Eine junge Frau sitzt im Dunkeln vor ihrem Computer und tippt auf ihrer Tastatur.
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Zukunftsfähigkeit
Studierende und Lehrende zur Hochschullehre befragt

Was eine zukunftsorientierte Hochschullehre leisten muss. Forschung & Lehre fragt Beteiligte.

Von Friederike Invernizzi 13.02.2024
Ein Schwarz-Weiß-Porträt einer jungen Frau mit dunklen, schulterlangen Haaren.
Ava Zinner studiert Sozialwissenschaften an der Universität Potsdam. Privat

Trübende Dynamiken 

Ava Zinner: Was hält das Studium für mich bereit? Diese Frage stellt sich einigen Studierenden nach ihrer Immatrikulation. Für viele ist die Studienzeit verbunden mit der Hoffnung auf einen regen intellektuellen Austausch, dem Knüpfen spannender Kontakte und dem wissenschaftlichen Lernen. Mit fortschreitendem Semester an der Universität Potsdam stellten sich jedoch einige Dynamiken ein, die für mich die Freude an meinem Studium trübten. Zum einen scheint es, als würden vielerlei Prozesse und Routinen, die während der Corona-Pandemie institutionalisiert wurden, immer noch Anwendung finden. 

Insbesondere die Fokussierung auf die Online-Lehre ist deutlich spürbar. Einige Module des Basisstudiums finden gänzlich auf der Lernplattform "moodle" statt. Es werden fertig gedrehte Videos hochgeladen, die teils ein bis zwei Jahre alt sind. Diese Videos ersetzen den Besuch einer Vorlesung. Es wird nicht begründet, warum ein solch großer Teil der Lehre online stattfindet. Stattdessen sehe ich mich als Studentin in der Situation, einen Großteil meines Semesters zuhause am Schreibtisch mit dem stumpfen Ansehen von Videos zu verbringen. Hierbei gehen meines Erachtens vielerlei Dinge verloren. Vorlesungen sind eine wichtige Möglichkeit, um Kommilitoninnen und Kommilitonen kennenzulernen, Lerngruppen zu gründen und sich auszutauschen. Diese Dinge gehen völlig verloren. Insgesamt scheint es, als würde kein reelles Interesse bestehen, den Studierenden ein interessantes und gehaltvolles Studium zu gewährleisten. Viel eher wird die Wirkung generiert, dass die Lehre einer Last gleichkommt, die mit möglichst wenig Aufwand zu erledigen ist.

Jost Bennmann studiert Humanmedizin an der Medizinischen Hochschule Hannover.

Innovative Lehrkonzepte, aber soziale Ungleichheit 

Jost Bennmann: Viele Universitäten in Deutschland trauen sich, neue und innovative Lehrkonzepte auszuprobieren, wobei viel auf die Meinung und Rückmeldung der Studierenden gegeben wird. Nicht zuletzt auch über die Hochschulpolitik ist es Studierenden gut möglich, gemeinsam an der Gestaltung von Forschung, Lehre und Hochschulalltag teilzunehmen. Viele Hochschulen sind zudem sehr gut vernetzt, sowohl in der EU als auch im nicht-europäischen Ausland. Projekte wie Erasmus+ oder verschiedene Forschungskooperationen ermöglichen es Studierenden, über den Tellerrand zu schauen und internationale Eindrücke zu sammeln. 

 

Auch Programme zur Beratung und seelische Unterstützung halten immer mehr Einzug in deutsche Hochschulen, was Studentinnen und Studenten zur besseren und gesünderen Bewältigung des Studiums ermächtigt. Viele Fortschritte werden ebenfalls bei der Förderung von Diversität und Gleichstellung gemacht, jedoch wird in der aktuellen Hochschuldebatte das Thema der sozialen Ungleichheit stark vernachlässigt. Nach wie vor ist der Anteil von Erstakademikern an deutschen Hochschulen sehr gering. Verstärkt wird dieses Problem dadurch, dass Unterstützungsmöglichkeiten und Stipendien meist Studienleistungen und außeruniversitäres Engagement fördern, was beides oftmals nicht möglich ist, wenn Studierende aus sozioökonomisch schwächeren Familien stammen. 

Ebenfalls verbesserungswürdig sind bürokratische Prozesse, die häufig langwierig und undurchsichtig sind. Dazu kommt, dass Missstände oder Fehler sehr selten offen zugegeben werden, obwohl Selbstkontrolle und -kritik gerade in der Wissenschaft essenziell sind, um Fortschritt gewährleisten zu können.

 

Porträt einer jungen, rothaarigen Frau mit beigem Rollkragenpullover und Kurzhaarfrisur.
Elin Baumeister ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Medizinstrafrecht der Universität Bonn. Privat

Umfangreicher Stoff 

Elin Baumeister: Bildung an Hochschulen wird derzeit vor Allem durch die Lehre und Lehrinhalte vermittelt. Dabei ist der Stoff, den Studierende heutzutage für ihren Abschluss erarbeitet haben müssen, umfangreicher als der von vor einigen Jahrzehnten. Wir können diese Stoffmenge nicht mit der Entschuldigung weiterwachsen lassen, dass das Studium “halt immer schon schwer" gewesen sei. Vielmehr muss bei einem gleichbleibend hohen Abschlussniveau die Stoffmenge überblickbar und bearbeitbar bleiben. Andernfalls laufen wir weiterhin Gefahr, Personen auszubilden, die durch exzessives Auswendiglernen zwar "gute" Noten erzielen, inhaltlich aber kaum Zeit haben, die Lehrinhalte kritisch zu hinterfragen. Oder Studierende nutzen die Methodik der Juristerei und hinterfragen Lehrinhalte, können durch den Zeitdruck aber nicht alle angeforderten Bereiche abdecken. 

Dabei gibt es viele Projekte und Veranstaltungen, die zeigen, dass gute Lehre und eigenverantwortliche Bildung Hand in Hand gehen: kostenfreie, qualitative Repetitorien der Uni und Vorlesungen, in denen die kritische Auseinandersetzung mit Lerninhalten gefordert wird, Studierendeninitiativen, die niederschwellig Lernbörsen und Anlaufstellen bei psychischen Belastungen organisieren, sich für eine Verlängerung der Regelstudienzeit und mehr Chancengleichheit einsetzen. Dennoch zeigt die hohen Abbrecherquote in den Rechtswissenschaften und die große psychische Belastung im Studium, dass wir erst am Anfang der Veränderung des Jurastudiums stehen und noch einen weiten Weg vor uns haben.

Porträt einer Frau mit Brille, dunkelbraunem, kinnlangem Haar und weißer Bluse.
Professorin Dr. Sigrid Harendza ist Leiterin der Sektion Ausbildungsforschung in der III. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Claudia Ketels/UKE

Eher Moderation als direkte Wissensvermittlung 

Professorin Sigrid Harendza: Ohne Fachwissen gibt es keine Kompetenz. Diese zeigt sich jedoch erst in der Performanz. Eine zukunftsorientierte Hochschullehre muss daher die Studierenden beim Erwerb von Kenntnissen unterstützen und ihnen Anwendungsmöglichkeiten eröffnen. Damit stehen die Studierenden selbst im Zentrum des Lernens. Die Lernziele und ihre Inhalte sollten evidenzbasiert anhand von Lerntheorien aufbereitet sein, sodass die Studierenden Verantwortung für ihren Lernfortschritt übernehmen und diesen auch reflektieren können. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass Inhalte nach dem Selbststudium und Vorbereiten von Diskussionsfragen besser memoriert werden als nach dem Hören einer Vorlesung und der Erstellung einer Zusammenfassung der Inhalte. Es wird also den Lehrenden obliegen, basierend auf solchen Erkenntnissen geeignete Lernformate auszuwählen. Ihre zukünftige Rolle liegt somit eher in der Moderation als in der direkten Wissensvermittlung. 

Um kompetent handeln zu können, müssen Studierende Gelegenheiten erhalten, ihre Kenntnisse anzuwenden. Das Prinzip der sogenannten Deliberate Practice kann hierbei für die zukunftsorientierte Hochschullehre die Richtschnur sein: bei den Studierenden entsteht durch herausfordernde Anwendungssituationen die Motivation, Fähigkeiten außerhalb ihrer Komfortzone zu erproben, Ergebnisse zu reflektieren und Feedback zu ihrem Handeln zu erhalten. Auch in Zukunft wird also der persönliche Kontakt zwischen Lernenden und Lehrenden entscheidend für das Lernen sein.

Das Porträt eines jungen Mannes mit Bart, dunkelbraunem Haar und einem weißen, gepunkteten Hemd.
Dr. Alexander Wuttke ist Juniorprofessor für Digitalisierung und politisches Verhalten an der LMU München. LC Productions

KI in Hausarbeiten ist mehr als ein Täuschungsversuch 

Zukunftsorientierte Hochschullehre ist in beständigem Wandel, geformt von der technologischen und gesellschaftlichen Entwicklung ihrer Zeit. Sie prüft stetig, welche neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung es heute gibt, die uns gestern noch nicht zur Verfügung standen. Zukunftsorientierte Hochschullehre umarmt die neuen Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz: 

Wir unterrichten Studierende darin, "grammarly" für Rechtschreibung und Satzbau einzusetzen und dürfen höhere Standards für den sprachlichen Ausdruck in Hausarbeiten verlangen. Wir unterrichten Studierende darin, "Paperpal" für konzise Formulierungen und kreative Titel zu verwenden und können eine höhere Qualität im wissenschaftlichen Schreiben erwarten.

Wir zeigen ihnen, wie sie sich mit "elicit" und "research rabbit" einen Überblick über die relevante Literatur verschaffen und wie sie mit ChatGPT nervtötende Fehler in ihren Programmiercodes entdecken. KI in Hausarbeiten ist also mehr als ein Täuschungsversuch. Sinnvoll in die Lehre integrierte KI kann als effizienzsteigerndes Werkzeug Routinetätigkeiten einsparen und höherwertigere studentische Arbeiten ermöglichen. Ohne Zweifel stellt KI die Lehre vor Probleme und Herausforderungen. Zukunftsorientierte Hochschullehre beschreibt auch die Geisteshaltung, in neuen Entwicklungen nicht nur Mühen zu sehen, sondern auch Freude in den neuen Möglichkeiten zu finden.