Drei Puzzleteile in rot, gelb und blau mit der Aufschrift "Vollzeit", "Teilzeit" und "Unbefristet".
mauritius images / Pitopia / kebox

Karriere an Hochschulen
Studie zeigt Modelle von Hochschul-Karrieren auf

Das deutsche Hochschulsystem zeichnet sich durch einen hohen Anteil befristeter Verträge aus. Eine Studie entwirft Modelle neuer Karrierewege.

08.03.2024

Das deutsche Hochschul- und Forschungssystem zeichnet sich durch einen hohen Anteil befristeter Verträge mit kurzen Laufzeiten aus und weist nahezu vollständig strukturierte Karrierewege auf. Etwa 82 Prozent der Mitarbeitenden ohne Professur hätten befristete Verträge, wobei die durchschnittliche Vertragslaufzeit bei 20 Monaten liege. Dies zeigt eine aktuelle Studie von Soziologe Dr. Mathias Kuhnt (Technologische Universität Dresden), Methodenspezialist Peter Müßig (DZHW, Hannover) und Professor Tilman Reitz (Friedrich-Schiller-Universität Jena), die sich mit den bestehenden Defiziten dieses Systems befasst. 

Vor diesem Hintergrund diskutieren sie alternative Optionen in Form von Modellberechnungen, die eine Reform der Beschäftigungsstrukturen und Karrierewege vorschlagen. Dabei wurden die verschiedenen Positionen von Professorinnen und Professoren über Postdocs bis hin zu Lehrkräften betrachtet. Zwei Hauptansätze werden vorgeschlagen: das Tenure-Track-Modell und das Dozentenmodell. 

Ziel der Untersuchung sei es gewesen, eine organisierte, faire und nachhaltige Methode zur Besetzung von Positionen zu schaffen und gleichzeitig die Rekrutierung professioneller akademischer Fachkräfte sicherzustellen. 

Analyse der bestehenden Beschäftigungsstruktur 

Die aktuellen Beschäftigungsmodelle zeigten eine Vielfalt von Vertragsarten und -dauern sowie eine Unterschiedlichkeit in den FTE (Vollzeitäquivalenten) und den jährlichen Kosten pro Position. In allen untersuchten Fachrichtungen variierten die Beschäftigungsmodelle deutlich, wobei die Sozialwissenschaften mit 6.150 Professuren im Vergleich zu den Ingenieurwissenschaften mit 3.810 und den Naturwissenschaften mit 5.690 Professuren eine signifikante Variation aufwiesen. 

Die aktuelle Beschäftigungsstruktur an deutschen Universitäten sei laut Studie geprägt von einer atomisierten Struktur, in der einzelne Professorinnen und Professoren über eine große Autonomie verfügten und in der der Weg zu einer festen Professur weitgehend dem Zufall überlassen bleibe. Insbesondere für nicht-professorales Personal, das den Großteil der akademischen Belegschaft ausmache, seien befristete Verträge die Norm. 

Diese Phase der frühzeitigen beruflichen Entwicklung könne bis ins mittlere Lebensalter dauern und werde oft durch kurzfristige Projektpositionen ergänzt. Die Autoren verdeutlichen, dass diese Struktur nicht nur die Qualität der Forschung und Lehre beeinträchtigt, sondern auch zu einer Vielzahl von Problemen führt, darunter Unsicherheiten für die Beschäftigten, Brain Drain und Ineffizienzen im System. 

Unbefristete Stellen sind Mangelware 

"Warum müssen sämtliche Anstellungsverhältnisse vor der Professur denn eigentlich befristet sein, obwohl das entsprechende Personal schon lange in der Wissenschaft arbeitet und damit hoch professionalisiert ist? Warum braucht es diese existenziellen Zwänge?", äußert Autor Mathias Kuhnt seine Zweifel am bestehenden System im Newsletter von "Research.Table". 

"Warum müssen sämtliche Anstellungsverhältnisse vor der Professur denn eigentlich befristet sein?"
Dr. Mathias Kuhnt, Technologische Universität Dresden

In der geplanten Verkürzung der Postdoc-Phase im WissZeitVG sieht Soziologe und Studienautor Kuhnt im Gespräch mit "Research.Table" keinen schnelleren Weg in unbefristete Beschäftigungsverhältnisse: "Nach den zwölf Jahren, die das WissZeitVG als Befristungsrahmen in der Regel zulässt, sind Akademikerinnen und Akademiker im Durchschnitt 39 Jahre alt. Bedenkt man, dass eine Professur mit einem Durchschnittsalter von 42,5 Jahren erreicht wird, gibt es also heute schon einen Gap. Um diesen zu überbrücken, gibt es bereits Workarounds, etwa durch Drittmittelfinanzierungen. Der Gap wird jetzt, durch eine 4+2-Regelung, noch ein bisschen größer. Die Novelle wird aber nicht den entscheidenden Anstoß geben, das System zu ändern." 

Beim Status-Quo-Modell würde man Kuhnts Meinung nach disziplinenübergreifend auf eine Wahrscheinlichkeit von 12 Prozent für eine Entfristung kommen. Das ergebe sich aus der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass man nach der Promotion weiter beschäftigt werde, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit, dass man es aus einer befristeten Postdoc-Position dann auch auf eine Dauerstelle schaffe. Diese Dauerstelle bekomme man im Schnitt dann sehr spät mit über 40 Jahren.

Themen-Schwerpunkt "Befristung"

Das neueste "Barometer für die Wissenschaft" zeigt: Insgesamt 57 Prozent der befragten Forscher und Forscherinnen denken ernsthaft über einen Ausstieg aus der Wissenschaft nach. Besonders befristet Beschäftigte erwägen diesen Schritt, bedingt durch hohe Arbeitsbelastung und unzureichende berufliche Perspektiven. 

Ausgewählte Beiträge zu Diskussionen um Befristungsmöglichkeiten in der Wissenschaft finden Sie in unserem Themenschwerpunkt "Befristung". 

Vorgehen beim Modellieren alternativer Beschäftigungsstrukturen 

Um alternative Beschäftigungsstrukturen vorzuschlagen, haben die Autoren Modelle entwickelt, die die vorhandenen Budgets und die erforderlichen Lehrbelastungen schätzen. Dabei haben sie verschiedene Szenarien für Institute mit sechs Professuren sowie für spezifische Disziplinen wie Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Mathematik und Naturwissenschaften sowie Ingenieurwissenschaften betrachtet. 

Diese Modelle berücksichtigen unterschiedliche Faktoren wie die Zusammensetzung des Personals, die Finanzierung aus Drittmitteln und die wöchentliche Arbeitsbelastung. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Umstrukturierung der Beschäftigungsverhältnisse möglich ist, ohne die Budgets zu verändern oder die Lehrverpflichtungen zu erhöhen. Dabei könnten planbare Karriereentscheidungen bereits in einem frühen Stadium ermöglicht werden, ohne die Gesamtzahl der Mitarbeiter wesentlich zu verändern. 

Eine zentrale Fragestellung der Studie betrifft die Übergangsquoten zwischen verschiedenen Karrierephasen. Die durchschnittliche Dauer der Beschäftigungsverhältnisse in den jeweiligen Phasen bildet hierbei eine wichtige Grundlage. Besonders interessant ist dabei die Betrachtung der Übergänge von befristeten zu unbefristeten Stellen sowie zwischen den verschiedenen Beschäftigungsphasen. 

Tenure-Track-Abteilungen als erste Alternative 

Als mögliche Alternative zu den bestehenden Beschäftigungsmodellen werden Tenure-Track-Abteilungen vorgeschlagen. Diese böten eine Kombination aus befristeten und unbefristeten Stellen und würden eine langfristige Perspektive für wissenschaftliche Karrieren bieten. Die Analyse zeigt, dass Tenure-Track-Abteilungen potenziell niedrigere Übergangsquoten aufweisen könnten, was langfristig zu einer stabileren Beschäftigungsstruktur führen könnte. 

Das Tenure-Track-Modell sieht eine signifikante Erhöhung der Professuren vor, um die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung zu schaffen. Ein differenzierter Ansatz werde je nach Fachdisziplin verfolgt, um eine Erfolgsrate von etwa 75 Prozent zu gewährleisten. Dabei würden auch Übergangszeiträume für nicht erfolgreiche Tenure-Track-Kandidatinnen und -Kandidaten berücksichtigt. Der Übergang zur Professur erfolge früher im Vergleich zum Status quo, was zu einer Verlängerung der Dienstzeit bis zum Rentenalter führen könnte. 

Dozentenmodell oder "Lecturer-Institut" als zweite Alternative 

Das Dozentenmodell basiert darauf, dass Forschende nach Abschluss ihrer Promotion grundsätzlich qualifiziert sein sollten, dauerhaft an einer Universität beschäftigt zu werden. Es ermöglicht eine höhere Flexibilität bei der Einstellung von Dozentinnen, Dozenten, Doktorandinnen und Doktoranden, wobei das Hauptaugenmerk auf langfristige Beschäftigungsperspektiven liegt. 

Dabei seien die Kosten laut Soziologe Kuhnt gegenüber "Research.Table" nicht erhöht: "Unsere Modell-Institute werden nicht teurer und man sieht beim Lecturer-Institut sogar einen deutlich höheren Lehr-Output. Es ist eine Win-Win-Situation, weil man die Qualifikation der Promovierenden verbessert. Sie können sich bei einem Deputat von einer Semesterwochenstunde auf die Promotion konzentrieren. Gleichzeitig können Studierende besser betreut werden, weil mehr Zeit und professionelles Personal für die Lehre zur Verfügung stehen. Noch dazu steigt im Lecturer-Modell die Wahrscheinlichkeit, eine unbefristete Stelle zu erreichen, auf 23 Prozent." 

"Unsere Modell-Institute werden nicht teurer und man sieht beim Lecturer-Institut sogar einen deutlich höheren Lehr-Output."
Dr. Mathias Kuhnt, Technologische Universität Dresden

Fazit: Nachhaltige Personalplanung und stabile Karrierewege 

Die Untersuchung der Beschäftigungsstrukturen an deutschen Universitäten verdeutlicht die Komplexität und Vielfalt der bestehenden Modelle. Die Identifizierung von Gestaltungsspielräumen und die Analyse von Übergangsquoten könnten laut den Autoren wichtige Erkenntnisse für zukünftige Reformen bieten. 

Beide Modelle zielen darauf ab, die Anzahl der Mitarbeitenden mit langfristigen Beschäftigungsaussichten zu erhöhen, wobei nur geringfügige Reduzierungen der Gesamt-Mitarbeitendenzahl erforderlich sind. Die Implementierung von Vollzeit- oder nahezu Vollzeitstellen wird in den Modellen bevorzugt, um die Kontinuität und Stabilität der akademischen Beschäftigung zu verbessern. 

Eine Mischung aus Budget- und projektfinanzierten Positionen wird ebenfalls angestrebt, um eine nachhaltige Personalplanung zu ermöglichen. Die Übergangsraten zwischen verschiedenen Karrierestufen würden dadurch verbessert, wobei eine frühere Entscheidung über die berufliche Zukunft getroffen werden könnte, um so Unsicherheiten zu reduzieren und faire Chancen für alle zu gewährleisten. 

Wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte 

Die vorgeschlagenen Alternativmodelle für akademische Beschäftigungsstrukturen könnten eventuell transparentere und faire Auswahlverfahren für wissenschaftliches Personal bieten, gleichzeitig die Arbeitsplatzsicherheit verbessern und potentiell zu einer stabileren und vielfältigeren akademischen Landschaft beitragen. 

Durch die Entwicklung von Modellen für alternative Beschäftigungsstrukturen wird ein wichtiger Beitrag zur Diskussion über Reformen im deutschen Hochschulsystem geleistet, die dringend benötigt werden, um die Herausforderungen der aktuellen Beschäftigungssituation anzugehen. 

cva