Auf zwei Protestbildern einer Demonstration ist zu lesen "MENSCH SEIN." und "Solidarität mit allen jüdischen Studierenden".
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Hochschulrecht
Hohe gesetzliche Hürden für Sanktionen

Vor dem Hintergrund des Angriffs auf einen jüdischen Studenten stellt sich die Frage nach Sanktionsmöglichkeiten. Die Rechtsprechung gibt Auskunft.

Von Klaus Herrmann 21.03.2024

Der Berliner Senat will das Berliner Hochschulrecht wieder verschärfen. Damit reagiert er auf einen gewalttätigen Angriff auf einen jüdischen Studenten der Freien Universität Berlin. Er war am ersten Februarwochenende auf einer Straße in Berlin-Mitte so geschlagen und getreten worden, dass er ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Ein 23-jähriger Mitstudent mit vermeintlich propalästinensischer Einstellung wird von der Staatsanwaltschaft verdächtigt, ihn gezielt und aus antisemitischen Motiven angegriffen zu haben. 

Seitdem schlagen die Wellen hoch: Öffentlich wird gefordert, den Täter zu exmatrikulieren. Die Freie Universität gab – fast entschuldigend – bekannt, dass sie ein dreimonatiges Hausverbot ausgesprochen hat. Mehr Sanktionsmöglichkeiten hat sie zurzeit auch nicht. Das Berliner Abgeordnetenhaus hat die Regelungen im Berliner Hochschulgesetz über die Sanktionen für Ordnungsverstöße per Gesetz im Frühherbst 2021 abgeschafft (GVBL 70/2021, S.1039ff.), weil es sie für überflüssig hielt. Die Streichung will der Senat nun wieder rückgängig machen, um Studierende und Hochschulbedienstete besser vor gewalttätigen, sexuellen, rassistischen oder religiösen Übergriffen zu schützen – Widerstände im Abgeordnetenhaus sind nicht zu erwarten.

Ob jedoch die Erwartungen, die an die Wiedereinführung des Ordnungsrechts geknüpft werden, erfüllt werden und die Hochschule rassistisch oder antisemitisch agierende Gewalttäter schnell und leicht exmatrikulieren kann, darf bezweifelt werden. Denn die gesetzlichen Hürden für Sanktionen sind sehr hoch.

Zunächst sind die Ordnungsmaßnahmen bis hin zur Exmatrikulation nur zulässig, wenn eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage dafür besteht. Die Rechtsprechung sieht in einer verhaltensbedingten Exmatrikulation eine weitreichende Berufszugangsschranke (siehe VGH Mannheim, Urt. v. 1.12.2015 – 9 S 1611/15, juris, Rn. 38): Sie beendet die korporativen Rechte als Mitglied der Hochschule (etwa zur Mitwirkung an der Selbstverwaltung), die studienbezogenen Rechte (Zugang zu Lehrveranstaltungen oder Prüfungen, Benutzung der Hochschuleinrichtungen) sowie die an diesen Status anknüpfenden sozialrechtlichen Vergünstigungen (Mitgliedschaft in der Kranken- und Unfallversicherung, Ausbildungsförderung).

Zulässig sei das nach den Grundsätzen, die das Bundesverfassungsgericht zur Berufsfreiheit entwickelt hat, nur, wenn die Ordnungsmaßnahme ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut schützt und auch sonst verhältnismäßig ist. Diese Voraussetzungen wurden von Gerichten bejaht, soweit es um den Schutz des geordneten Hochschulbetriebs und ein chancengleiches Prüfungswesen geht (VG Bremen, Beschl. v. 22.11.2016 – 6 V 2731/16, juris, Rn. 25). 

Unterschiedliche Ausgestaltung in den Bundesländern 

In den Bundesländern wird das Ordnungsrecht der Hochschulen unterschiedlich ausgestaltet: Während das Bayerische Hochschulgesetz die Ordnungsgewalt im Ganzen auf die Satzungsgebung der Hochschulen überträgt (Art. 95 S. 3 BayHIG), sehen die meisten Landesgesetze ausdrückliche Kataloge abgestufter (Ordnungs-) Maßnahmen und tatbestandsmäßige Umschreibungen für Sachverhalte vor, die einen Ordnungsverstoß darstellen. Dabei gibt es einige sehr eng gefasste Begriffsdefinitionen, die etwa an eine strafrechtliche Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat anknüpfen (§ 19 Abs. 5 Nr. 3 NHG, § 19 Abs. 3 Nr. 6 SächsHSG) oder ein durch vorsätzliches Handeln verursachten Schaden der Hochschule verlangen (§ 42 Abs. 3 HmbHG). 

Die meisten Bundesländer sehen zudem sehr differenzierte Definitionen für einen Ordnungsverstoß vor, der weit in das Vorfeld strafbaren Verhaltens hineinreicht. Angesichts der vielfältigen Aufgaben der Hochschulen ist diese hochschulspezifische Definition eines Ordnungsverstoßes auch folgerichtig und ebenso zulässig wie die regelmäßig genannte Fallgruppe schwerwiegender oder wiederholter Störungen des Prüfungsbetriebs durch Täuschungsversuche (siehe dazu VG Bremen, Beschl. v. 22.11.2016 – 6 V 2731/16, juris, Rn. 3). 

"Die meisten Bundesländer sehen zudem sehr differenzierte Definitionen für einen Ordnungsverstoß vor, der weit in das Vorfeld strafbaren Verhaltens hineinreicht."
Rechtsanwalt Professor Klaus Herrmann

Über die Anwendung von Gewalt, Aufforderung zur Gewalt oder Bedrohung durch Gewalt hinaus werden regelmäßig auch sexuelle Belästigungen vom Begriff des Ordnungsverstoßes eingeschlossen. Sie müssen mit einer Störung von Lehrveranstaltungen oder Einrichtungen der Hochschule einhergehen, durch die andere Hochschulmitglieder oder Organe die ihnen obliegenden Rechte und Pflichten nicht ausüben und erfüllen können (§ 62a LHG BW, § 15 Abs. 1 BbgHG, § 42 Abs. 4 BremHG, § 65 Abs. 3 HessHG, § 69 Abs. 3 u. 4 LHG RP, § 82 Abs. 4 SHSG, § 42 Abs. 3 HSG SH,§ 30 Abs. 3 HSG LSA, § 76 Abs. 1 ThürHG). Auch die in einem Entwurf für das Berliner Hochschulgesetz 2021 vorgesehene Formulierung (AH-Drucks. 18/3818) sah entsprechende eigenständige Begriffsbestimmungen vor. 

Noch weiter geht allerdings das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Hochschulgesetz: Als Ordnungsverstöße gelten auch Diskriminierungen und Herabsetzungen aus Gründen der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität. Dazu zählt zudem die Schaffung eines entsprechenden Umfelds, das das Studium oder die sonstige Tätigkeit eines Mitglieds beeinträchtigt (§ 51a HG NW). So weitgehende Regelungen sind jedoch in der Praxis kaum anwendbar. 

Darlegungs- und Beweislast der Hochschulen 

In der Praxis kommt es auf den Einzelfall und eine verhältnismäßige Einzelbetrachtung an. Die Hochschulen tragen die volle Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis und die Dokumentation der Tatsachen, die einen Eingriff veranlassen. Das kann in manchen Fällen schwierig sein, allein die Tatbestandsvoraussetzungen strukturiert darzulegen. Gerade in Krisensituationen mit Presseanfragen und öffentlichen Forderungen kann es dann passieren, dass für eine sorgfältige Prüfung und für die Abstimmung mit der Polizei kaum genügend Zeit bleibt. Außerdem bestehen regelmäßig Verfahrensvorbehalte, für die betroffene Personen angehört werden müssen. Im Hochschulalltag kann dies zu komplexen Abwägungen führen, welche Informationen zur Identität der beschwerdeführenden Personen offenbart werden können und müssen. Die neuen Anforderungen des Hinweisgeberschutzgesetzes schaffen dabei auch keine Erleichterung. 

"Das kann in manchen Fällen schwierig sein, allein die Tatbestandsvoraussetzungen strukturiert darzulegen."
Rechtsanwalt Professor Klaus Herrmann

Selbst wenn die gesetzlich umschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen für einen Ordnungsverstoß im Einzelfall erfüllt sind – wie bei einem körperlichen, gewalttätigen Angriff auf einen Mitstudenten (auch außerhalb des Hochschulgeländes) –, liegt die Schwierigkeit in der Ausübung der Ordnungsgewalt, die einer strengen Bindung an das rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeitsprinzip unterliegt. Die Hochschulen haben anhand der Einzelfallumstände aufzuzeigen, dass mildere Ordnungsmaßnahmen nicht ebenso effektiv sind oder nicht ausreichen. Das gilt auch für ein präventives Hausverbot (siehe VGH Mannheim, Urt. v. 1.12.2015 – 9 S 1611/15, juris, Rn. 32 ff.). 

Im schwersten Fall einer Exmatrikulation haben die Hochschulen anhand der Einzelfallumstände außerdem zu entscheiden und zu begründen, für welche Zeitdauer eine Sperrfrist für die Wiedereinschreibung verhängt wird. Die Höchstfrist sind regelmäßig zwei Jahre (zum Beispiel § 62a Abs. 3 S. 3 LHG BW; § 42 Abs. 6 BremHG, § 65 Abs. 3 S. 4 HessHG, § 51a Abs. 4 HG NW, § 69 Abs. 5 S. 1 LHG RP, § 82 Abs. 4 S. 3 SHSG, § 42 Abs. 3 S. 2 HSG SH, § 30 Abs. 4 S. 3 HSG LSA, § 76 Abs. 4 ThürHG). Angesichts der hohen gesetzlichen Anforderungen und praktischen Herausforderungen wird voraussichtlich auch die Wiedereinführung des Ordnungsrechts nicht ausreichen, auf gewalttätige Übergriffe "schnell und leicht" mit einer Zwangsexmatrikulation reagieren zu können.