium geschlechterstereotypisierende Merkmale hervorheben; Frauen beispielsweise nach Kriterien wie Kommunikationsstärke oder Teamfähigkeit, Männer nach ihrem Führungspotenzial bewertet werden.

Bei der Anerkennung von Leistung zögen junge Wissenschaftlerinnen durch ihnen zugeschriebene Geschlechterrollen oft den Kürzeren, sagt Dr. Anke Lipinsky, weil ihre Leistungen weniger gesehen würden. Durch solche Verzerrungen hätten sie in Summe schlechtere Verwirklichungschancen als Männer.

F&L: Womit überzeugt Sie Österreich?

Anke Lipinsky: Österreich setzt stark auf "Gender Budgeting". Gleichstellung ist seit einer Reform der Hochschulgesetze um die 2000er Wende Bestandteil der Haushaltsplanung und Hochschulen müssen in Berichten nachweisen, dass sie diese erfüllen. Für sehr zielführend halte ich ergänzend den Ansatz der TU Wien, dass alle Studierenden unabhängig davon, was sie studieren, ein Seminar zu Gleichstellung und Geschlechterwissen belegen müssen. Das läuft unter dem Titel "Technik für Menschen". Die Studierenden lernen etwas über Geschlechterwissen und werden für bestehende Chancenungleichheiten sensibilisiert. In ihrem späteren Beruf können sie sich bewusst entscheiden, dem aktiv entgegenzuwirken. Lehrende erhalten aus dem Büro für Genderkompetenz Informationen zur Gleichstellung und können das Wissen in ihre Veranstaltungen einbringen.

Dr. Anke Lipinsky
Dr. Anke Lipinsky forscht am Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) in Köln. Gleichstellung hält sie für erreicht, wenn Menschen jedes Geschlechts gleiche Partizipations- und Verwirklichungschancen haben, ohne stereotypisiert, belästigt oder marginalisiert zu werden. privat

F&L: Wie beurteilen Sie die Gleichstellungspolitik in Deutschland, verglichen mit Irland und Österreich?

Anke Lipinsky: In Deutschland passiert viel, aber es mangelt an Verbindlichkeit und einer einheitlichen Vorstellung, was erreicht werden soll. Deutschland hat mit dem Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) und anderen Forschungseinrichtungen eine gute Datenbasis zur Gleichstellung an Hochschulen. Initiativen wie das Professorinnenprogramm des Bundes und der Länder oder die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gehen in die richtige Richtung. Es muss noch besser gelingen, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen und Fortschritte nicht scheinbar im Sand verlaufen, wie es im Anschluss an die "Offensive für mehr Chancengleichheit" von Wissenschaftsrat (WR), Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und Allianz der Wissenschaftsorganisationen nach 2012 der Fall war. Der WR hat eine Bestandsaufnahme zur Offensive veröffentlicht. Danach wurde die Initiative kaum noch erwähnt.

F&L: Wie kann es besser laufen?

Anke Lipinsky: Die Autonomie der Hochschulen sichert, dass die Politik den Hochschulen nicht einfach ein Gesamtkonzept für mehr Gleichstellung "überstülpen" kann. Ist der Hochschul- und Forschungssektor dann so groß wie in Deutschland, sind Gleichstellungsinitiativen schwerer zu koordinieren und zusammenzuführen als etwa in Irland oder Österreich. Politik und Förderer sollten noch entschiedener Verbindlichkeit von Hochschulen verlangen, weitere Anreize für mehr Gleichstellung schaffen und "Gender Budgeting" stärken. Hochschulleitungen und Beschäftigte sollten in Geschlechterwissen geschult werden. Auf sie kommt es entscheidend an: Die Hochschulleitung kann sich in jeder Entscheidung für Chancengleichheit starkmachen und dieses Ziel in strategischen Entscheidungen berücksichtigen. Dazu gehört für mich auch, sich für eine gerechte Bezahlung einzusetzen und bei der Auswahl von Professorinnen und Professoren Genderkompetenz zu berücksichtigen – ein Weg, den Österreich gerade einschlägt. Das Ziel muss sein, dass Gleichstellung auf dem Campus gelebt wird. Anreize zur Stärkung von Gleichstellung, "Gender Budgeting" oder Förderprogramme unterstützen den Weg dorthin.