Könnte Referenzort für das Anthropozän werden: Lake Crawford in Kanada, Luftaufnahme.
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Geologie
Vorschlag zur Definition des Anthropozäns

Die Menschheit hat die Erde so verändert, dass Experten ein neues Zeitalter angebrochen sehen. Ein Vorschlag zu seiner Datierung.

11.07.2023

Geologinnen und Geologen schlagen als formellen Beginn des Zeitalters des Menschen ein Jahr um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts vor. Als Referenz für den Start des sogenannten Anthropozäns soll eine Sedimentabfolge aus einem kleinen See in Kanada dienen, wie die dafür zuständige Expertengruppe, die Anthropocene Working Group (AWG), am Dienstag im Rahmen einer Pressekonferenz im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin bekanntgab. Konkret favorisieren die Forschenden eine Sedimentlage aus dem Jahr 1950.

Die Geologie teilt die Erdgeschichte in verschiedene Zeitalter ein. Demnach leben wir derzeit im Holozän, das vor knapp 12.000 Jahren begann. Da die Menschheit aber zuletzt die Erde – unter anderem durch den Ausstoß von Treibhausgasen und die Zerstörung von Ökosystemen – massiv verändert hat, sehen Experten verschiedener Fachrichtungen das Zeitalter des Menschen angebrochen.

Sedimentprobe als Definitionsgrundlage

Bislang ist das Anthropozän aber noch nicht formal nach geologischen Maßstäben definiert. Dafür braucht es in der Regel eine konkrete Sedimentprobe von einem Ort, der als Referenzpunkt dient. Auf diesen Standard können sich dann weltweit Forschende beziehen, wenn sie eigene Untersuchungen bei sich vor Ort machen. Außerdem sollte es eine grobe zeitliche Festlegung geben, wann das neue Zeitalter begonnen hat, sowie einen sogenannten Geomarker, der ein typisches Merkmal der Epoche darstellt und gut zu belegen ist, wie die Max-Planck-Gesellschaft mitteilte.

Die Probe vom Grund des Lake Crawford in Ontario im Südosten Kanadas ist ein Bohrkern, der durch saisonale Ablagerungen auf dem Seeboden sichtbare Jahreslinien hat. Dadurch können Forscherinnen und Forscher relativ einfach feststellen, welcher Abschnitt der Probe in welches Jahr fällt. Die Probe ist das Ergebnis einer mehrjährigen Suche an verschiedenen Orten weltweit, deren Resultate in einer Sonderausgabe der "Anthropocene Review" veröffentlich wurden.

Warum 1950 als Beginn des Anthropozäns diskutiert wird

Den Beginn des Menschenzeitalters machen die Fachleute an den Geomarkern in der Probe fest, allen voran radioaktiven Niederschlägen von Atomwaffen-Tests nach dem Zweiten Weltkrieg, die ab 1945 stattfanden. Diese Plutonium-Isotope sind weltweit nachweisbar. Im Crawford Lake sind sie ab Ende der 1940er-Jahre zu finden, mit einem schnellen Anstieg ab 1950.

Die AWG-Gruppe schlägt die Zeit um 1950 auch deshalb als Beginn des Anthropozäns vor, weil die weitreichenden Veränderungen dieser Zeit rund um den Globus Spuren in allen Sedimenten hinterlassen haben. Der Beginn der Industrialisierung hingegen, auch ein denkbarer Start des Anthropozäns entsprechend eines Vorschlags des Nobelpreisträgers Paul Crutzen aus dem Jahr 2000, ist in manchen Regionen kaum geologisch feststellbar, da sich diese Entwicklung zunächst auf bestimmte Teile der Welt wie die USA und Europa konzentrierte. In Australien etwa würde man keine Spuren finden, was das Kriterium einer globalen Nachweisbarkeit verfehle, so die AWG-Gruppe.

Um als allgemeingültiger Standard zu gelten, müssen noch drei übergeordnete Gremien über den AWG-Vorschlag abstimmen. Eine Entscheidung könnte es bis August nächsten Jahres geben.

aktualisiert am 12.07.2023 um 12.23 Uhr, zuerst veröffentlicht am 11.07.2023

dpa/cpy