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Hochschulleitung
Unabhängig und verantwortlich

Eine gute Zusammenarbeit ist Voraussetzung für die funktionierende akademische Selbstverwaltung. Wie können Konflikte vermieden werden?

Von Peter-Georg Albrecht 14.09.2018

Hochschulen sind freie und demokratisch verfasste Selbstverwaltungskörperschaften. Als solche können sie gesellschaftliche Entwicklungen nur dann anstoßen und begleiten, wenn sie sowohl an der Spitze als auch an der Basis ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter demokratisch und frei einbeziehen.

Hochschulleitungen haben die Aufgabe, die Hochschulen als Institution gegenüber Öffentlichkeit, Wirtschaft und Gesellschaft zu vertreten und keinesfalls nur gegenüber den zuständigen Wissenschaftsministerien und potenten Drittmittelgebern. Hochschullehrende arbeiten an der Realisierung eines sich zuvorderst individuell manifestierenden Zweckes: Forschung und Lehre.

Diese beiden zentralen Aufgaben der Hochschulen finden auf zwei Handlungsebenen statt, haben aber mit der gleichen Herausforderung umzugehen: Zur Realisierung der institutionellen Außenvertretung müssen Hochschulleitungen ihre Hochschulmitglieder – top down – anleiten, ihr Handeln so zu organisieren, dass ein gemeinsamer akademischer Wissens- und Erfahrungstransfer in Gesellschaft und Wirtschaft möglich wird. Zur Organisation der Lehre an der Basis haben Studiengangsverantwortliche – bottom up – Mitlehrende dazu zu motivieren, kooperativ zu lehren.

Beide Handlungsebenen treffen sich in der "Mitte" der Hochschulen: In den gewählten Organen der akademischen Selbstverwaltung sowie in den selbstorganisierten Lehrkooperationen der Studiengänge.

"Sowohl an der Spitze als auch an der Basis gibt es in Hochschulen jeweils ein Selbstverwaltungsdefizit." Peter-Georg Albrecht

Insbesondere dort wird häufig deutlich, dass sowohl an der Spitze als auch an der Basis jeweils ein Selbstverwaltungsdefizit existiert, das sich einmal als Selbstverwaltungsmangel und einmal als Selbstverwaltungsüberschätzung zeigt:

An der Basis sind Studiengangsverantwortliche aufgrund einer verhältnismäßig geringen Institutionalisierung auf ihre individuellen und informellen Organisationsfähigkeiten angewiesen, soll es ihnen gelingen, Kolleginnen und Kollegen zum Mitlehren und zur gemeinsamen Verantwortungsübernahme für die Lehre zu gewinnen. So zumindest erwarten es die Studierenden.

An der Spitze sorgt die vorhandene verhältnismäßig starke Institutionalisierung für die Erwartung, dass Hochschulleitungen – im Sinne quasiwirtschaftlicher Managementfähigkeiten oder quasistaatlicher Hoheitlichkeit – institutionell formell in der Lage sind, ihre Kolleginnen und Kollegen zu einem abgestimmten Transfer und gemeinsamer Verantwortungsübernahme für Wirtschaft und Gesellschaft zu bringen, also ihre Hochschulen "durchzumanagen". Das erweist sich jedoch häufig als Fehleinschätzung beziehungsweise sogar Überschätzung, denn in Hochschulen kann nichts "durchgemanagt" werden.

Die Gründe dafür sind – wie im Falle der Selbstverwaltungsmangels und des Selbstverwaltungsüberschätzung – organisatorischer, aber auch historischer Natur.

Freiheit als absolutistisches Zugeständnis

Hochschulen werden als Selbstverwaltungen angesehen, weil sie zunächst einmal durch den freiwilligen Zusammenschluss von einzelnen Lehrenden auf gleicher Augenhöhe zustande gekommen sind. Durch diese Organisationsform möchten die Lehrenden ihren Studierenden eine Bildung anbieten, die von den Prinzipien der Freiwilligkeit und der gleichen Augenhöhe geprägt ist – und ihnen gleichzeitig Bildungswege in Form von Studiengängen nahelegen.

Allerdings müssen sich einzelne Lehrende wegen der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses stets auch freiwillig als Koordinatoren dieser Studiengänge betätigen und so Studierende ebenso wie Kolleginnen und Kollegen ein Stück weit leiten.

Historisch korrespondiert diese Freiwilligkeit des Zusammenschlusses mit dem individuellen Selbstverständnis von Hochschullehrenden, die Autonomie überaus schätzen, weil sich in ihr die Freiheit von Lehre und Forschung verwirklicht.

Diese entwickelte sich als eine von zwei hochschulprägenden Wesensarten ab dem 18. Jahrhundert, als Hochschulen sich – aufgrund ihrer Stellungnahmen zu gesellschaftlichen Veränderungsprozessen bis hin zu Revolutionen – mit umfänglicher staatlicher Bevormundung auseinanderzusetzen hatten. Allerdings ist diese Freiheit keine Eigenschaft, sondern etwas Verliehenes. Historisch gesehen war sie sogar ein absolutistisches Zugeständnis.

Die zweite Wesensart, die Hochschulen ebenfalls ganz wesentlich prägt und die Hochschullehrenden – auch institutionell – den Rücken stärkt, ist die der Kompetenz (vormals Autorität genannt).

Ohne eine spezifische Kompetenz gäbe es die Hochschulen nicht in ihrer heutigen institutionellen Form – als Körperschaften, die sich in der Zeit der Renaissance entwickelten, als die griechisch-römische Kultur wiederentdeckt wurde und sich die dieser Kultur entsprechenden Künste akademisierten und in der Hochschullehrende als kompetente Autoritäten um Rat angerufen wurden, wenn es galt, die Geister zu unterscheiden – untertänig oder herrschaftlich, noch scholastisch oder schon humanistisch.

Kompetenz beziehungsweise Autorität ist ebenfalls keine Eigenschaft, sondern eher eine Zuschreibung. Hochschulen werden von der Gesellschaft als Kompetenzzentren – im Sinne wissenschaftlicher Kompetenzen – angesehen.

Hochschulen werden also auch deshalb Selbstverwaltungen genannt, weil sie als öffentliche Einrichtungen institutionell in der Lage sind, Kompetenzen zu entwickeln, kompetente Personen einzubinden und zur Mitwirkung, unter anderem in akademischen Selbstverwaltungsorganen wie den Senaten, zu befähigen.

Leitung einer Hochschule bedeutet Moderationsaufgabe

Beide Wesensarten, die der persönlichen Autonomie und die der spezifischen akademischen Kompetenz, prägen die heutigen Hochschulen und vor allem ihre Lehrenden wesentlich. Sie sind Teil der institutionellen wie auch der individuellen akademischen Identitäten geworden. Ohne diese beiden Prägungen wäre es, historisch gesehen, ganz sicher nicht zu der bekannten Karriere der Wissenschaften, der Hochschulen und vieler Hochschullehrender in den aufgeklärten, humanistisch und naturwissenschaftlich geprägten Gesellschaften gekommen.

Beide Wesensarten bieten allerdings auch die Möglichkeit, von den von ihr geprägten Individuen – autoritär oder anarchistisch – gegen die Handlungsfähigkeit der Institution sowie gegen Kolleginnen und Kollegen gewendet zuwerden, wenn es darum geht, Interessen durchzusetzen, bestimmte Vorlieben abzusichern, die Interessen anderer zu blockieren oder aber sich zu verweigern.

Hierin besteht eine innere, sehr hochschulspezifische Selbstverwaltungsgefährdung.
Hochschulleitungen müssen nach ihrer Wahl durch die Senate zumeist als erstes feststellen, dass ihre allererste Aufgabe nicht die Leitung von Hochschulen – top down – ist, sondern zunächst die Moderation der akademischen Selbstverwaltung (insbesondere des Senats) selbst ist.

Diese Aufgabe nehmen sie in der Regel an, stoßen aber bei ihrer Moderation und später bei ihrem Einsatz für institutionelle Hochschulentwicklung schon bald auf die ersten – individuellen – Verweigerungshaltungen, Blockaden, Vorlieben und Interessendurchsetzungsstrategien.

Gleiches erleben Studiengangsverantwortliche: Kaum haben sie sich bereit erklärt, einen Studiengang zu leiten, wird ihnen klar, dass sie dadurch primär nicht ihre eigene Lehre verbessern, sondern – bottom up – zunächst einmal in eine Bittstellerposition geraten, weil sie Kolleginnen und Kollegen motivieren und führen müssen. Sie stellen sich dieser Aufgabe zunächst engagiert, merken aber bald wie schwierig es ist, wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre spezifischen Kompetenzen und die Freiheit von Forschung und Lehre nutzen, um sich zu verweigern, Entwicklungen zu blockieren beziehungsweise nur ihren eigenen Vorlieben nachgehen und diese durchzusetzen versuchen.

Hochschulleitungen geraten so in die Gefahr, innerlich auszubrennen und nur noch zu moderieren oder aber "dicht zu machen" und durchzumanagen beziehungsweise durchzuregieren.  Studiengangsleitungen kann ähnliches passieren: Sie brennen aus, lassen die Studienorganisation "schleifen" und ziehen sich in Forschung und Lehre zurück.

Entronnen wird diesen Gefahren in der Praxis regelmäßig durch drei aufeinander aufbauende Konfliktbearbeitungsstrategien beziehungsweise Schritte:

  • Erstens: Durch Lenkung des üblichen Klagens über gesellschaftliche Entwicklungen (insbesondere in den zuständigen Wissenschaftsministerien) und über die Studierfähigkeit der Lernenden sowie der üblichen allgemeinen Lobreden über die Kompetenzen von Hochschulen (neuerdings Profile und Strategien genannt) und der allgemeinen Beschwörung der Freiheit von Forschung und Lehre auf die oben genannten wirklichen Organisationslücken, -mängel und -überschätzungen, die Hochschulen und ihren Mitgliedern zu schaffen machen.
  • Zweitens: Die oben genannten Selbstverwaltungsdefizite werden angesprochen, aber nicht nur beklagt, sondern aktiv beseitigt. Und zwar durch wirklich inter- beziehungsweise überdisziplinäre Anerkennung jeglichen an gesellschaftliche Entwicklung und Innovation orientierten Transferhandelns und jeglicher konsequenter und qualitätsorientierter Förderung aller Studierenden (wie es beispielsweise in den beiden von Bund und Ländern initiierten Großprogrammen "Innovative Hochschule" und "Qualitätspakt Lehre" geschieht) sowie durch die konsequente Unterstützung all derjenigen, die diese beiden – im Grunde freiwilligen – Aufgaben engagiert und demokratisch realisieren.
  • Drittens: Durch konsequente stetige "Bestellung" von kollegial erarbeiteten interdisziplinären internen Gutachten mit Vermittlungsvorschlägen, die in der akademischen Selbstverwaltung diskutiert und auf deren Basis Beschlüsse gefasst werden.

Mitverantwortung in der Lehre und Verantwortung in der Forschung

Durch die genannten Schritte gelingt es regelmäßig, Verweigerungshaltungen zu lockern, Blockaden zu verringern beziehungsweise aufzulösen sowie Vorlieben und Interessen in gemeinsam verantwortete (und später umgesetzte) Beschlüsse einmünden zu lassen. Dies geschieht dadurch, dass durch diese Konfliktbearbeitungsstrategien beziehungsweise Schritte die jeweils zweite Seite der beiden Medaillen freigelegt wird, die untrennbar zu den beiden Prägungen beziehungsweise Wesensarten gehört:

Die zweite Seite der Medaille wissenschaftlicher Kompetenz und Autorität ist stets die der Vermittlung. Hochschulmitgliedern wird Autorität und Kompetenz zugestanden, die sich keinesfalls nur auf die Fähigkeit bezieht, im Labor zu forschen und Erfahrungen und Erkenntnisse mit Gleichgesinnten zu diskutieren, sondern diese auch in die Welt, Gesellschaft und Wirtschaft sowie an die Studierenden zu vermitteln.

Wird diese – kommunikative – Seite der Kompetenz durch oben genannte Schritte wirksam gemacht, wird der ihr immanente Kern, die Verantwortlichkeit von Hochschullehrenden, freigelegt. So entsteht eine akademische Selbstverwaltung, in der sich Verantwortung in Mitverantwortung für die an gesellschaftlicher Entwicklung orientierte Hochschule als auch für die lehrbezogenen Aufgaben der Studiengänge verwandelt.

So wird der Weg für eine mitverantwortliche akademische Lehre und verantwortliche wissenschaftliche Forschung geebnet und zugesagt.

Die zweite Seite der Medaille der Freiheit von Forschung und Lehre ist stets die der Begutachtung. Sicher ist es auch wichtig, Aspekte der Natur und des menschlichen Zusammenlebens im Studierzimmer zu betrachten und zu prüfen; erwartet wird jedoch, die dabei gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse zu kommunizieren – und zwar im Sinne eines Gutachtens "von Wohlwollen getragen und dem Fortkommen behilflich".

Diese – ebenfalls kommunikative – Seite der Freiheit von Forschung und Lehre wird durch die o.g. Schritte befördert. Der Kern, der dabei zum Leuchten gebracht wird, ist der der Unabhängigkeit. Dieser Kern entfaltet gerade in seinem Verneinungs- beziehungsweise Absage-Duktus seine positive Wirkung: Denn niemand wünscht sich eine Selbstverwaltung und Studiengangsleitung oder Lehre und Prüfung von ausschließlich interessengeleiteten oder gar abhängigen Personen; ebenso wenig wie von solchen Kolleginnen und Kollegen eine gute wissenschaftliche Forschung oder gar gute Beiträge zur gesellschaftlichen Entwicklung erwartet werden.