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Kommentar
Überhitztes System

Tausende Wissenschaftler haben weltweit in dubiosen Zeitschriften publiziert, Verlage davon gut gelebt. Ein Drama für das Ansehen der Wissenschaft.

Von Felix Grigat 19.07.2018

Es muss pure Verzweiflung sein, die weltweit zehntausende Wissenschaftler dazu treibt, in zwielichtigen Zeitschriften und Verlagen zu publizieren und dafür auch noch zu bezahlen. Diese Verzweiflung hat viele Ursachen und einen Namen: Publikationsdruck.

Seit vielen Jahren heißt es "Publish or perish" in der Wissenschaft. Dabei wurde aber eher ein wenig akademisch, wie kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, von einem "herrschenden Konformitäts- und Publikationsdruck" gesprochen, der der "Qualität von Forschung und der Risikobereitschaft" von Forschern entgegen stehe. Quantifizierung, Indikatorisierung und der unsachgemäße Einsatz von Metriken in der wissenschaftlichen Leistungsbeurteilung verschärften das Problem zusätzlich, heißt es dort. Es steige der Druck, in den wenigen Journalen mit hohem Impact-Faktor zu publizieren. Um dort die Chance zur Veröffentlichung zu verbessern, würden Forschungsergebnisse weniger sachlich denn als Sensationen dargestellt.

Seit heute weiß man, dass, wer dort nicht unterkommt, selbst die irrwitzigste Publikationschance ergreift, die er bekommen kann. Das spricht nicht für rein akademische, sondern für geradezu existenzielle Not, die von "Fake-Verlagen" ausgenutzt wird. Dass der Kampf um Stellen und Positionen in der Wissenschaft solche Dimensionen annimmt, wie es das Recherchenetzwerk von Qualitätsmedien nun bis hin in internationale Verflechtungen aufgedeckt hat, macht fassungslos.  

Die Enthüllungen zeigen: Das "System Wissenschaft" ist weltweit heißgelaufen. Dauerndes Wachstum, schärferer Wettbewerb, die Forderung der Geldgeber, immer schneller zu veröffentlichungsfähigen Ergebnissen zu kommen, Ökonomisierung der Wissenschaft und ein alles grundierender Utilitarismus zerstören in einer fatalen Kombination Wissenschaft als Suche nach der Wahrheit um ihrer selbst willen. Es mag noch Nischen geben, in denen sie überdauert.

Populisten werden diese Nachrichten leider dazu nutzen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu torpedieren. Diese Meldungen werden sie nicht als "Fake News" werten, da sie ihnen nützen, die von ihnen verachtete Wissenschaft als "Fake Science" zu diffamieren. Der deutsche Nobelpreisträger Stefan Hell sagte, er habe Vertrauen, dass "die Wissenschaft da einen selbstkorrigierenden Mechanismus" habe. Das wird nicht von heute auf morgen gehen, aber die grundlegende Reform muss jetzt sofort beginnen. Es steht zuviel auf dem Spiel.