Der Fallturm an der Uni Bremen von innen.
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GraviTower Bremen Pro
Schwerelos im Bremer "Forschungs-Aufzug"

Experimente im Weltraum sind für die meisten Unis zu teuer. Bremen ermöglicht Forschung unter Weltraumbedingungen mit einem Fallturm und einem Aufzug.

06.03.2022

Erreicht die Temperatur des Hydrauliköls 50 Grad, ist der mächtige 4.000 PS starke Antrieb startklar. Das massive Stahlseil spannt sich. "Drei, zwei, eins", zählt Projektleiter Andreas Gierse an. Die Aufzugkapsel zischt nach oben und schafft durch High-Tech und pure Geschwindigkeit eine 2,5 Sekunden lange Schwerelosigkeit. Für Forscher ist das der entscheidende Moment.

Der 16 Meter hohe GraviTower Bremen Pro (GTB Pro) steht in der Laborhalle im Zentrum für angewandte Raumfahrttechnik und Mikrogravitation an der Bremer Universität. Direkt daneben der "große Bruder", der insgesamt 146 Meter hohe Bremer Fallturm, in dem für 9,3 Sekunden Schwerelosigkeit erreicht wird. Doch das Konzept ist ein anderes.

Die 110-Meter-Röhre des großen Turms muss für die Experimente immer wieder neu und aufwendig evakuiert werden, um das notwendige Vakuum herzustellen. Drei Durchläufe am Tag, mehr sind zeitlich und technisch nicht drin. "Beim GraviTower Bremen Pro können wir die Experimente bis zu 300 mal am Tag wiederholen", nennt Ingenieur Gierse den Hauptvorteil des neuen Turms. Ein Vakuum ist nicht mehr nötig, denn der Luftwiderstand wird durch den Seilzug und die Geschwindigkeit kompensiert.

Aufzug mit fünffacher Erdbeschleunigung erzeugt Schwerelosigkeit

Äußerlich erinnert der GTB Pro an einen Aufzug. "Technisch gesehen ist er das auch, aber ein sehr präziser Aufzug", sagt Gierse. Die Fahrtzeit für die insgesamt 12,3 Meter Netto-Fahrstrecke beträgt 3,9 Sekunden: 0,7 Sekunden Beschleunigung, 2,5 Sekunden schwereloser Freiflug und 0,7 Sekunden Abbremsen. Es wird die fünffache Erdbeschleunigung erreicht. Die Schwerkraft kann je nach Ausrichtung des Experiments reduziert werden.

Das technische Herzstück des "Aufzugs" ist die Standbasis, auf der die jeweilige rund 1,60 Meter hohe Experimentenkapsel fixiert wird. Der "Release-Caging Mechanism" ist mit reibungsfreien Luftlagern ausgestattet und sorgt unter anderem für eine vibrationslose Beschleunigung und vor allem die Entkopplung ("Release") der Kapsel in der Phase der Schwerelosigkeit. Dabei wird Schwerelosigkeit als Zustand definiert, in dem keine äußere Kraft auf die Materie einwirkt.

Kommerzielle Kunden wie Unternehmen sind die Ausnahme für den Fallturm und auch den GTB Pro, in dem das erste externe Experiment in diesen Tagen anläuft. "Was hier passiert, ist Forschung", sagt ZARM-Geschäftsführer Peter von Kampen. Der neue Turm sei in den nächsten sechs Monaten schon gut ausgelastet. Das ZARM ist eine Landesgesellschaft.

Kunden sind vor allem Universitäten, deren Experimente dann über Rahmenverträge mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Europäischen Weltraumorganisation ESA finanziert werden. Das erste externe Projekt heißt "Erica" und wird von der Universität Duisburg-Essen durchgeführt.

Uni Duisburg-Essen erforscht Asteroiden

Grob gesagt geht es dabei um Einschläge in Asteroiden-Oberflächen. Dazu stellt der Physiker Jonathan Kollmer in den nächsten Tagen eine brotkastengroße Proben- und Vakuumkammer mit Fenstern in die Experimentenkapsel, die dann in den GTB Pro geht. Der kleine Aluminium-Behälter ist mit Kameras und Sensorik ausgestattet. Im Inneren befindet sich simuliertes Asteroid-Gestein aus zerkleinertem Basalt, ein sogenanntes Simulant.

Auf diese Oberfläche trifft dann von oben ein "Impaktor" – ebenfalls ein Basalt-Gestein – der unter der Bedingungen geringer Schwerkraft mit etwa zehn Zentimentern pro Sekunde beschleunigt wird. Gezeigt werden soll, wie elastisch Dinge abprallen oder auch nicht. "Wenn wir mit Sonden auf Asteroiden landen, dort Proben entnehmen oder bohren wollen, sollten wir verstehen, wie die Oberfläche auf Störungen und Interaktion reagiert", sagt Kollmer. Die offizielle Erstfahrt für Erica im neuen Turm ist für den 9. März geplant.

Die Vorteile des GTB pro sind auch für den Physiker der direkte physische Zugriff auf das Experiment, das jederzeit angepasst werden kann sowie die hohe Wiederholungsrate: "Statt zwei oder drei Mal am Tag können wir das um ein Vielfaches mehr wiederholen. Das ist natürlich eine ganz andere Datenbasis."

Der große Turm hat aber gegenüber dem GTB Pro noch ein völlig unwissenschaftliches Alleinstellungsmerkmal: Er ist Bremens höchstes Trauzimmer. Heiratswillige können sich dort in der Fallturmspitze mit Blick auf die Bremer Skyline auf 130 Metern Höhe ihr Ja-Wort eben. Das ZARM verspricht "eine Hochzeit zwischen Himmel und Erde".

Helmut Reuter (dpa)