Ein Yucuna-Mann blickt auf indigenes Land im Amazonas-Regenwald, wo viele Sprachen bis zum Ende des 21. Jahrhunderts aussterben werden.
UZH / Rodrigo Cámara-Leret

Medizin
Mit indigenen Sprachen geht auch Heilwissen verloren

Indigene Völker geben ihr Wissen über Heilpflanzen mündlich weiter. Mit dem erwartbaren Aussterben der Sprachen droht ein immenser Wissensverlust.

23.09.2021

Das Wissen über medizinische Heilpflanzen ist stark mit einzelnen indigenen Sprachen verknüpft. Menschen im tropischen Regenwald besitzen umfangreiche Kenntnisse über die Heilwirkung von Pflanzen, beispielsweise bei Infektionskrankheiten, Hauterkrankungen, Verletzungen und Bisse durch Gifttiere sowie Abwehrmittel gegen Insekten. Da dieses Wissen rein über gesprochene Sprachen an nachfolgende Generationen der indigenen Völker überliefert wird, von denen viele vom Aussterben bedroht sind, droht auch das medizinische Know-How verloren zu gehen. Das geht aus einer Studie von Forschern der Universität Zürich hervor, die in der Fachzeitschrift "Proceedings of The National Academy of Science" (PNAS) erschienen ist.

Dr. Rodrigo Cámara-Leret und Professor Jordi Bascompte von der Abteilung für Evolutionäre Biologie und Umweltstudien analysierten drei ethnobotanische Datenbanken aus Nordamerika, dem nordwestlichen Amazonasgebiet und Neuguinea. Diese enthielten rund 3.600 Heilpflanzen und 12.500 damit verknüpfte Behandlungen von Krankheiten – die meisten waren jeweils nur in einer Sprache dokumentiert. In die Datenbanken ging das Wissen aus 236 indigenen Sprachen ein, von denen 119 zurzeit in Nordamerika, 37 in Amazonien und 80 in Neuguinea gesprochen werden. Aus den Verwandtschaftsbeziehungen der Sprachen sowie den Pflanzen einer Region zogen die Forscher Rückschlüsse auf deren Bedrohungslage.

Die Forscher weisen in ihrer Studie darauf hin, dass bei weitem nicht alle in den tropischen Regionen gesprochenen Sprachen erfasst sind. Die tatsächliche Auswirkung des Sprachenverlusts könnte deshalb noch größer sein. Schätzungen von Linguisten zufolge werden bis zum Ende des Jahrhunderts 30 Prozent aller weltweiten Sprachen verschwinden. Die Züricher Forscher plädieren daher dafür, gefährdetes medizinisches Wissen zu dokumen­tieren, bevor es zu spät ist. Da viele der heutigen Medikamente auf Wissen über Heilpflanzen beruhen, erhöhe das auch die Chance auf künftige neue Wirkstoffe.

ckr