Eine Dozentin untersucht vor einem Laptopbilschirm mit Videokonferenz eine Pflanze mit ihrer Lupe.
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Digitale Lehrformate – Krisenexperiment oder Zukunft?

Das didaktische Design vom Lehren und Prüfen ist ein kreativer Akt. Viele Hochschulen arbeiten durchaus selbstkritisch an ihrer Entwicklung.

Von Christine Vallbracht 12.04.2024

"Im Idealfall entwickelt eine Lehrperson ihre Lehre beständig weiter", formulierte Gabi Reinmann, Professorin für "Lehren und Lernen an Hochschulen" in Hamburg, kürzlich im Magazin und auf der Website von "Forschung & Lehre" den stetigen Adaptions- und Flexibilitätsbedarf beim Lehren. 

Den durch Covid 19 quasi ad hoc erzwungenen Einsatz digitaler Formate fasst Reinmann so zusammen: "Weitgehend unvorbereitet wurden digitale und hybride Lehr- und Prüfungsformate umgesetzt, um bei nächster Gelegenheit zur Präsenzlehre zurückzukehren: eine digitale Zukunft auf Zeit. Ich denke, Lehrpersonen fehlten vor allem Spielräume und eigene Motive, in diesem großen Feldexperiment für die Zukunft dazuzulernen." 

Sommersemester 2024: digitale Lehre wohin man blickt? 

Ein Blick nach Hessen zeigt, dass einzelne Hochschulen die digitale Lehre noch weiter ausbauen wollen. Laut Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU) schätzten die Lehrkräfte den Anteil der reinen Online-Lehre auf rund 13 Prozent, gut 15 Prozent des Unterrichts würden demnach hybrid abgehalten. Die Hochschule Rhein-Main (HSRM) in Wiesbaden bietet nach eigenen Angaben bislang bis zu 25 Prozent der Lehre digital an. 

"Forschung & Lehre" hat stichprobenhaft einige Einschätzungen weiterer Hochschulen zum Stand der eigenen digitalen Lehre eingeholt. Das Bild ist durchwachsen. Was auffällt: Die angefragten Universitäten erfassen den Anteil an digitaler Lehre meist nicht regulär. 

"Lehrende können bis zu 30 Prozent ihres Lehrdeputats digital unterrichten. In welchem Maße dies tatsächlich beansprucht wird, ist uns nicht bekannt", erläutert der Pressesprecher der Universität Greifswald, Jan Meßerschmidt. Die Ruhruniversität Bochum vermeldet, zur Angabe des Anteils der digitalen Lehre an der Hochschullehre insgesamt sowie deren Entwicklung fehle die Datenbasis. 

"Lehrende können bis zu 30 Prozent ihres Lehrdeputats digital unterrichten."
Jan Meßerschmidt, Pressesprecher der Universität Greifswald

Während man beispielsweise an der Universität Leipzig schätzt, dass der Anteil an digitaler Lehre seit dem Wintersemester 2019/20 um etwa 25 Prozent gestiegen ist, hält man in Freiburg den Anteil an reiner Online-Lehre für gering. Man ordne das Vorkommen von hybriden oder Präsenzformaten mit digitalen Phasen ("Blended Learning") bei etwa 15-20 Prozent ein. Zusätzlich gebe es an der Universität Freiburg seit 2009 acht Online-Weiterbildungsstudiengänge, die zu mindestens 80 Prozent Online-Lehre anböten. In Freiburg gelte jedoch grundsätzlich das vor zwei Jahren festgelegte Primat der Präsenzlehre

"An der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) ist der Grad der Digitalisierung in der Lehre seit dem Wintersemester 2019/20 deutlich gestiegen. Auch digitale Prüfungen (ePrüfungen) im eigenen eAssessmentcenter gehören zum Alltag. Darüber hinaus werden in den einzelnen Lehrveranstaltungen je nach Fach, Bedarf und Zielgruppe sogenannte hybride Lehr- und Lernformate angeboten, bei denen ein Teil der Studierenden zum Beispiel per Videokonferenz synchron an den Lehrveranstaltungen teilnehmen kann", erläutert Ilka Seer, die Pressesprecherin der BTU den dortigen Stand. 

"An der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) ist der Grad der Digitalisierung in der Lehre deutlich gestiegen." 
Ilka Seer, die Pressesprecherin der BTU

Bei unserer Stichprobe zeigte sich, dass digitale Werkzeuge aus der Lehre nicht mehr wegzudenken sind – ob sie in Präsenz stattfindet oder online. Deutlich zunehmend sei der Anteil an elektronischen Prüfungsformen, heißt es aus Freiburg. Die Universität Freiburg verfüge über ein E-Prüfungssystem sowie eine flexible Steuerungsumgebung für die Konfiguration von Pool-Räumen, die die Durchführung rechtssicherer E-Prüfungen zulasse. Aus Greifswald wird vermeldet, dass elektronische Klausuren recht stark nachgefragt würden. Seit der Öffnung des eigenen E-Prüfungszentrums im Juli 2022 seien mehr als 120 Klausuren digital durchgeführt worden. 

Kleines Zwischenfazit: Häufiger als die reine digitale Lehre kommt an Hochschulen auf den ersten Blick neben hybriden Formaten das „Blended Learning“, also eine Kombination aus digitaler Lehre und Präsenzlehre vor. Dabei wird E-Learning im Laufe eines Semesters teils vorab, nach dem Präsenzlernen oder parallel eingesetzt. Hinzu kommt der Einsatz von Online-Prüfungsformaten. 

Digitale Lehre – nicht für jedes Fach gleich gut geeignet 

Laut Stichprobe zeichnet sich grob ab, dass sich manche Fächer und Bereiche weniger für digitale Lehre anbieten als andere. Überhaupt nicht geeignet sind laut der Universität Leipzig die Veterinärmedizin und Medizin, wo man selbst während des Lockdowns auf digitale Lehrveranstaltungen verzichtet habe. 

"Der höchste Anteil digitaler beziehungsweise Blended-Learning-Formate findet in den Fakultäten für Biologie und Medizin statt. Auch in den Wirtschafts- und Sportwissenschaften, Jura und Sprachwissenschaften werden zunehmend digitale Formate eingesetzt", fasst Beate Suppinger für die Universität Freiburg zusammen. 

An der Universität Cottbus-Senftenberg wird Online-Lehre ebenfalls sehr gezielt fachspezifisch eingesetzt: "Das beste Beispiel für eine umfassende Digitalisierung der Lehre ist der Studiengang 'World Heritage Studies'. Der internationale Studiengang ist interdisziplinär aufgebaut und wird von mehreren Fachbereichen der BTU getragen. Für die Lehre eher nicht so gut geeignet sind Online-Szenarien, welche physischen Experimente in Laboren – zum Beispiel in der Chemie und Biotechnologie – oder an Maschinen zum Gegenstand haben. Simulationen und Virtualisierung spielen aber auch hier eine zunehmende Rolle". 

Spotlights: diverse Weiterbildungsangebote an Hochschulen 

Die kleine Stichproben-Anfrage von "Forschung & Lehre" hat zudem ergeben, dass man an den Hochschulen ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Bedeutung der Digitalisierung von Wissenschaft und Lehre zu haben scheint. Es werden etliche Austausch- und Weiterbildungsmaßnahmen entwickelt und bereitgehalten. 

Die Ruhruniversität Bochum (RUB) zählt gegenüber "Forschung & Lehre" zahlreiche Angebote des Zentrums für Wissenschaftsdidaktik (ZfW) auf: E-Learning-Kurzeinführungen zu aktuell über 20 Tools und Themen, umfangreiche hochschuldidaktische Workshops im Rahmen eines Zertifikatsprogramms (zum Beispiel "Blended Learning in der Lehre"), "Net(t)working-Treffen", monatlicher Stammtisch zum Thema "Open Educational Resources" oder beispielsweise das Austauschformat "Gesprächsforum Digitales Lehren" der Fakultät für Philologie. Ein ähnliches Angebot bietet nach eigenen Angaben das "Multimediazentrum" im Informations-, Kommunikations- und Medienzentrum (IKMZ) an der BTU in Cottbus-Senftenberg mit verschiedene Beratungs- und Austauschformaten zur Digitalisierung in der Lehre an. 

Ein vergleichbares Weiterbildungszentrum gibt es laut Pressesprecherin Anja-Maria Meister auch an der Universität Bayreuth: "Das Zentrum für Hochschullehre (ZHL) der Universität Bayreuth unterstützt alle Lehrenden bei der Entwicklung von digital gestützter Lehre, um Studierende mit interaktiven und multimedialen Formaten beim Lernen zu unterstützen. Das ZHL bietet ein breites Weiterbildungsportfolio für die Gestaltung von E-Learning-Kursen und für die Erstellung von interaktiven Video- und Quizformaten an. Unterstützung bei der Implementierung von Extended Reality und künstlicher Intelligenz in die Lehre gehört ebenso zum Angebot des ZHL". Hinzu kämen sogenannte "Lehrtreffs" und "Lehrwerkstätten" als fakultätsspezifische Austauschplattformen über Best Practises und für weitere Lehrimpulse. 

"Unterstützung bei der Implementierung von Extended Reality und künstlicher Intelligenz in die Lehre gehört ebenso zum Angebot des 'Zentrum für Hochschullehre'."
Anja-Maria Meister, Pressesprecherin der Universität Bayreuth

Die Freiburger Universität besitze eine "Abteilung E-Learning", die seit 2012 gemeinsam mit der Abteilung für Hochschuldidaktik ein Qualifizierungsprogramm für Lehrende anbiete. Seit dem Wintersemester 2022 könnten sich Lehrende im "edacticLab" digitale Formate aneignen und in eigenen Lehrprojekten umsetzen und anwenden, sowie sich aktiv mit anderen Lehrenden austauschen und netzwerken. Anleitungen, Anregungen für Lehrszenarien, sowie Kursvorlagen für digitale Seminare und Vorlesungen fänden Lehrende im "digitalen Werkzeugkasten". Der Werkzeugkasten stehe auch Lehrenden anderer Hochschulen zur freien Verfügung. 

In Leipzig setzt man unter anderem auf landesweite Angebote: "Über das Netzwerk 'Hochschuldidaktik Sachsen' (HDS), in dem die sächsischen Hochschulen vernetzt sind, werden Weiterbildungsveranstaltungen angeboten. Das hochschuleigene 'Netzwerk Lehre.Digital' im Rahmen der Weiterbildung von Lehrenden hat sich auf die digitalisierte Lehre fokussiert", informiert Ulf Walther von der Stabsstelle Kommunikation der Universität. 

Die Universität Greifswald bietet durch das "Zentrum für akademische und digitale Kompetenzen" regelmäßige Schulungs- und Austauschformate zu digitaler Lehre an. Beispielsweise updateLehre mit fast 30 Fortbildungen zu den Themen "Künstliche Intelligenz", Lehrkonzepte für digitale Lehre, Open Educational Resources, Moodle oder digitale Prüfungen. Außerdem gebe es landesspezifische und bundesweite Angebote über eine Förderung der "Stiftung Innovation in der Hochschullehre" in Form von Workshops, Impuls-Vorträgen, Praxisbeispielen und Austausch-Formaten. Während der Vorlesungszeit würde zudem seit 2021 der Lunchtalk.digital stattfinden. Darüber hinaus erarbeiteten Lehrende sowie studentische Tutorinnen und Tutoren im Rahmen des eTutor*innen-Programms innovative digitale Lehrkonzepte. Als asynchrones Angebot stehe den Lehrenden die Webseite "Digitale Lehre" zur Verfügung. 

Lehrende haben laut Umfrage keine Zeit für Qualifizierungen 

Für den "Monitor Digitalisierung 360°" (2023) hat das "Hochschulforum Digitalisierung" vier verschiedene Zielgruppen an Hochschulen zum Stand der Digitalisierung an Hochschulen 2022 befragt: Mehr als 1.600 Personen aus der Hochschulleitung, aus dem Support sowie Lehrende und Studierende. Bereits im Sommersemester 2022 hat demnach bereits die Hälfte aller befragten Lehrenden Seminare ausschließlich vor Ort auf dem Campus angeboten – teils angereichert mit digitalen Medien (rund 14 Prozent). 

Mündliche Online-Prüfungen würden laut Monitor von rund 65 Prozent der Lehrenden angeboten – überraschenderweise wird diese Option nur von 39 Prozent der Studierenden als vorhanden wahrgenommen. Sehr viel seltener kämen überwachte Online-Prüfungen oder Open-Book-Klausuren vor. 

Alarmierende rund 83 Prozent der Hochschulleitungen gaben an, dass Lehrende im Alltag keine Zeit dafür haben, sich in Richtung Digitalisierung der Lehre zu qualifizieren, obwohl etwa 97 Prozent grundsätzlich oder zumindest teilweise bereit dazu wären. 

Hinweis: Die Befragung für den neuen „Monitor Digitalisierung 360°“ (2024) endete im Februar und wird derzeit ausgewertet. 

F&L-Themenschwerpunkt: Digitales Semester 

Die Universitäten mussten Lehre und Forschung während der Corona-Pandemie größtenteils ins Digitale verlegen. Das hat die Entwicklung digitaler Formate in Lehre und Prüfung deutlich vorangebracht. Welche Konzepte wurden entwickelt? Woran wird festgehalten und wo sehen Hochschulleitung und Lehrende Vorteile in der Präsenzlehre? Beiträge zum Thema finden Sie im F&L-Themenschwerpunkt "Digitales Semester".

Erfahrungen mit digitaler Lehre in der Pandemiezeit 

Im "Hochschul-Barometer 2021" haben sich die Hochschulleitungen mit ihren ersten Erfahrungen aus der Covid-19-Pandemie sehr zuversichtlich gezeigt, was die Fortführung und Weiterentwicklung der digitalen Lehre angeht. 

Die Ergebnisse seien repräsentativ für die differenzierte deutsche Hochschullandschaft: Die Potenziale digitaler Lehre wollten demnach die Hochschulen auch über die Pandemie hinaus weiter nutzen. So würden die Hochschulleitungen im Durchschnitt angeben, dass mehr als ein Drittel der Vorlesungen in Zukunft digital stattfinden sollten, das Gleiche gelte für fachliche Sprechstunden oder Veranstaltungen im Bereich der Weiterbildung sowie für Beratungsangebote. 

Trotz der Erfahrungen aus der Pandemie brauche es laut Hochschul-Barometer zur erfolgreichen Umsetzung der digitalen Lehre neben neuen Konzepten auch die nötige Infrastruktur. Die große Mehrheit der Hochschulen würden hier insbesondere die digitale Ausstattung von Hörsälen sowie die Video- und Streaming-Infrastruktur nennen. 

Nahezu 100 Prozent der Hochschulleitungen hielten laut Barometer folgenden Lehr- und Lerntools sowie Ausstattungselemente für die Zukunft hybrider Lehre für relevant: Tools für Online-Konferenzen, Lehr- und Lernplattformen sowie Video-Aufnahme- und Streaming-Geräte. Immerhin noch zwischen 93 und 96 Prozent würden Videoplattformen, digitale Hardware in Hörsälen, Tools für kollaboratives Lernen und Videokonferenzräume als relevant bewerten. 

Einschätzung der eigenen Lehre eher mittelmäßig 

Im "Hochschul-Barometer 2023" ist zu lesen, dass die Bewertung der Wettbewerbsfähigkeit speziell in der Lehre seitens der Hochschulleitungen zunehmend schlecht ausfällt: Während 2020 noch 84 Prozent die Lehre im eigenen Haus als "eher gut" einschätzten, waren es 2022 nur noch 74 Prozent. Besonders auffällig ist der Rückgang in der Bewertung bei den Leitungen staatlicher Universitäten von 78 Prozent auf rund 60 Prozent in selbigem Zeitraum. 

Hier ist auch ein Zusammenhang zu den Rahmenbedingungen zu sehen: "Nur noch jede fünfte Hochschule bewertet ihre Personalsituation als (eher) gut, auch als Folge eines allgemeinen Fachkräftemangels. Besser steht es nur noch um die Universitäten mit Exzellenzförderung, die sich möglicherweise aufgrund ihres Renommees auf dem Arbeitsmarkt bessere Chancen zuschreiben", heißt es dazu im Barometer 2023.