Teile einer Altstadt stehen unter Wasser
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Klimawandel
Kommunikations-Defizit bei Hochwasserschutz

Das großflächige Ausmaß des Hochwassers ist für manchen überraschend. Ein Experte widerspricht: Viele Informationen seien längst bekannt.

04.01.2024

Die aktuelle Hochwasserlage zeigt laut Experten Kommunikationsdefizite im Hochwasserschutz in Deutschland auf. "Dass das großflächige Ausmaß solcher Hochwasser eintreten kann, ist bekannt – seit mindestens 15 Jahren", sagte der Leiter des Ludwig-Franzius-Instituts für Wasserbau, Ästuar- und Küsteningenieurwesen an der Leibniz-Universität Hannover, Torsten Schlurmann, der Deutschen Presse-Agentur. "Die Informationen sind alle da, wir haben aber ein Kommunikationsproblem in der Hochwasservorsorge." Behörden, Wissenschaft und auch die Politik hätten versäumt, besser zu Hochwasserrisiken zu kommunizieren.

Gegenüber "Forschung & Lehre" (F&L) betont Schlurmann auf Nachfrage, dass es eigentlich keine Gründe geben könne, sich über Hochwasservorkommen zu wundern: "Die jetzt dokumentierten Schäden und Verluste und die vermeintliche Ratlosigkeit politischer Vertreter:innen sind wenig überraschend, da die Exposition und Schadensanfälligkeit einzelner Regionen und Städte seit Jahren dokumentiert und frei zugänglich sind." Demnach herrsche laut Schlurmann kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit. Er frage sich, warum haben Erkenntnisse und Empfehlungen eines seit mindestens 15 Jahren verfügbaren und stetig verbesserten Wissens der Hochwassergefahren und -risiken bislang nur wenig zu konkreten Umsetzungen, Anpassungen und Verhaltensänderungen geführt hätten.

Torsten Schlurmann weiter gegenüber F&L zur Frage, was die Wissenschaft in ihrer Kommunikationspraxis optimieren könne: "Parallel gilt für die Wissenschaft, dringende Bedarfe aus und Verunsicherungen in der Gesellschaft besser auf- und wahrzunehmen, um ein nachvollziehbares Handlungswissen für Entscheidungsgrundlagen zu erzielen und einen besseren Umgang mit Hochwasserrisiken und anderen Naturgefahren nachhaltig in Deutschland umzusetzen."

"Die Informationen sind alle da, wir haben aber ein Kommunikationsproblem in der Hochwasservorsorge."
Leiter des Ludwig-Franzius-Instituts der Leibniz-Universität Hannover, Torsten Schlurmann

"Viele Studien, auch eigene, zeigen, dass mit steigenden globalen Temperaturen auch die Anzahl und Intensität von Extremen wie Hochwasser in Deutschland ansteigen", sagt Fred Hattermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Arbeitsgruppe Hydroklimatische Risiken.

Andere Länder, wie etwa die Niederlande, seien bei der Hochwasservorsorge jedoch besser aufgestellt, sagte Schlurmann. Dort sei die Bevölkerung über Hochwasserrisiken aufgeklärter. Man sei in der Hochwasservorsorge sowie im Wasserrückhalt in der Fläche weiterentwickelt, da auch der Handlungsdruck infolge der tiefliegenden Küstengebiete größer sei.

Neue Wetterlage: Hochwasser an vielen Orten gleichzeitig

Seit 2007 gebe es durch die Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie der EU eine Vorgabe an die Mitgliedsländer, Hochwassergefahren und dadurch erkennbare Überflutungsrisiken etwa an Flüssen zu identifizieren und zu bewerten, sagte der Professor für Wasserbau und Küsteningenieurwesen. Seitdem müssten EU-Länder solche Gefährdungen kalkulieren und in Gefahren- und Risikokarten darstellen und öffentlich kommunizieren. Solche Karten seien öffentlich einsehbar.

"Wir haben versäumt, uns intensiv in diese Warnkarten hineinzudenken und darüber zu diskutieren und daraus prioritäre Schutzziele zu formulieren", sagte Schlurmann. "Wenn man in solche Gefahrenkarten reinschaut, zum Beispiel für die Gemeinde Lilienthal bei Bremen, dann ist es frappierend, wie ähnlich diese Simulationen im Vergleich mit der heutigen Krisenlage aussehen. Die großflächigen Überschwemmungen sind da nahezu eins zu eins abzulesen."

"Wir haben versäumt, uns intensiv in diese Warnkarten hineinzudenken und daraus prioritäre Schutzziele zu formulieren"
Leiter des Ludwig-Franzius-Instituts, Torsten Schlurmann

Das Besondere an der aktuellen Lage sei, dass es Hochwasser großflächig an vielen Flüssen und Orten gleichzeitig gebe, sagte Schlurmann. Die Lage dauere über Tage an, da das Wasser kaum abfließen könne. "Solche Hochwasserereignisse werden wir verstärkt durch den Klimawandel in den kommenden Jahrzehnten häufiger erleben - leider", sagte der Wissenschaftler.

Der Einsatz künstlicher Intelligenz könnte Frühwarnsysteme verbessern

Um Hochwassereignisse künftig besser vorhersagen zu können, setzt der Deutsche Wetterdienst (DWD) auch auf künstliche Intelligenz (KI). Diese soll, wie auch in anderen Bereichen, als Werkzeug unterstützend genutzt werden: "Unser Ziel ist es, die gesamte Prozesskette – von der Datenerhebung bis zum Ausspielen an die Kunden – durch KI zu verbessern", sagt DWD-Sprecher Uwe Kirsche und betont: "Nicht zu ersetzen: zu verbessern."

Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wollen auch Jenaer Forscher die Auswirkungen von Klimaextremen besser vorhersagbar machen. Damit könnten den Wissenschaftlern zufolge künftig etwa Hilfseinsätze nach Fluten oder Trockenheiten früher geplant und die lokale Bevölkerung besser gewarnt werden. Schon heute gebe es Modelle, aus denen sich viele Informationen ableiten ließen. "Wettervorhersagen hören oft bei der Frage auf, ob es regnet oder nicht", sagt der Direktor des Max-Planck-Instituts für Biochemie, Markus Reichstein. Beziehe man aber geografische Daten oder Bevölkerungsdaten mit ein, ließen sich so KI-basierte Frühwarnsysteme etablieren.

"Wettervorhersagen hören oft bei der Frage auf, ob es regnet oder nicht"
Direktor des Max-Planck-Instituts für Biochemie, Markus Reichstein

Ziel sei, in ein bis zwei Jahren ein funktionierendes Vorhersage-Modell zu haben, das Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz nutzen könnten. Dazu gebe es bereits konkrete Gespräche. Vorhersagen sind sehr kompliziert Gemeinsam mit dem Lehrstuhlinhaber für Digitale Bildverarbeitung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Joachim Denzler, leitet Reichstein die Ellis-Einheit Jena. Ellis ist ein europäisches Netzwerk zum Thema KI mit Forschungsgruppen in über einem Dutzend Länder. In Jena arbeiten nach dem Startschuss vor zwei Jahren nun etwa 40 Wissenschaftler in der Einheit.

Die Idee sei gewesen, die Kompetenzen im Bereich maschinelles Lernen und in der Erforschung der Erdsysteme zusammenzubringen, so Reichstein. Bei einer Trockenheit etwa griffen mehrere Konzepte: Auf Nordhängen mache sich Hitze weniger bemerkbar als auf Südhängen, in Mulden oder an einem Fluss sei die Vegetation weniger gestresst. "Da gibt es keine physikalischen Modelle, weil es so komplex ist und so viele Faktoren zusammenhängen", sagt Reichstein. Mit Hilfe der Daten könne man lernen, wie lokale Ökosysteme reagieren. Auch Bevölkerungsdaten bis hin zur Beschaffenheit von Häusern ließen sich abbilden und so Aussagen über die Verletzlichkeit der Bevölkerung treffen.

Zuletzt aktualisiert am 5.1.2024 um 13:00 Uhr, zuerst veröffentlicht am 4.01.2024

cva/dpa