Fassade des Oberlandesgerichts München mit dieser Aufschrift.
picture alliance/dpa | Matthias Balk

Universität Augsburg
Mutmaßlicher russischer Spion vor Gericht

In München steht ein junger Wissenschaftler vor Gericht. Er soll Forschungsinformationen an den russischen Geheimdienst weitergegeben haben.

17.02.2022

Er soll an der Universität gearbeitet und für den russischen Geheimdienst spioniert haben: An diesem Donnerstag hat vor dem Oberlandesgericht (OLG) München der Prozess gegen einen jungen Wissenschaftler begonnen, dem Spionage im Bereich der Raketenforschung vorgeworfen wird. Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat ihn wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit angeklagt. Der russische Geheimdienst habe über ihn vor allem Informationen über die europäische Trägerrakete Ariane bekommen wollen.

Bis zu seiner Festnahme am 18. Juni 2021 hatte der damals 29 Jahre alte Russe als wissenschaftlicher Mitarbeiter für einen naturwissenschaftlich-technischen Lehrstuhl der Universität Augsburg gearbeitet.

Was dem Wissenschaftler vorgeworfen wird

Laut Bundesanwaltschaft soll der russische Auslandsnachrichtendienst SWR spätestens im Herbst 2019 Kontakt zu dem Angeklagten aufgenommen haben. "Das Aufklärungsinteresse des Nachrichtendienstes lag insbesondere in den verschiedenen Entwicklungsstufen der europäischen Trägerrakete Ariane und der Werkstoffforschung des Angeschuldigten", teilte die Bundesanwaltschaft zur Anklageerhebung im Januar mit.

Ab Ende November 2019 habe es regelmäßige persönliche Treffen zwischen dem Angeschuldigten und einem russischen Führungsoffizier gegeben. Der junge Mann habe dabei Informationen zu Forschungsprojekten aus dem Bereich Luft- und Raumfahrttechnologie weitergegeben, insbesondere von den verschiedenen Ariane-Entwicklungsstufen. Dafür habe er insgesamt 2.500 Euro erhalten.

Bei der Festnahme des Mannes im Juni vergangenen Jahres hatte die Bundesanwaltschaft von drei Treffen gesprochen. Zumindest bei zwei dieser Treffen habe der Wissenschaftler gegen Bargeld Informationen "aus dem Herrschaftsgebiet der Universität" weitergegeben.

Aussagen des Wissenschaftlers vor Gericht

Im Prozess hat der Angeklagte jede Absicht bestritten. "Ich bin kein Agent", sagte er. "Die letzten acht Monate, die waren für mich einfach ein Horror." Sein Leben, seine Karriere, alles sei weg.

Der Angeklagte bestreitet nicht, dass er mehrfach wissenschaftliche Artikel, die öffentlich im Internet zugänglich waren, auf USB-Sticks gespeichert und diese übergeben habe. Er habe aber nicht gewusst, dass der damalige Mitarbeiter, dem er laut Anklage der Bundesanwaltschaft Informationen übergeben haben soll, Geheimdienstmitarbeiter gewesen sei. Und über seine eigene Arbeit an der Uni habe er nie mit ihm gesprochen.

"Ich habe mir nie Gedanken gemacht, dass er ein Mitarbeiter von einer Agentenorganisation sein könnte", sagte der Angeklagte. "Keiner hat mich gefragt, ob ich für eine Geheimorganisation arbeiten möchte. Wenn mich jemand danach fragen würde – dann würde ich sofort Nein sagen." Der Angeklagte könne sich außerdem nicht vorstellen, dass der russische Geheimdienst Interesse an Informationen hat, die ohnehin öffentlich zugänglich sind. Artikel über die Ariane-Rakete, seien bei "Wikipedia" zu finden. Auch der Anwalt des Angeklagten betonte in einer kurzen Erklärung, dass es sich bei den Informationen, die sein Mandant übergab, nicht um Geheimnisse handelte: "Man kann getrost davon ausgehen, dass auch der russische Nachrichtendienst einen Internetanschluss hat."

Zeitgleich mit der Verhaftung des angeklagten Wissenschaftlers wurde ein Mitarbeiter des russischen Generalkonsulates in München ausgewiesen und zur "Persona non grata" – zur unerwünschten Person – erklärt. Das Auswärtige Amt wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern, ob es sich bei dem ausgewiesenen Diplomaten um die Kontaktperson des Angeklagten handelte. Der "Spiegel" berichtete allerdings im Januar unter Berufung auf "mit dem Vorgang vertraute Personen", dass der Mann nur zum Schein als Diplomat akkreditiert, aber tatsächlich hauptamtlicher Mitarbeiter des russischen Auslandsgeheimdiensts SWR gewesen sein soll. Er sei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts aufgeflogen. Zur Frage, ob es sich dabei um das nun vor dem Münchner Gericht verhandelte Verfahren handelte, äußerte sich das Auswärtige Amt ebenfalls nicht.

Spionage in Deutschland

Spionagefälle landen eher selten vor Gericht. Nach Angaben des bayerischen Justizministeriums wurde in den Jahren 2016 bis 2020 im Freistaat nur ein Angeklagter im Bereich der klassischen Spionage (in Abgrenzung vor allem zur Wirtschaftsspionage) verurteilt – und zwar im Jahr 2018. Auch die Bundesanwaltschaft, die herausgehobene Fälle an Gerichten überall in Deutschland zur Anklage bringt, zählt nur etwas mehr als eine Handvoll Anklagen in den vergangenen Jahren.

Allerdings haben Spionagetätigkeiten in Deutschland nach Auffassung des Bundesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2020 mindestens das Niveau des Kalten Krieges erreicht. Die Bundesrepublik sei ein attraktives Ziel insbesondere für Agenten aus Russland, China, dem Iran und der Türkei, sagte Bundesamts-Chef Thomas Haldenwang 2020 im Bundestag.

aktualisiert am 17.02.2022 um 14:06 Uhr, zuerst veröffentlicht um 11:04 Uhr

dpa/cpy