Eine Kette von Dipolmagneten des Teilchenbeschleunigers LHC (Large Hadron Collider) im Tunnel am Cern in Genf.
Hertzog, Samuel Joseph: CERN

Kernforschung
Cern startet Teilchen-Beschleuniger

Die Europäische Organisation für Kernforschung hat nach langer Wartung den Teilchenbeschleuniger LHC neu gestartet. Dort kollidieren wieder Protonen.

22.04.2022

Die größte Forschungsmaschine der Welt läuft wieder: Physiker haben im Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) des Cern in Genf am Freitag nach gut dreijähriger Wartung erstmals wieder zwei Protonenstrahlen in Umlauf gebracht. Sie zirkulierten wie geplant in dem 27 Kilometer langen unterirdischen Ring in entgegengesetzter Richtung, wie der Forschungsdirektor der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern), Joachim Mnich, sagte. Es dauert nun sechs bis acht Wochen bis die Maschine auf Hochtouren läuft. Dann finden wieder Protonenkollisionen statt, die Erkenntnisse über die grundlegenden Gesetze des Universums preisgeben sollen.

Die Vorbereitungen liefen seit einigen Wochen rund um die Uhr. Bis zur letzten Minute herrschte in den Cern-Kontrollräumen Hochspannung. "Das ist wie bei einem Raketenstart", sagt der deutsche Cern-Forschungsdirektor Joachim Mnich der Deutschen Presse-Agentur.

Forschende gelingt Neustart mit Protonenstrahlen

Die beiden Protonenstrahlen zirkulierten mit einer Injektionsenergie von 450 Milliarden Elektronenvolt. Für Kollisionen wird die Energie auf 13,6 Billionen Elektronenvolt hochgefahren.

Mit dem Teilchenbeschleuniger wird die Zeit der Entstehung des Universums vor rund 14 Milliarden Jahren simuliert. Forscherinnen und Forscher beobachten bei den Kollisionen die Zerfallsprozesse und gewinnen Erkenntnisse über die kleinsten Bestandteile der Materie, die Elementarteilchen. Unter anderem wurde am Cern 2012 erstmals das 40 Jahre früher theoretisch beschriebene Higgs-Boson nachgewiesen. Es trägt dazu bei, dass Elementarteilchen eine Masse haben.

Während der Abschaltung ist die Leistungsfähigkeit des Beschleunigers und der angeschlossenen Detektoren deutlich erhöht worden. Er soll nun vier Jahre laufen. "Wir hoffen, dass wir die Zahl der Kollisionen seit Inbetriebnahme des Teilchenbeschleunigers bis Ende 2025 verdoppeln", sagt Mnich. Der Beschleuniger hat bereits zwei Betriebsphasen hinter sich: von 2009 bis 2012 und von 2015 bis 2018.

Nach Angaben von Mnich sollten im Jahr rund 1.000.000.000.000.000, eine Billiarde, Kollisionen möglich sein. Aber nur eine von vielleicht 100.000 Kollisionen bringe aber Prozesse zum Vorschein, die eine nähere Analyse lohnen. Die Daten werden zwar innerhalb von Millisekunden gespeichert, die Auswertung dauere oft aber Jahre.

Cern überprüft Neuberechnung des W-Bosons

So war es am US-Forschungszentrum für Teilchenphysik Fermilab, das Anfang April mit einer Sensation aufwartete: aus mehr als zehn Jahre alten Daten hatten Physiker das W-Boson neu berechnet, das eine der vier Grundkräfte übermittelt, die das Verhalten der Materie im Universum bestimmen. Die Forscher stellten mit hoher Präzision fest, dass es schwerer ist als das Standardmodell der Teilchenphysik mit seinen zwölf Materieteilchen und ihren Wechselwirkung voraussagt.

Das W-Boson war 1983 am Cern entdeckt worden. Dort, hofft Mnich, können die Ergebnisse der Amerikaner in den nächsten Jahren bestätigt oder widerlegt werden. "Wenn das Ergebnis so stimmt, könnte dies ein Hinweis auf eine unbekannte Naturkraft sein, oder ein Hinweis auf zusätzliche Teilchen, die wir bislang nicht kennen", sagt Mnich.

Auch am Cern war im vergangenen Jahr in ganz anderem Zusammenhang eine Anomalie entdeckt worden, die vom Standardmodell der Teilchenphysik abweicht. Beauty-Quarks waren nicht wie erwartet zu gleichen Teilen in Myonen und Elektronen zerfallen. Mit viel höheren Datenmengen hoffen die Physiker nun auf neue Erkenntnisse, die noch mehr Fragen über die Gültigkeit des Standardmodell aufwerfen könnten.

aktualisiert am 22.04.2022 um 15:09 Uhr, zuerst veröffentlicht um 09:37 Uhr

dpa/ckr