Ein Mann im Anzug vor einem großen Bürogebäude hät einen Karton in den Händen mit seinem persönlichen Utensilien vom Arbeitsplatz.
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Antisemitismus
Juristische Antworten auf Antisemitismus an Hochschulen

Das Tikvah Institut hat eine juristische Handreichung herausgegeben. Es geht um den Handlungsspielraum gegen Antisemitismus an Hochschulen.

19.02.2024

Das Tikvah Institut hat eine juristische Handreichung vom Freiburger Anwalt Dr. Patrick Heinemann erstellen lassen. Sie soll zeigen, welche Möglichkeiten Hochschulleitungen haben, um Hochschulen zu einem sicheren Ort zu machen: Im Hausrecht, im Beamtenrecht und im Hochschulrecht. 

Laut Volker Beck und Deidre Berger, die das Tikvah Institut 2020 als Antisemitismus-Initiative zum Austausch von Wissenschaft und Praxis in Berlin gegründet haben, "müssen Hochschulen dafür sorgen, dass sie sichere Orte für jüdische Studierende und Lehrende sind. Sie müssen aktiv die Universität als Raum der Wissenschaftsfreiheit verteidigen, an dem allein das Argument oder der Beleg und nicht Gewalt oder Geschrei den rationalen Diskurs bestimmen." 

"Hochschulen müssen dafür sorgen, dass sie sichere Orte für jüdische Studierende und Lehrende sind."
Volker Beck und Deidre Berger, Tikvah Institut 

Die Handreichung klärt zunächst über die juristischen Grundlagen zu Antisemitismus auf. Allen voran verletze antisemitisches Verhalten die Menschenwürde nach Artikel 1 des Grundgesetztes (GG). Es ist daher niemals gerechtfertigt und könne auch nicht politisch mit der Berufung auf die Meinungsfreiheit begründet werden. 

Antisemitisches Verhalten Studierender an Hochschulen 

Hinsichtlich möglicher Sanktionen gegen antisemitisches Verhalten Studierender an Hochschulen kommt es laut der juristischen Handreichung zunächst einmal darauf an, ob es sich um öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Hochschulen handele. 

Für Studierende einer öffentlich-rechtlichen Hochschule gelten die Vorschriften des öffentlichen Rechts. Akut könne die Hochschule laut der Handreichung auf antisemitisches Verhalten von Studierenden mit dem Hausrecht reagieren. Hochschulen dürften also nicht gestattete Besetzungen, das Stören von Veranstaltungen und das Abreißen von Plakaten damit unterbinden, dass Studierende ein temporäres Hausverbot erhielten.

"In all diesen Fällen kann ein antisemitisches Motiv bei der Strafzumessung berücksichtigt werden."
Anwalt Dr. Patrick Heinemann, Freiburg

Um dieses Recht durchzusetzen, dürfte die Hochschule auch die Polizei heranziehen und gegebenenfalls Strafanzeige erstatten. Wer sich weigere, das Hausverbot zu respektieren, könne sich wegen Hausfriedensbruch strafbar machen. Wer versuche, andere von Veranstaltungen abzuhalten, sich einer (versuchten) Nötigung schuldig mache, wer fremdes Eigentum zerstöre, Plakate abreiße oder Schmierereien verursache, könne wegen Sachbeschädigung belangt werden. "In all diesen Fällen kann ein antisemitisches Motiv bei der Strafzumessung berücksichtigt werden", so Heinemann. 

In einigen Bundesländern fehlen Sanktionsmechanismen 

Viele Landeshochschulgesetze sehen laut der Handreichung ein Ordnungsrecht über die Studierenden vor. Grund dafür sei in erster Linie, den Hochschulbetrieb aufrechtzuerhalten. Als Ordnungsmaßnahmen kämen danach in Frage: Exmatrikulation androhen, von Einrichtungen der Hochschule oder von Lehrveranstaltungen ausschließen, sowie Exmatrikulation. Ein Ordnungsverfahren setze einen Ordnungsverstoß voraus, die hierfür durch die Landeshochschulgesetze gesetzten Hürden seien jedoch unterschiedlich hoch. 

In einigen Landeshochschulgesetzen bestehe die Möglichkeit, Studierende wegen (nichtwissenschaftlichen) Fehlverhaltens zu exmatrikulieren. Das Bundesland Berlin habe dagegen das Ordnungsrecht über Studierende ausdrücklich abgeschafft. Dort sei die Exmatrikulation ausgeschlossen und die maximale Sanktion seien drei Monate Hausverbot. Wo das bestehende Hochschulrecht keine Möglichkeiten biete, auf Antisemitismus zu reagieren, müsse der Landesgesetzgeber "zeitnah entsprechende Rechtsgrundlagen schaffen", damit er seiner grundrechtlichen Pflicht nachkommen könne, die Menschenwürde, Leib und Leben sowie den ungestörten Bildungszugang zu schützen. 

Mögliche Sanktionen gegen Hochschulpersonal 

Bei antisemitischen Verhaltensweisen des Hochschulpersonals ist laut der Handreichung zwischen verbeamteten Personen und Arbeitnehmenden zu differenzieren. Antisemitisches Verhalten von Beamtinnen und Beamten verstoße regelmäßig gegen Dienstpflichten und sei als Dienstvergehen disziplinarrechtlich zu verfolgen. Ein Verhalten außerhalb des Dienstes sei jedoch nur dann ein Vergehen, wenn es das Vertrauen in einer für das Amt der verbeamteten Person bedeutsamen Weise beeinträchtige. 

Arbeitnehmende an Hochschulen, die sich antisemitisch verhalten, können laut Heinemann ihre arbeitsvertraglichen Nebenpflichten, insbesondere die Rücksichtnahmepflicht, schuldhaft verletzen. Die Konsequenz könne dann, je nach Umständen des Einzelfalls, sogar eine fristloste Kündigung sein.

kfi