Zahlreiche Hände berühren sich in der Mitte des Fotos und demonstrieren Zusammenhalt.
Pixabay/uaBobDmyt

Diskriminierung
Weniger Antisemitismus an Hochschulen als bundesweit

Eine BMBF-Befragung gibt Einblick, wie verbreitet Antisemitismus an Hochschulen ist. Er ist dort weniger präsent als im Bevölkerungsdurchschnitt.

15.03.2024

An deutschen Hochschulen sind antisemitische Haltungen mit acht Prozent nicht so stark verbreitet, wie in der Bevölkerung in Deutschland (18 Prozent). Das ist das Ergebnis der Schnellbefragung "Studentisches Meinungsklima zur Gewalteskalation in Israel und Gaza und Antisemitismus an deutschen Hochschulen". 

Sie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Auftrag gegeben, nachdem antisemitische Vorfälle seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel in Deutschland – auch an Hochschulen – stark zugenommen hatten. Forschung & Lehre berichtete. 

“Mit dieser Studie wollen wir einen aktuellen Beitrag leisten, indem wir die Datenlage zu Antisemitismus an Hochschulen verbessern", sagte Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, als sie die Studie gestern zusammen mit dem Verfasser Thomas Hinz, Professor für Soziologie an der Universität Konstanz in Berlin, vorstellte. 

Antisemitismus im Netz und in den Medien stärker registriert 

Hinz und sein Team befragten für die Studie mehr als 2.300 Studierende aus dem gesamten Bundesgebiet zu ihren Einstellungen und Erfahrungen hinsichtlich Antisemitismus an deutschen Hochschulen. Zur Einordnung der Ergebnisse wurden zeitgleich genauso viele Personen aus der übrigen Bevölkerung befragt. 

Laut der Studie nehmen Studierende Antisemitismus an Hochschulen in Deutschland mit elf Prozent deutlich weniger wahr als in anderen Kontexten, wie im Internet (64 Prozent), in weiteren Medien (47 Prozent) oder im politischen Raum, wie bei Demonstrationen gegen Israel zum Beispiel (55 Prozent). 

Der an der Hochschule erlebte Antisemitismus ging zudem deutlich häufiger von Studierenden (77 Prozent) als von Lehrenden (17 Prozent) oder der Hochschulleitung (12 Prozent) aus, so die Studie. Auch der aktuelle Nahostkonflikt wird unter den Studierenden selbst (33 Prozent) häufiger thematisiert als von der Hochschulleitung (19 Prozent) oder bei Lehrveranstaltungen (13 Prozent). 

Umfrage zeigt Hochschulumfeld relativ wenig antisemitisch

Bei der Befragung wurde zwischen allgemeinem und israelbezogenen Antisemitismus unterschieden. "Israel-Kritik" ist dabei nicht gleichzusetzen mit israelbezogenem Antisemitismus: Kritik am militärischen Vorgehen Israels (71 Prozent), sowie Sorgen um die palästinensische Zivilbevölkerung (54 Prozent) werden häufig geäußert, auch wenn kein israelbezogener Antisemitismus vorliegt. 

In der Bevölkerung ist der allgemeine Antisemitismus stärker ausgeprägt als der israelbezogene. Bei den Studierenden hält sich das die Waage. Acht Prozent der Studierenden haben laut der Studie antisemitische Haltungen, sowohl allgemein als auch israelbezogen, und zusätzliche zehn Prozent eine Tendenz dazu. In der Bevölkerung deckt sich der Anteil hinsichtlich israelbezogenem Antisemitismus. Allgemeiner Antisemitismus ist mit 18 Prozent und eine tendenziell antisemitische Haltung mit 20 Prozent in der Gesamtbevölkerung deutlich stärker ausgeprägt als unter den Studierenden. 

Umfrageergebnis: je religiöser, desto antisemitischer 

Muslimische Studierende zeigen häufiger antisemitische Einstellungen als christliche oder konfessionslose Studierende, was laut der Forschenden häufig mit der Herkunft der Familie aus einer Konfliktregion zusammenhängt. Aber auch Studierende mit einer christlichen Konfession unterstützen häufiger antisemitische Haltungen, wenn die Eltern aus einem solchen Land stammen. Je höher die selbst eingeschätzte Religiosität ist, desto stärker sind antisemitische Haltungen ausgeprägt, so die Studie. 

Zudem zeigten Studierende, die sich selbst im politisch rechten Spektrum positionierten, häufiger antisemitische Einstellungen als andere. Unter Studierenden, die in Deutschland ihre Hochschulzugangsberechtigung erreicht haben, sind allgemeine antisemitische Einstellungen mit sieben Prozent deutlich seltener als unter Studierenden mit einer ausländischen Hochschulzugangsberechtigung (18 Prozent). 

Bei über 200 der Befragten besteht Radikalisierungspotential 

Insgesamt wird Diskriminierung allerdings weitaus mehr aufgrund des Geschlechts (28 Prozent) und des Migrationshintergrundes (26 Prozent) wahrgenommen. Nur halb so oft aufgrund von Religionszugehörigkeit (12 Prozent). Ist dies der Fall, dann sind dabei vor allem muslimische (31 Prozent) und jüdische Studierende (30 Prozent) betroffen. 

Von den betroffenen Studierenden nehmen bei jüdischen Studierenden mehr als die Hälfte (57 Prozent) und bei muslimischen weniger als die Hälfte (41 Prozent) die Diskriminierung aufgrund von Religionszugehörigkeit wahr. Deutlich stärker als alle Studierenden insgesamt, da sind es bei jüdischen nur acht und muslimischen 16 Prozent. Auch die radikalisierten Gruppierungen glauben, sie seien mehr als es der Fall ist. 

Bei etwa jedem Zehnten besteht nach Angaben von Studienverfasser Hinz das Potenzial für eine mögliche Radikalisierung. Sie würden "von sehr umstrittenen Parolen und symbolisch gegen Israel gerichteten Aktionen getriggert", sagte er. Sonst herrsche ein differenziertes Meinungsklima unter Studierenden: "Die große Mehrheit verurteilt den Angriff der Hamas auf Israel." 

Studie: Humanitäre Lage wird von vielen als kritisch angesehen 

Gleichzeitig sieht die Mehrheit über die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung sehr besorgt und sieht das Vorgehen des israelischen Militärs kritisch“, so Hinz. Die studentischen Haltungen unterscheiden sich kaum von denen der deutschen Bevölkerung. Studierende beurteilen die militärische Reaktion Israels mit 27 Prozent etwas seltener als gerechtfertigt als die Gesamtbevölkerung (36 Prozent). 

"Dass ein hoher Anteil der jüdischen Studierenden Diskriminierung erlebt oder beobachtet, ist erschreckend", sagte Stark-Watzinger nach Vorstellen der Studie. Die Ergebnisse seien nicht so, dass man zur Tagesordnung übergehen könnte, ganz im Gegenteil. "Ich rufe insbesondere die nicht-jüdischen Studierenden auf, Zivilcourage zu zeigen und an ihren Hochschulen Stellung zu beziehen. Denn es darf keinen Platz für Israel- und Judenhass an deutschen Hochschulen geben", so Stark-Watzinger. 

Zudem forderte sie erneut, wiederholt und auf Nachfragen, dass Hochschulleitungen konsequent von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und die einzelnen Bundesländer ihr Hochschulrecht hinsichtlich der Möglichkeit einer Exmatrikulation in besonders schweren Fällen überprüfen und gegebenfalls anpassen sollten.

kfi