Eine Person öffnet X über ihr Smartphone
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Social Media
Große Stiftungen verlassen "X"

Die Wissenschaft diskutiert über den richtigen Umgang mit der Social-Media-Plattform "X". Bleiben oder gehen – Argumente gibt es für beides.

Von Katharina Finke 06.02.2024

Seitdem Elon Musik im Oktober 2022 Twitter übernommen hat, kämpft das soziale Netzwerk nicht nur mit deutlichen Umsatzeinbußen, sondern auch mit einer massiven Abwanderung von Nutzern. Nun haben sich auch der Bundesverband Deutscher Stiftungen und einige der größten Wissenschaftsstiftungen entschlossen, sich von der Plattform "X" abzumelden, wie sie in einer Presseerklärung mitteilten. Dazu gehören die "VolkswagenStiftung", "Stiftung Mercator" die "Zeit Stiftung Bucerius" und die "Robert Bosch Stiftung". Grund dafür sei, dass das Wertesystem des sozialen Netzwerks seit der Übernahme von Milliardär Musk regelrecht "kollabiert" sei. Der Bundesverband teilte am Dienstag mit, dass er die Verbreitung von Hate Speech und Falschinformation, sowie extremistischer Propaganda und Hetze gegen Minderheiten nicht mehr länger tolerieren könne.

Bestärkt wurde der Bundesverband bei seinem Beschluss durch Musks antisemitische Äußerungen, das Verfahren der EU-Kommission gegen X aufgrund von illegal verbreiteten Inhalten und die Unterdrückung von kritischen Stimmen, beispielsweise durch die zwischenzeitliche Verbannung von bestimmten Journalistinnen und Journalisten. Der Verband erhofft sich mit dieser Aktion, noch weitere Stiftungen dazu zu motivieren seinem Beispiel zu folgen. Denn "X" sei eine "Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Ordnung", so der Verband. Laut ihm sei es wichtig, Regeln und Konzepte zu entwickeln, um die Dominanz einzelner Plattformen in Zukunft zu begrenzen. Bis dahin setzen sie ihre Kommunikation auf anderen sozialen Medien fort. 

Wissenschaft kritisiert demokratiefeindlichen Diskurs auf "X" 

Auch in der Wissenschaft wird “X" zunehmend kritisiert. Die Zeit, in der Forschende das Netzwerk, damals noch Twitter, nutzten, um ihre Forschungsergebnisse untereinander, mit der Öffentlichkeit und mit der Presse zu teilen, scheint vorbei. Laut einer Umfrage des Magazins “Nature" gaben rund die Hälfte der über 9.000 Befragten an, ihre Aktivitäten auf der Plattform deutlich reduziert zu haben. Grund dafür sind die bereits erwähnten und weitere Entwicklungen, wie die Abschaffung des Verifizierungssystems zugunsten zahlender Mitglieder, die Einschränkung der Inhaltsmoderation und die Gebühren für bestimmte Inhalte, sowie die Begrenzung der sichtbaren Tweets. Verlassen haben die Plattform aber nur die wenigsten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, knapp sieben Prozent der Teilnehmenden der Nature-Umfrage. 

"Hier, wo es weh tut, müssen die Öffentlich-Rechtlichen ihre Demokratieaffinität ganz offensiv zeigen." Peter Dabrock, Professor für Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg

"X ist ein runtergerockter Laden, um nicht zu sagen: eine Kloake", sagt Peter Dabrock, Professor für Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg gegenüber "Forschung & Lehre". Er nutze die Plattform seit mehr als fünf Jahre und stelle fest, dass vor allem das Maß an demokratiefeindlichen und offen autoritarismusaffinen Tweets und Accounts exponentiell zugenommen hat. Trotzdem hat Dabrock die Plattform noch nicht verlassen, weil "ich diese miese, aber so Impact-starke Plattform nicht Demokratieverächtern, allen voran dem Chef des Ganzen, kampflos überlassen will". Für ihn gehört das zum Kampf für die freiheitlich demokratische Grundordnung, weswegen er es auch nicht verstehen kann, dass der Deutschlandfunk die Plattform verlassen hat. "Hier, wo es weh tut, müssen die Öffentlich-Rechtlichen ihre Demokratieaffinität ganz offensiv zeigen", fordert Dabrock, der es auch bedauert, wenn sich Wissenschaftsorganisationen von der Plattform zurückziehen. 

Ähnlich argumentiert auch Informatikerin Professorin Katharina Zweig: “Twitter ist tot, X höchstens halblebendig, es ist gefühlt kaum noch jemand aktiv. Ich bin im Wesentlichen nur noch aus sentimentalen Gründen auf der Plattform und überlege, wo ich weitermache. Die Alternativen sind leider nur wenig attraktiver.”

X: Plattform für Wissenschaftskommuniktion und Vernetzung

Ein sehr wichtiger Grund – wenn nicht sogar der wichtigste – für Wissenschaftsvertretungen bei X zu bleiben, ist die Tatsache, dass es keine wirklichen Alternativen gibt sich so auszutauschen, vor allem nicht mit der Reichweite. Deswegen beobachten sie die Entwicklungen sehr genau, aber bislang überwiegt für sie noch der Mehrwert von einer Präsenz auf X. 

"Wir wollen mit unserer Wissenschaftskommunikation etwas bewegen, über unsere Forschung informieren und Transparenz schaffen. Dafür brauchen wir Reichweite und Publikum", so ein Sprecher der Leibniz-Gemeinschaft. "In Fällen, wo einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aufgrund von Anfeindungen und Diffamierungen keine seriösen Debatten mehr auf X führen können, ist ein Ausstieg durchaus nachvollziehbar", sie selbst seien davon bislang aber noch nicht betroffen gewesen, selbst bei kontrovers diskutierten Themen. 

"Wir wollen mit unserer Wissenschaftskommunikation etwas bewegen, über unsere Forschung informieren und Transparenz schaffen. Dafür brauchen wir Reichweite und Publikum." Leibniz-Gemeinschaft

Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) verfolgt die Debatte sehr genau. "Aktuelle überwiegen bei X insbesondere mit Blick auf die Reichweite und die starke Nutzung auch durch Forschende noch die Vorteile, aber dies kann sich ändern", so ein Sprecher der HRK gegenüber "Forschung & Lehre". So sei es auch der Humboldt-Universität in Berlin. “Viele der für uns relevanten Zum Multiplikatoren und Communities aus Wissenschaft, Politik und Medien sindnach wie vor dort präsent und interagieren mit uns“, so die HU-Präsidentin Julia von Blumenthal zu Forschung & Lehre. Außerdem “verzeichnen wir eine weiterhin wachsende Zahl von Followern, die über andere Wege nicht in gleicher Weise erreichbar sind.“ Die HU werde die Entwicklung weiterhin verfolgen und “wir bereiten uns auch auf den Fall vor, dass wir künftig zu einer anderen Schlussfolgerung kommen", so Blumenthal.

Der DAAD spricht noch ein grundsätzliches Problem an: "Ein möglicher Ausstieg bei X ändert zugleich nichts an der Herausforderung, dass die digitale Kommunikation der deutschen Wissenschaft weitgehend von wenigen Konzernen abhängig ist." Auch für ihn sei die Plattform weiterhin relevant, um als wissenschaftliche Austauschorganisation mit internationalem Fokus darüber weiterhin viele Geförderte sowie Partnerinnen und Partner weltweit erreichen könne.

Gefahr der Fragmentierung bei zu vielen Social-Media-Plattformen

Fast die Hälfte der Forschenden, die X weniger oder gar nicht mehr zu nutzen, sind zu einem anderen Social-Media-Dienst gewechselt, so die Nature-Umfrage. Fast die Hälfte hat sich für Mastodon entschieden, ein gutes Drittel für LinkedIn und ein knappes Drittel für Instagram, Threads landet in der Aufzählung auf Platz vier. 

Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) beobachtet die Entwicklungen sehr genau. Und obwohl sie ihm Sorge bereiten, wird es seinen Account vorerst weiter nutzen. "Weil es uns wichtig ist, hier präsent zu sein und mit den Bürgerinnen und Bürgern im Austausch zu sein", so eine BMBF-Sprecherin. Die Sprecherin der Jungen Akademie äußert sich zu “Forschung & Lehre" gegenüber wie folgt: "Wir können die Gründe für diesen Rückzug sehr gut nachvollziehen, diskutieren intensiv unsere Nutzungsstrategien und bereiten uns auf einen Wechsel vor."

Das Ausweichen auf verschiedene soziale Netzwerke birgt jedoch die Gefahr der Fragmentierung, was zur Folge haben könnte, dass deutlich weniger Nutzerinnen und Nutzer mit den eignen Inhalten erreicht werden. Zudem muss die Anhängerschaft in vielen Fällen neu aufgebaut werden, was bei vielen Forschern Jahre in Anspruch nehmen kann. All das scheint die Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler abzuschrecken, X endgültig den Rücken zu kehren: Sie bleiben sicherheitshalber dabei, wenn auch weniger aktiv.

Dieser Artikel wurde am 6. Februar um 12:35 Uhr aktulisiert. Zuerst veröffentlicht wurde er am 4. Februar