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Biologie
Stromleitendes Bakterium ist "Mikrobe des Jahres 2024"

Eine Mikrobiologie-Vereinigung hat den Organismus des Jahres ausgezeichnet. Im Verbund kann dieser Strom leiten und könnte in der Klimakrise helfen.

20.12.2023

Electronema ist "Mikrobe des Jahres 2024". Das Bakterium hat eine ganz besondere Fähigkeit: Zehntausende der winzigen Mikroorganismen können gemeinsam bis zu fünf Zentimeter lange Ketten bilden, "die durch stromleitende Proteinfasern in ihrer Zellhülle verbunden sind", teilte die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) in Frankfurt mit, die in diesem Jahr zum elften Mal eine Mikrobe des Jahres auszeichnet. Die Stromleitung in den Proteinfasern der Kabelbakterien ähnele der eines metallischen Kabels, schreibt die VAAM. Also quasi ein biologisches lebendes Stromkabel. Zudem können sie Treibhausgase, wie Methan minimieren. Kann die Mikrobe also beim riesengroßen Kampf gegen die Klimakrise helfen?

Wichtig ist es, dafür zu verstehen, wie die Mikrobe des Jahres lebt und wie sie funktioniert: Die Ketten- bzw. Kabelform der Bakterien ermöglicht eine besondere Arbeitsteilung. Tausende von Zellen jedes einzelnen Kabels leben im unteren Teil des Sediments von Gewässern, wo sie Sulfid zu Sulfat umwandeln. Dabei entstehen negativ geladene Elektronen, die über die stromleitenden Fasern ans andere Ende des Kabels an der Sedimentoberfläche fließen und dort auf Sauerstoff übertragen werden. Dadurch können die Kabelbakterien als einzige Organismen das Sulfid in einer Zone verbrauchen, wo es keinen Sauerstoff gibt. Das sei "ein großer Vorteil gegenüber konkurrierenden Mikroorganismen", so die Mikrobiologie-Vereinigung VAAM. Mit dieser Eigenschaft könne Elektronema auch den Schadstoffabbau in Gewässern fördern und die Bildung von Treibhausgasen reduzieren. In überfluteten Reisfeldern entsteht laut VAAM jährlich eine große Menge des klimaschädlichen Methans.

Mikrobe hat viel Potenzial, aber es fehlt die Reinkultur für den Klimaschutz

Kabelbakterien leben im Wurzelbereich von Reispflanzen und können dort die Methanbildung verringern. Damit sind sie für eine klimafreundliche Zukunft äußerst interessant. Auch für auf Biomaterialien basierende Elektronik. "Die leitfähigen Strukturen der Kabelbakterien sind zwar bereits patentiert", so Dr. Anja Störiko von der Pressestelle der VAAM gegenüber "Forschung & Lehre". Doch von einer kommerziellen Umsetzung sei die Entwicklung noch weit entfernt. "Da haben die Forscherinnen und Forscher noch einen weiten Weg vor sich." 

Grund dafür: Kabelbakterien können noch nicht isoliert und deswegen auch nicht als Reinkultur im Labor nachgezüchtet werden. "Bislang funktioniert das nur als Nachbau der natürlichen Umwelt, mit anderen Organismen", erklärt Störiko. Da die Reinkultur noch fehlt, gibt es auch noch keine vollständige Beschreibung des Bakteriums. Elektronema wurde erst vor zwölf Jahren und eher durch Zufall entdeckt. Damals entnahmen Forschende von der Universität Aarhus Wasserproben aus dem dortigen Hafenbecken für eine Untersuchung von Schwefelbakterien. "Das Experiment im Keller der Universität Aarhus missglückte, aber dafür entdeckte das Forschungsteam die Kabelbakterien", erklärt Störiko von der VAAM. Zwar seien die Mikroben in der Natur nachgewiesen und ihr Genom exakt analysiert, aber zu einer klimafreundlichen Nutzung müsse noch einiges erforscht werden. "Das ist leider noch Zukunftsmusik."

kfi